Siegfried „Siggi“ Wentz beim Speerwurf: Für den USC holte er unter anderem Olympia-Bronze 1984 in Los Angeles. Foto: imago
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MAINZ - Einen schöneren Flecken Erde kann sich Siegfried Wentz kaum vorstellen. Das Elsaß und die Schweiz um die Ecke, das Rheintal und den Schwarzwald direkt vor der Haustür – und obendrein die meisten Sonnenstunden Deutschlands. Keine Frage, Wentz hätte es deutlich schlechter antreffen können. Dort, wo andere Menschen Urlaub machen, lebt der einstige Weltklasse-Zehnkämpfer des USC Mainz mittlerweile seit rund 16 Jahren. Aus dem früheren Leichtathletik-Star ist ein Chefarzt geworden, dem sein Sport und seine alte Heimat immer noch enorm am Herzen liegen.
Medizinstudium schon während der Sportlerkarriere
Siegfried „Siggi“ Wentz leitet die Schlüsselbad-Klinik in Bad Petersau, eine Fachklinik mit angeschlossenem Rehazentrum für Innere Medizin, Orthopädie und Rheumatologie. Der Ex-Mainzer ist Chef von über 100 Mitarbeitern und geht in seiner Aufgabe voll auf. „Ich bin sehr zufrieden, alles läuft gut. Der Job ist nie langweilig, macht Spaß und ist eine Mischung aus Medizin, Organisation und Management“, erzählt Wentz im Gespräch mit der AZ. Schon während seiner Sportlerkarriere hatte er ein Medizinstudium in Mainz begonnen und es mit dem gleichen Ehrgeiz und der gleichen Konsequenz durchgezogen, wie er seine Höchstleistungen in den Stadien rund um den Globus angegangen ist.
„Für mich hatte der Sport damals einen gewaltigen Stellenwert. Aber mir war von Anfang an klar, dass das alleine nie ein Thema sein konnte. Mir war das Studium genauso wichtig wie der Sport“, blickt Wentz zurück. In der Wintersaison, wenn die Zahl der Wettkämpfe überschaubar war, widmete sich der Athlet mehr der Universität, im Sommer stand meist der Sport im Mittelpunkt. Zu seiner Zeit beim USC Mainz ließ sich beides ideal miteinander verbinden.
DIE SERIE
Ob Ringen, Handball, Rudern oder Fußball: In Mainz und Umgebung wurden auch in der Vergangenheit bereits sportliche Erfolge gefeiert.
Dabei haben sich Sportler hervorgetan, die den Menschen bis heute in Erinnerung geblieben sind.
Diese Sportler werden in loser Folge in der Serie „Kennen Sie noch?“ vorgestellt.
„Die Wege waren sehr kurz vom Leichtathletik-Stadion zur Uniklinik. Diese Mischung aus geistiger und körperlicher Anforderung war genau mein Ding“, erinnert sich der einstige Zehnkampf-Held, der 1981 zum USC gestoßen war und bis zum Karriereende Anfang der 1990er Jahre viele Triumphe als Mainzer feierte. Bei den Olympischen Sommerspielen 1984 in Los Angeles gewann Siggi Wentz die Bronzemedaille, genau wie bei der Leichtathletik-WM 1983 in Helsinki. Sein auf dem Papier größter Erfolg liegt bald 30 Jahre zurück: 1987 wurde der heute 56-Jährige Vize-Weltmeister in Rom. In seiner beeindruckenden Vita stehen unter anderem auch der Titel bei der Junioren-Europameisterschaft 1979 in Bydgoszcz und Bronze bei der Heim-EM 1986 in Stuttgart.
„Den wertvollsten Erfolg gibt es für mich nicht“, sagt Wentz nach kurzem Zögern. Allerdings sei gerade die Europameisterschaft in Stuttgart ein einmaliges Erlebnis gewesen. „Die Stimmung damals im Stadion war gigantisch“, schwärmt der gebürtige Schwabe. Ihm blutet das Herz, wenn er die Situation der Leichtathletik und deren aktuellen Stellenwert betrachtet. „Die Konkurrenz durch andere Sportarten ist viel größer geworden. Damals gab es neben dem Fußball noch Tennis, dann kam schon die Leichtathletik. Es gab einige Typen, so wie heute Robert Harting. Davon bräuchten wir gerade in Deutschland wieder viel mehr“, findet Wentz.
