Sonntag,
06.10.2019 - 18:00
5 min
Ringer-Derby: Mainz bleibt Nummer eins

Von Nils Salecker
Sportredakteur

Mit der Niederlage von Robin Ferdinand (li.) gegen 88er Etka Sever hatten die Alemannen gerechnet. Über zwei Verwarnungen für Ferdinand ärgerten sie sich aber. (Foto: hbz/Stefan Sämmer)
MAINZ - BODENHEIM. Kleinere Reibereien auf und neben der Matte, Verwarnungen für einzelne Ringer, blutige Lippen. Überraschungen und überraschende Wenden. Dieses fünfte Rheinhessen-Derby in der Bundesliga hatte alles, was das Fan-Herz höher hüpfen lässt. Allerdings blieb die ganz große Spannung zwischen Alemannia Nackenheim und dem ASV Mainz 88 aus. Die Mainzer bezwangen die Alemannen erneut – diesmal mit 18:8. In der Deutlichkeit hatte das wohl niemand der gut 700 Zuschauer in der Bodenheimer Sporthalle Am Guckenberg erwartet. Die Alemannia-Fans hatten gar darauf spekuliert, erstmals in der Geschichte an der 88er-Vormachtstellung rütteln zu können. Danach mussten sie sich allerdings eingestehen, dass Mainz die Nummer eins in Rheinhessen bleibt. Das rot-weiße Lager skandierte lautstark den „Auswärtssieg“. Wie es dazu kam – die Chronologie des Abends.
Aufstellungspoker
Einen Aufstellungspoker hatten beide Trainer prophezeit. Und sie hielten Wort. Wie ernst beide Teams das Derby nehmen, offenbarte sich bereits mit Blick auf ihre Formationen. Denn beide boten die volle Kapelle auf und reizten die maximal erlaubten 28 Punkte pro Aufstellung aus. Während die Formation der Mainzer eine der bestmöglichen war, kein einziges Loch aufwies, hatten die Nackenheimer eines: Denn dass Koray Cakici im 71-Kilo-Greco-Limit gegen 88er Dawid Ersetic stilartfremd einige Punkte abgeben würde, war klar. Alemannia-Trainer Cengiz Cakici konnte anders als sein Mainzer Kollege David Bichinashvili nicht ganz aus dem Vollen schöpfen. Für das 86-Kilo-Greco-Limit fehlte ihm mit Arkadiusz Kulynycz (seit der WM verletzt) die beste Option. Cakici reagierte mit einigen unkonventionellen Maßnahmen: Er zog Tamas Levai erneut aus der 75-Kilo-Klasse nach oben, für ihn rückte Ruslan Kudrynets aus dem 71er- ins 75er-Limit nach. Die faustdickste Überraschung bot Nackenheim hingegen im 57 Kilo Freistil: Der Greco-Weltmeister von 2018, Eldeniz Azizli, kämpfte stilartfremd. „Wir mussten experimentieren“, sagte Cakici. Und dennoch meinte er: „Wir hätten mit der Aufstellung gewinnen können.“
Derby-Helden
Auch wenn die Alemannen zur Pause 6:4 führten, hatten sie den Sieg bereits in der ersten Hälfte des Kampfabends aus der Hand gegeben. Denn Punkte in zwei Kippkämpfen hätte es in Cakicis Siegrechnung unbedingt bedurft. Doch zwei 88er hielten mit unbändigem Willen dagegen: Ashot Shahbazyan gegen Alemanne Florian Losmann (61 Greco) und Ilir Sefaj gegen Viktor Lyzen (66 Freistil). Beide 88er hatten ihre ersten beiden Saisonkämpfe verloren und hoben sich den ersten Saisonsieg fürs Derby auf. Sefaj war nach den zwei Pleiten mächtig angefressen, verausgabte sich gegen Lyzen komplett. „Ich wollte den ganzen Frust rauslassen“, berichtet die 88er-Allzweckwaffe. Nur wenige Sekunden vor Kampfende führte Lyzen. Der Nackenheimer griff dennoch noch mal an, erklärte danach: „Angriff ist die beste Verteidigung.“ Doch das ging nach hinten los, die Wertung sicherte sich Sefaj und damit den Sieg. „Ich hätte einfach nur stehen müssen“, gestand sich Lyzen den Fehler ein. Zuvor hatte bereits 88er-Eigengewächs Shahbazyan gegen Losmann eine noch größere Aufholjagd gestartet, einen 0:7-Rückstand in ein 8:7 gedreht. „So lange noch Zeit da ist, ist ein Sieg möglich“, glaubte Shahbazyan an sich. Für den 18-jährigen Armenier war es der erste Bundesliga-Sieg, die Freude war riesig: „Im Derby, vor so vielen Zuschauern, einer der Sieger zu sein, ist super.“ Cakicis Coup, Azizli gegen den Mainzer Bekir Sahin stilartfremd aufzubieten (mit drei Mannschaftspunkten ging der voll auf), wurde durch diese beiden Pleiten schon früh am Abend entzaubert.
