DFB-Elf begeistert bei EM-Qualifikations-Spiel gegen Estland
Das EM-Quali-Spiel des DFB-Teams in Mainz brachte den Esten eine Packung, Jogi Löw ein Gruppen-Selfie und insgesamt viele neue Erkenntnisse auf dem Weg zur Europameisterschaft 2020.
Von Henning Kunz
Stellvertretende Leitung Sport
Deutschlands Spieler gehen nach dem 8:0-Sieg gegen Estland eine Ehrenrunde durch das Stadion, vorne Torwart Manuel Neuer.
(Foto: dpa)
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MAINZ - Das Um-die-Wette-Grinsen für den nächtlichen WhatsApp-Gruß an den daheim gebliebenen Bundestrainer fällt der gut gelaunten Gesellschaft nicht schwer. Eben noch von den 26.050 Fans gefeiert und bei der Abschlussrunde mit Applaus verabschiedet, posieren die nicht weniger euphorischen Nationalspieler nun zwischen Dreckwäsche und Wasserkiste für das obligatorische Kabinen-Gruppenselfie. Und zack – darf sich Couch-Potato Jogi Löw nach dem 8:0-Torfestival seiner DFB-Elf gegen Estland über den schnellen letzten Gruß aus Mainz freuen, bevor sich alle Beteiligten in sämtliche Himmelsrichtungen verstreuen. Ab in den Urlaub.
Sie treten ihre Reisen nach Dubai, auf die Malediven und die USA mit positiven Gefühlen an. Noch ein wenig berauscht von dieser fußballerisch kreativen Demonstration gegen allenfalls viertklassige Esten, die in der Weltrangliste zwischen Jordanien und Kirgisistan besser aufgehoben sind als am Dienstagabend auf dem saftigen Grün der ausverkauften Opel-Arena. „Wir wissen schon“, sagt Marco Reus, Doppeltorschütze und mit 30 Lenzen neben dem gefeierten Kapitän Manuel Neuer der Alterspräsident inmitten der jungen Wilden, „dass Estland und Weißrussland nicht die Kategorie wie Holland oder Frankreich sind. Deshalb müssen wir auf dem Boden bleiben.“
Interims-Cheftrainer Sorg: „Hätte nicht viel besser laufen können“
Ganz so heftig will der Zehn-Tage-Zehn-Tore-Cheftrainer Marcus Sorg nicht auf die Euphoriebremse treten. „Das hätte nicht viel besser laufen können. Die Mannschaft sprüht vor Energie. Sie ist gewillt, Siege einzufahren und mit Leidenschaft zu spielen. Der Bundestrainer kann im September mit einer optimalen Ausgangsposition weiterarbeiten. Bis dahin haben wir zwar noch ein bisschen Zeit, aber wir wollen die Begeisterung mitnehmen.“
Mit ihrem „Voll-Bock-Fußball“ (Joshua Kimmich) hatte die DFB-Elf gleich von Beginn an die Fans „ins Boot geholt“. Julian Draxler ist wahrlich nicht der einzige Protagonist, der dem sympathischen Mainzer Publikum huldigt. „Die Stimmung war sehr, sehr gut. Deswegen hat es sehr viel Spaß gemacht. Das ist immer ein Geben und Nehmen, wenn wir auf dem Platz nichts liefern, ist die Stimmung auch dementsprechend. Und die war absolut super.“
Wechselspiel zwischen DFB-Elf und Fans funktioniert
Es ist dieses oft zitierte Wechselspiel, das dieses Mal perfekt funktioniert. Natürlich müsse man in Vorleistung treten, sagt Marco Reus, „und natürlich hätten wir gerne immer die Unterstützung wie vor drei, vier Jahren“. Vor drei, vier Jahren stand vieles noch unter dem Eindruck des WM-Titels. Und nun ist man gerade dabei, sich wieder in der Beliebtheitsskala nach oben zu spielen. Sieht Joshua Kimmich übrigens genauso: „Die Fans haben gemerkt, dass wir Bock auf Fußball haben, dass wir Bock darauf haben, viele Tore zu erzielen, dass wir eine gewisse Spielfreude und Leidenschaft reinbringen wollten. Alle hatten Spaß – bis auf den Gegner.“
Andererseits: Weißrussland und Estland waren genau die richtigen Gegner in einer Saisonphase, in der sich viele Spieler nach der langen Saison schon im Urlaubsmodus befanden, einige nach dem Bundesliga-Saisonfinale Mitte Mai sogar schon mal ein paar Tage in die Sonne gereist waren und sich für die beiden EM-Quali-Partien noch mal aufrafften. „Das war für uns alle hier kein leichter Lehrgang. Nachdem viele schon im Urlaub waren, jetzt noch mal hochzufahren“, sagt Leon Goretzka. „Es ist wichtig, dass wir jetzt alle mal die Füße hochlegen, dann sammeln wir uns. Natürlich sind Spiele wie gegen Nordirland und Holland etwas besonderes und dann wollen wir alles auf den Platz bringen, was wir in den vergangenen Wochen gelernt haben.“
Nationalspieler freuen sich jetzt auf Sonne, Strand und Meer
Zwölf Monate nach dem WM-Debakel von Russland und exakt ein Jahr vor der Europameisterschaft 2020 stimmt auch die sportliche Entwicklung zuversichtlich. Sorg findet, dass „da etwas zusammenwächst – mit ganz viel Potenzial. Aber jetzt Prognosen zu geben, ist schwer.“ Es sei jedenfalls eine Menge passiert, findet Marco Reus, personell wie spielerisch. Die Jungen rücken mehr und mehr in den Vordergrund, übernehmen Verantwortung, sprudeln geradezu vor Spielfreude. Raffiniert, diese Burschen, und handlungsschnell. Dazu kam gegen überforderte Esten eine Konsequenz, die nicht selbstverständlich ist für die sogenannten großen Nationen in den Duellen mit den Fußballzwergen. Auch nicht für die DFB-Kicker. Die freuen sich erst mal auf Sonne, Strand und Meer. Und im September auf ein Wiedersehen mit dem Bundestrainer. „Jogi“, sagt sein Vertreter Marcus Sorg, „ist hier derjenige, der vorangeht, an dem sich alle orientieren und festhalten.“ Und bis zum großen Hallo im Spätsommer hält sich Jogi Löw an seinem virtuellen Kabinengruß fest.