Für die Zuschauer sei der Sport längst ein undurchschaubarer Sumpf geworden, der auch durch immer neue Dopingvorwürfe und -fälle entstanden sei. „Das ist alles sehr unschön. Die Stadien werden kaum noch halb gefüllt und die Leichtathletik tut sich enorm schwer“, bedauert der frühere Leistungssportler. Während seiner Laufbahn war alles noch ganz anders. Der USC Mainz war eine Zehnkampf-Hochburg, bärenstarke Athleten wie Guido Kratschmer, Holger Schmidt oder Andreas und Thomas Rizzi gehörten alle demselben Verein an. „Mainz und der USC waren in den 1980er Jahren eine große Nummer im Zehnkampf. Jedes Training war wie ein Wettkampf, das Niveau beim USC war wahnsinnig hoch. In dieser Konzentration gab‘s das auf der ganzen Welt nicht“, reflektiert Siggi Wentz, dessen Bestleistung bei 8762 Punkten liegt.
Der mehrfache deutsche Meister und Goldmedaillengewinner der Universiade (1987), der zum Ende seiner Karriere noch für Bayer Leverkusen startete, hat heute zwar keinen direkten Kontakt mehr zum USC – doch was dort passiert, hat er nach wie vor im Blick. Vor allem die jüngsten Erfolge von Mehrkämpfer und Junioren-Weltmeister Niklas Kaul haben Wentz beeindruckt. „Der Junge ist super. Ich kenne seinen Vater Michael noch, der früher 400-Meter-Hürdenläufer war. Niklas ist in den technischen Disziplinen gigantisch. Für mich waren diese technischen Dinge damals eher schwierig“, erinnert sich Wentz mit einem augenzwinkernden Lächeln. Mit Leichtathletik-Abteilungsleiter Stephan Kallenberg, der auch Trainer von Olympia-Speerwerfer Julian Weber ist, ist Siggi Wentz befreundet. „Ein super Typ, der überhaupt nicht durchgeknallt und abgehoben ist. Er leistet beim USC sehr gute Arbeit“, lobt der Chefarzt.
An Mainz und seine Umgebung hat der 56-Jährige nur positive Erinnerungen. Zwei- bis dreimal im Jahr kommt er zurück, um alte Freunde und Bekannte zu besuchen. „Ich möchte diese Zeit nicht missen. Es war klasse, meine Kinder haben dort auch zum Sport und zur Leichtathletik gefunden und wir haben uns immer sehr wohlgefühlt“, betont Wentz, der in Finthen, Bretzenheim und dann mit seiner Familie viele Jahre in Klein-Winternheim gelebt hat. Damals sei alles noch deutlich entspannter und familiärer zugegangen. Und auch das Verhältnis zwischen dem USC und dem Sportinstitut der Uni viel lockerer gewesen.
„Wenn wir am Sonntagabend trainieren wollten, konnten wir vom Hallenwart problemlos den Schlüssel bekommen. Wir durften alle Räume benutzen. Es war früher ein super Miteinander zwischen Sportstudenten und Weltklasse-Athleten“, schildert Wentz. Die zwischenzeitlich aufgetretenen Differenzen zwischen USC und Sportinstitut hat er mitbekommen. „Das ist sehr schade.“
Ungeachtet dessen hat das einstige Aushängeschild der deutschen Leichtathletik etwas Abstand gewonnen zu seinem geliebten Sport. Siggi Wentz genießt sein Leben im Schwarzwald und ist dabei, sich Dinge zu erfüllen, die während seiner Athleten-Laufbahn nicht möglich waren. „Ich habe alle Motorboot-Führerscheine gemacht, und auch das Segeln hat es mir angetan“, berichtet Wentz. Einer Sache ist er übrigens stets treu geblieben: Wie schon zu USC-Zeiten steigt der frühere „Easy Rider vom Remstal“ noch immer gerne aufs Motorrad. In einer der schönsten Ecken Deutschlands.