Kein Wunder
„Ich bin zur Pause ruhig geblieben“, sagte 88er-Coach Bichinashvili mit Blick auf den 4:6-Rückstand. Er wusste, dass einige seiner Granaten noch drankamen. Und auch Alemannia-Schwergewichtler Robin Ferdinand, der selbst gegen Etka Sever nicht unerwartet – aber durch zwei Verwarnungen unglücklich – zwei Mannschaftspunkte abgegeben hatte, sagte bereits in der Pause: „Wir brauchen einen Schultersieg oder Kubilay (Cakici, Anm. d. Red.) gibt gegen den Russen nicht so viel ab.“ Doch weder das eine noch das andere trat ein. Ganz im Gegenteil, es kam für die Hausherren viel schlimmer. Kubilay Cakici kämpfte gegen Timur Bizhoev (80 Freistil) meilenweit von seinem Anspruch entfernt, weltspitze zu sein. „Er hat mich zerlegt“, kommentierte der Alemanne. Und auch in den weiteren Duellen pulverisierten die 88er jeden noch so kleinen Restfunken Hoffnung der Nackenheimer, inklusive eines klaren Siegs für Batuhan Demercin im türkischen Duell mit Fazli Eryilmaz (Nackenheim), das Coach Cakici in seiner Siegrechnung eigentlich für seine Farben verbucht hatte.
AL. NACKENHEIM 8 ASV MAINZ 88 18
57 Kilo F: Azizli – Sahin 12:4 (Mannschaftspunkte: 3:0), 130 G: Ferdinand – Sever 3:8 (3:2), 61 G: Losmann – Shahbazyan 7:8 (3:3), 98 F: Dudarov – Remel 8:0 (6:3), 66 F: Lyzen – Sefaj 6:8 (6:4), 86 G: Levai – Akbudak 1:9 (6:7), 71 G: Koray Cakici – Ersetic 0:16 (6:11), 80 F: Kubilay Cakici – Bizhoev 1:17 (6:15), 75 F: Eryilmaz – Demircin 6:15 (6:18), 75 G: Kudrynets – Gürler 6:1 (8:18).
F = Freistil; G = Greco
F = Freistil; G = Greco
Frust und Feierei
Nach dem erneuten Derbysieg herrschten Euphorie und Genugtuung im Mainzer Lager vor. „Einfach geil“, sagte Sefaj, einer der Männer des Abends. Und Sever legte im Überschwang nach: „Wir haben sie zerstört.“ Ihr Trainer Bichinashvili, der sich im Vorfeld des Kampfes bedeckt gehalten hatte, sagte: „Wir wollten vorher nicht so viel reden und haben jetzt Taten sprechen lassen.“ Der 88er-Coach war „stolz auf das gesamte Team, Derbysiege machen immer richtig Spaß“. Auf der anderen Seite leckten die Alemannen ihre Wunden. Vor allem das Ergebnis schmeckte ihnen überhaupt nicht. „Das ist zu hoch ausgefallen“, meinte Coach Cakici, „wir haben insgesamt viel Pech gehabt.“ Damit meinte er nicht nur, dass seine Rechnung in den Schlüsselkämpfen nicht aufging, Cakici wähnte auch den Schiedsrichter gegen seine Mannschaft. „Vier Verwarnungen gegen uns waren ein bisschen überzogen.“ Unter anderem war Robin Ferdinand zweimal verwarnt worden, weil er die Hand an Severs Kopf hatte. „Er hatte seine aber in meinem Mund“, sagte der Schwergewichtler, der an der Lippe blutete. Der Frust stand Ferdinand ins Gesicht geschrieben. „Es war nicht die Machtdemonstration, nach der das Ergebnis aussieht“, sagte der Alemanne und blickte bereits kämpferisch voraus: „Wir sind als Team nicht schlechter als Mainz. Es ist einfach an der Zeit, dass wir sie besiegen.“