Vor 120 Jahren verließ mit dem „Patent-Motorwagen System Lutzmann” der erste Opel in Rüsselsheim die Werkshalle. Ein Pionier aus Dessau gab dem Unternehmen den nötigen Schub.
RÜSSELSHEIM. Der 21. Januar 2019 ist im Opel-Kalender dick markiert. Denn an diesem Tag jährt sich beim Rüsselsheimer Unternehmen zum 120. Mal der Einstieg in den Automobilbau. Nun hielt ja Firmengründer Adam Opel bekanntlich herzlich wenig von Autos. Beziehungsweise Motorwagen, wie man sie seinerzeit nannte. Bis er 1895 im Alter von 58 Jahren an Typhus verstarb, waren ihm schon einige der motorisierten Kutschen unter die Augen gekommen. So fuhr Carl Benz mit seinem Motorwagen Nummer 1 bereits 1886 durch Mannheims Straßen. Auch ein gewisser Friedrich Lutzmann aus Dessau hatte in den 1890er Jahren schon Motorwagen präsentiert.
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Adam Opel blickte verächtlich auf die „Stinkkutschen, aus denen nie mehr wird als ein Spielzeug für Millionäre“. Als er das Unternehmen an seine Frau Sophie und seine fünf Söhne übergab, hatte sich Opel bereits mit Nähmaschinen und Fahrrädern einen Namen gemacht.
In der Fahrradkrise suchte man ein weiteres Standbein
Zwar verlief Opels erste Begegnung mit einem Hochrad 1884 wenig erfreulich – er soll im Graben gelandet sein –, aber der Unternehmer erkannte das Potenzial, das in Fahrrädern steckt. Seine Firma wurde später zum weltweit führenden Hersteller von Zweirädern. Doch bis es so weit war, musste die Firma eine Krise überstehen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Fahrradmarkt von Modellen regelrecht überschwemmt – was zu erheblichen Absatz- und Ertragseinbußen führte.
Die Gebrüder Opel suchten nach einem weiteren Standbein – und statteten der ersten Automobilausstellung 1897 in Berlin einen Besuch ab. Sie war sehr überschaubar: Gerade mal acht Motorwagen konnte man dort bestaunen. Davon vier von Carl Benz und zwei von Friedrich Lutzmann. Wilhelm und Fritz Opel kamen mit Lutzmann ins Gespräch. Das war die Initialzündung für den Automobilbau bei Opel. Zweimal daraufhin statteten die Brüder Lutzmann in dessen Dessauer Werk einen Besuch ab. Sie waren begeistert, überzeugten schließlich ihre Mutter Sophie, die das Unternehmen führte, den Schritt in den Automobilbau zu wagen.
Am 21. Januar 1899 war es dann soweit, die Verträge wurden unterschrieben: die Anhaltinische Motorwagenfabrik des Hofschlossermeisters und Konstrukteurs Lutzmann in Dessau ging samt Maschinen und Patenten in den Besitz der Familie Opel über. Für 116 687 Mark. Die Produktion wurde nach Rüsselsheim verlegt. Der Pionier aus Dessau wurde Direktor des neuen Autowerkes. Als seine Frau 1899 mit gerade mal 37 Jahren verstarb, stürzte sich Lutzmann in die Arbeit. Doch es lief anders als geplant. Um 1900 war Lutzmanns Konstruktion bereits veraltet, besonders im Vergleich zu modernen Automobilen aus Frankreich – etwa von Renault.
Opel-Brüder kooperierten mit französischen Autobauern
Die Opel-Brüder trennten sich schließlich 1901 wieder von Lutzmann – und suchten die Kooperation mit französischen Autobauern. 1901 übernahm man zunächst die Generalvertretung für Renault, 1902 wurde dann ein Kooperationsvertrag mit dem Hersteller Darracq geschlossen.
Doch mit Kooperationen wollten sich die Gebrüder Opel nicht zufriedengeben. Wie einst der Vater bei Nähmaschinen, erforschten auch die Söhne intensiv das französische Knowhow – und verbesserten es gezielt. 1902 brachten sie im Herbst die erste Opel-Eigenkonstruktion auf den Markt: das Modell 10/12 PS mit einem neu entwickelten Zwei-Zylinder-Motor. Der endgültige Durchbruch gelang den Rüsselsheimern sieben Jahre später mit dem legendären „Doktorwagen“. Er war mit 3950 Mark nur halb so teuer wie die luxuriöse Konkurrenz und öffnete dem Unternehmen so einen breiteren Markt. Seinen Spitznamen bekam das Modell 4/8 PS, weil der Vierzylinder von vielen Ärzten für Hausbesuche genutzt wurde.
Die zwei Jahre mit Lutzmann brachten jedoch ein Automobil hervor, das einen Meilenstein in der deutschen Pkw-Produktion darstellt. Der 1,5 Liter Ottomotor des „Opel Patent-Motorwagens System Lutzmann“ hatte 3,5 PS und schaffte in der Spitze etwas mehr als 20 Kilometer pro Stunde. In ihrem ersten Motorwagen-Prospekt präsentierte Opel zudem einen Lastwagen, der auf einer Lutzmann-Entwicklung basierte. Auch dieses Modell hatte schnell seinen Spitznamen weg: der Koloss aus Rüsselsheim.