Mit seinem Begleitläufer Max Kirschbaum (links) ist Tien-Fung Yap per Leine verbunden. Foto: Katie Chan
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MAINZ - Irgendetwas war komisch mit seinen Augen. Das hatte Tien-Fung Yap gemerkt. Erst links, dann rechts. Kurzsichtig, sagte sein Augenarzt. Eine andere Krankheit, sagten sie bei der Musterung. Lebersche Optikusatrophie, sagten die Spezialisten. Tien-Fung Yap, gebürtiger Gelsenkirchener, der Vater aus Malaysia, die Mutter aus Kambodscha, war da gerade 18 Jahre alt. Er spielte Tischtennis und Fußball, machte sein Fachabitur und wollte beruflich „ins Management“. „Damals, als ich noch sehen konnte“, sagt er. Damals, das war in seinem alten Leben.
Das neue begann kurz darauf in Mainz. Yap machte eine Ausbildung zum Physiotherapeuten auf dem Lerchenberg. Dass er dort heute immer noch wohnt, hat einen Grund. „Wenn ich keine Wohnung gefunden hätte, wäre ich zurück zu meinen Eltern. Aber ich wollte hierbleiben“, sagt Yap und fügt hinzu: „Wegen dem Wald.“ Der Ober-Olmer Wald spielt im Leben des 26-Jährigen eine gewichtige Rolle. Denn als er aufgrund seiner Augenerkrankung, die eine Erbkrankheit ist und sein Sehvermögen bis auf fünf Prozent reduziert hat, nicht mehr Tischtennis und Fußball spielen konnte, ging Tien-Fung Yap laufen. Als Ausgleich. Was er damals nicht wusste: Er ist ein sehr talentierter Marathonläufer. Und er hat das Potenzial, eines Tages bei den Paralympics mitzulaufen. Als Yap seine erste Runde im Ober-Olmer Wald drehte, wusste er nicht einmal, was die Paralympics sind.
Mittlerweile hat der 26-Jährige an vier Marathons und zwei Ultra-Marathons, also Strecken, die länger als 42,195 Kilometer sind, teilgenommen. Er ist vor Kurzem Deutscher Meister über 5000 Meter geworden und startet für die Behindertsportgemeinschaft Mainz (siehe Infokasten). Doch die Strecken bis zu zehn Kilometer sind ihm zu kurz, sagt Yap. Marathon soll es sein. Seinen nächsten Wettkampf läuft der 26-Jährige im September in Berlin. Dann greift er in seiner Leistungsklasse T12 nach dem Titel des deutschen Meisters.
BSG MAINZ
Tien-Fun Yap startet für die Behindertensportgemeinschaft Mainz (BSG). Der Verein, der sich normalerweise auf Rehasport konzentriert, hilft Yap bei allen organisatorischen Aufgaben.
Die BSG teilt sich in zwei Abteilungen auf. In Abteilung I treiben 130 Menschen mit und ohne Behinderung Sport, in Abteilung II 94 Menschen mit geistiger Behinderung. Der Verein feiert in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag.
Auch die BSG betritt mit Tien-Fung Yap Neuland. „Wir hatten noch nie einen Leistungssportler im Verein“, sagt Wolfgang Moritz. Der sportliche Leiter der Abteilung II hat Yap unter seine Fittiche genommen.
Doch Tien-Fung Yap will mehr. Und er weiß, dass noch mehr möglich ist. Denn bisher lief der Physiotherapeut ziemlich planlos durch den Wald. Das hat nichts mit seinen Augen zu tun. Denn im Ober-Olmer Wald kennt Yap mittlerweile jeden Stock. „Die ersten Monate bin ich nur spaziert, um mich zu orientieren“, erzählt er. Seine Krankheit lässt peripheres Sehen zu, das heißt, dass Yap quasi im Augenwinkel grobe Umrisse erkennen kann. Nach unten sehen kann er allerdings nicht. „Ich bin schon öfter gestürzt“, sagt er. Doch dann steht der selbsternannte Laufverrückte eben wieder auf. Unsichtbare Hindernisse auf dem Boden sind eine der Tücken, mit denen Tien-Fung Yap zurechtkommen muss. Gegenüber sehenden Sportlern – mit denen er seine Zeiten gerne mal vergleicht – hat er einen weiteren Nachteil. Er kann seine Uhr nicht sehen. Am Ende des Trainings, wenn er die Zeit stoppt, kann die Uhr diese Zeit zwar aufsagen. Doch Zwischenzeiten oder Herzfrequenz muss Yap erfühlen.
Bei wichtigen Wettkämpfen ist das anders. Da hat der 26-Jährige seinen Begleitläufer dabei. Meistens ist das Max Kirschbaum, ein Crossläufer aus der Pfalz. „Er sieht an meinem Gesichtsausdruck, ob ich zu schnell oder zu langsam bin“, sagt Yap und fügt hinzu: „Wir verstehen uns blind.“ Kirschbaum gibt Zwischenzeiten durch und Anweisungen für die Strecke. Weil der 30-Jährige nicht immer verfügbar ist, sucht Yap nach einem weiteren Begleitläufer. „Er müsste aus der Nähe sein und er muss schnell sein“, sagt der 26-Jährige. Yaps Ziel sind 2:30 Stunden. Die Marathon-Norm für Tokio 2020 liegt wahrscheinlich bei 2:35.
Beim London-Marathon im April, seinem ersten internationalen Start überhaupt, brauchte Tien-Fung Yap 2:57:18. Damit war er nicht zufrieden. „Wir hatten freie Bahn und ich bin viel zu schnell angegangen.“ Außerdem musste er das erste Mal mit einer Verbindungsleine laufen. Aus diesen Erfahrungen hat Yap gelernt. Von Bundestrainerin Marion Peters hat er ein Trainingsprogramm bekommen. Er läuft jetzt auch im Stadion seine Runden und macht Intervalltraining. Aber am liebsten ist ihm sein Ober-Olmer Wald. „Beim Laufen kann ich die Krankheit verdrängen“, sagt Yap, der zwar selten, aber ab und zu dann doch noch mit seinem Schicksal hadert. Andererseits sagt er: „Die Krankheit hat mich erst zum Laufen gebracht. Und ein Leben ohne Laufen kann ich mir nicht mehr vorstellen.“