Wortpiratin: Nie wieder - Erinnerungstag im deutschen Fußball
Im Fußball gilt der Januar seit einigen Jahren nicht nur als eine Zeit des Neustarts, sondern abermals als eine des Erinnerns: an die Opfer des NS-Regimes.
Von Mara Pfeiffer
Ein Mainz 05-Wimpel zum Gedenken in Auschwitz.
(Archivfoto: Fanprojekt Mainz)
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MAINZ - Zwischen den Jahren gelten ganz eigene Gesetze, vor allem für die Glücklichen unter uns, die nicht arbeiten müssen, den ganzen Tag im Schlafanzug durch die Wohnung tingeln und abends bis Silvester die Reste vom Weihnachtsessen täglich mit neuem Käse überbacken.
Zwischen den Jahren gilt auch eine besondere Zeitrechnung, man nimmt gedanklich Abschied, sammelt Gutes ein und überführt es ins neue Jahr, wirft erste neugierige Blicke auf das, was bevorsteht. In diese Zwischenzeit passen die vielen Rückblicke auf die letzten zwölf Monate oder gar zehn Jahre, die nun hinter uns liegen, perfekt. Ist der Januar erst angelaufen, richtet sich der Blick allerdings nach vorn, gilt die Zukunft wieder mehr als die Vergangenheit. Neustart.
So ist das, sportlich gesehen, natürlich auch im Fußball, wo die Verantwortlichen von Mainz 05 die zurückliegenden Monate analysiert und aufgearbeitet haben und nun im Trainingslager im sonnigen Andalusien ihre Rückschlüsse in frische Taten umsetzen. Diesen soll im Idealfall eine erfolgreiche Rückrunde folgen, an deren Ende der erneute Klassenerhalt steht. So weit, so offensichtlich.
Im Fußball gilt der Januar aber seit einigen Jahren nicht nur als eine Zeit des Neustarts, sondern abermals als eine des Erinnerns: an die Opfer des NS-Regimes.
Die Initiative zum so genannten Erinnerungstag im deutschen Fußball hat sich das Motto der Überlebenden des Konzentrationslagers Dachau gegeben: „Nie wieder!“ Gegründet wurde sie am 27. Januar 2004 in der Evangelischen Versöhnungskirche, KZ-Gedenkstätte Dachau. Damit spannen die Initiator*innen den Bogen zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945, dessen Jahrestag sie auch für ihre jährlichen Aktionen ausgewählt haben.
„Erinnern reicht nicht“ lautet die Überzeugung des bürgerschaftlich organisierten Bündnisses, das sich gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in den Fußballstadien wendet. Auslöser zur Gründung war eine Aktion in Italien: Riccardo Pacifici, damals Sprecher der jüdischen Gemeinde in Rom, regte für den 27. Januar 2004 einen „Tag des Erinnerns, um nicht zu vergessen“ in Liga A und B an. Eberhard Schulz, Sprecher von „!nie wieder“, erfuhr im Vorfeld durch Presseberichte davon – so kam es zur zeitgleichen Gründung der Initiative.
In Mainz ist aus dem eigentlichen Erinnerungstag mittlerweile eine ganze Veranstaltungsreihe entstanden: Angeführt von den Freizeitkickern von Ente Bagdad, mitgetragen vom FSV Mainz 05 und im Zusammenarbeit mit dem Fanprojekt Mainz e.V., den Supporters Mainz und dem Q-Block werden hier rund um den 27. Januar die „Mainzer Erinnerungswochen“ abgehalten. In diesem Jahr erstrecken sich die Veranstaltungen vom 19. Januar bis 11. Februar und reichen von der Stadionaktion über Ausstellung und Stadtführung bis zu einem Fußballturnier.
Die Protagonist*innen der Mainzer Initiative stehen für die Überzeugung, dass sich Sport und Politik nicht trennen lassen und füllen die Verantwortung, die dem Fußball so zukommt, mit Leben. Die Verbindung von Sport und Politik verdeutlicht auch eine Ausstellung im Fanhaus: „Abseits im eigenen Land“ widmet sich Sinti-und-Roma-Sportlern und den Widrigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatten. Den Nazis galten die oft als „Zigeuner“ Verunglimpften ähnlich wie Juden als „rassisch minderwertig“. Europaweit starben vorsichtigen Schätzungen zufolge mehrere hunderttausend Sinti und Roma an den Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes. Ihnen ist der 16. Erinnerungstag im deutschen Fußball im Besonderen gewidmet.
Damit greift das Bündnis auch eine spezielle Verantwortung des deutschen Fußballs auf: Ex-DFB-Präsident Felix Linnemann (1925-1945) wirkte in der NS-Zeit als SS-Obersturmbannführer direkt an der Verfolgung der Sinti und Roma mit. Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma, wird vor dem Heimspiel der Mainzer gegen Bayern München am 1. Februar im Stadion in den Bretzenheimer Feldern eine Ansprache halten.
Gerade in Zeiten wie diesen, in denen sich die Grenzen des Sagbaren längst verschoben haben und auf Hass und Ausgrenzung in Worten bereits Taten folgen, ist es besonders wichtig, die Erinnerung an die unvorstellbaren Gräuel der NS-Zeit unmissverständlich aufrecht zu erhalten. Denn wenn wir vergessen, was damals geschehen ist, wird sich Geschichte wiederholen. Wer seine Großeltern einst mit Unverständnis fragte: „Warum habt ihr geschwiegen?“ kann es nun selbst besser machen, als die schweigende Mehrheit damals. Kann die Stimme erheben, sich einbringen und dem Hass die Stirn bieten in Worten und Taten. Den Mainzer Aktiven um Ente Bagdad, die für ihr generelles Engagement kürzlich mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet wurden, gebührt für ihr fortwährendes Engagement und das aktuelle Programm viel Lob und Dank und die Veranstaltungen seien allen Mainzer*innen ans Herz gelegt. Nie wieder.
Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Unter anderem von "111 Gründe, Mainz 05 zu lieben" (mit Christian Karn). Aktuell erschienen: "Im Schatten der Arena - der Mainz-05-Krimi".
Homepage: www.marapfeiffer.de
Mara Pfeiffer bei Twitter: Wortpiratin