Wortpiratin Mara Pfeiffer: Gute Pyro, schlechte Pyro!
Bei dem einem Pokalspiel wird die Atmosphäre des Feuerwerks gelobt, beim anderen droht Spielabbruch wegen Pyro. Wortpiratin Mara Pfeiffer über die Doppelmoral beim Thema Pyrotechnik.
Von Mara Pfeiffer
Beim DFB-Pokal zwischen BSG Chemie Leipzig und SC Paderborn 07 zünden die Paderborner Fans Pyro in ihrem Fanblock. Foto: dpa
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MAINZ - Am Dienstagabend, lange bevor Mainz 05 in Augsburg überhaupt auf dem Platz stand, strahlte der Himmel über Leipzig-Leutzsch zu Beginn der Partie BSG Chemie gegen den SC Paderborn bereits. Das lag nicht nur an der mobilen Flutlichtanlage, die extra für die DFB-Pokalbegegnung ausgeliehen worden war, sondern auch am mächtigen Feuerwerk, das hinter der Tribüne, und jeder Menge Pyrotechnik, die im Block abgebrannt wurde. Bereits das Abschlusstraining am Montag hatten die Fans mit Pyro begleitet, beim Kick selbst ließen sich auch die mitgereisten Paderborner nicht lumpen und verpassten dem Kürbis in ihrer Choreografie feurige Augen.
Im Nachgang wurde diese „stimmungsvolle Atmosphäre“ vielfach positiv hervorgehoben, von einem unvergesslichen Ereignis war da die Rede. Als später am selben Abend Fans des HSV in Wiesbaden Pyrotechnik zündeten, wurde zunächst vor Ort, später auch medial der Untergang des Abendlandes beschworen. Das Spiel stand sogar kurz vorm Abbruch, was den Ex-Mainzer Lewis Holtby auf den Plan rief, der lange am Zaun verweilte, um die Fans zu beschwören, es so weit nicht kommen zu lassen.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin ein klein wenig verwirrt. Wird Pyro, die nach acht abgebrannt wird, heißer als die um 18.30 Uhr? Bemisst sich die Gefahr daran, in welcher Liga der Verein spielt, dessen Fans sie in den Händen hält? Ist sie vielleicht im Osten weniger gefährlich als im Westen? Oder haben wir es etwa mit – wie sage ich das jetzt – ah ja, Doppelmoral zu tun? Und wurde ein Abbruch in Wiesbaden deshalb früh ins Spiel gebracht, weil DFB-Chef Reinhard Grindel im Stadion weilte?
Klingt nach einer irren Verschwörungstheorie? Schon möglich, nur, welche Erklärung für die unterschiedliche Bewertung fällt Ihnen ein? Eben. Beim Thema Pyro herrscht relatives Chaos. Beide Ereignisse und die jeweiligen Reaktionen darauf illustrieren wunderbar zumindest einen Teilaspekt der Problematik: Die Diskussion wird leider extrem verlogen geführt. So sind auch heute Kommentatoren keine Seltenheit, die Pyro in Stadien im Süden Europas schwärmerisch erwähnen. Gleichzeitig werden die Fackeln in der 1. und 2. Bundesliga teilweise besprochen, als stünden da Fans mit Schusswaffen am Zaun und ballerten wüst auf den Rasen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Es liegt mir fern, eine Lanze für illegale Pyroshows zu brechen. Denn es ist nun mal unerheblich, ob ich, der Fan in der Loge oder der Ultra sie stimmungsvoll finden oder nicht, weil sie verboten sind. Wichtig finde ich aber zwei Hinweise: Erstens, die Diskussion ist längst total hysterisch und wird häufig von Menschen geführt, die keine Ahnung davon haben. Und zweitens, Pyro im Stadion war nicht immer verteufelt, es gab Anfang der 2010er zudem konstruktive und ergebnisoffene Gespräche zwischen Fans und Verbänden, bei denen auch das kontrollierte Abbrennen in speziellen Bereichen diskutiert wurde. Dass diese ohne Erklärung seitens der Verbände abgebrochen wurden, hat Helmut Spahn, ehemaliger DFB-Sicherheitschef, der diese Rolle heute bei der FIFA innehat, immer kritisiert, genauso wie die generelle Kriminalisierung der Fans. Seine Einschätzung ist auch deshalb bemerkenswert, weil er Polizeibeamter war – und die Beziehung von Szene und Polizei nicht die beste ist.
Unerträgliche Kriminalisierung der Fans
Ich verstehe die Beiß- und Kläffreflexe bei einem derartigen Reizthema durchaus, Menschen funktionieren halt so. Auch, dass die Darstellung der Materie häufig eine gewisse Verkürzung erfährt, ist fast unvermeidbar. Allein, die Gräben, die aufgerissen werden, sind ein Problem, weil sie die Fans untereinander spalten – was immer eine Schwächung bedeutet –, und weil es langfristig keine einfachen Lösungen gibt. Kurzfristig ist durch die Verbote eine Faktenlage gegeben, aber um auf ein Interview mit Spahn 2012 im Magazin 11 Freunde zu verweisen: Mit Verboten alleine wird sich das Thema nicht lösen lassen. Klingt verrückt, ist aber so und liegt auch am erwähnten Abbruch des Dialoges, den die Szenen bis heute bitter erinnern.
Erschwerend kommt nun hinzu, dass die organisierten Szenen (die in Mainz gehört nicht dazu) den Dialog mit den Verbänden im Sommer aufgekündigt haben, weil sich bei ihnen das Gefühl verstärkte, jene betrieben Symbolpolitik und wollten nicht wirklich etwas ändern. Die Ansage „Ihr werdet von uns hören“ mag einer der Gründe dafür sein, warum zuletzt in einigen Stadien das Gefühl erhöhter Polizeipräsenz herrschte, auch die Supporters und das Fanprojekt Mainz berichten in ihrer Stellungnahme zu Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der Szene davon.
Diese Entwicklung ist fatal, denn die weitere Kriminalisierung der Fans als Kollektiv ist schlicht unerträglich. So berechtigt Kritik an gewissem Verhalten sein mag, so berechtigt ist der Ärger etlicher Fans, als wilde Horde beschrieben zu werden, die plündernd durchs Land zieht.
Die Stadien sind voll mit Zehntausenden Menschen, die den Fußball lieben, die im Block sitzen oder stehen, um ihrer Mannschaft die Daumen zu drücken, Freunde zu treffen, weil sie eine Leidenschaft zu Verein und Fußball eint und weil sie verrückt genug sind, sich dafür im tiefsten Winter im Zweifelsfall stundenlang die Füße blau zu frieren. Auch bei denjenigen Fans, die im Block Pyro abbrennen, ist eine differenzierte Betrachtung wichtig, sprich: Man kann schon per Verbotslage ihr Verhalten verurteilen, es macht die Jugendlichen aber nicht zu Verbrechern und es ist unverhältnismäßig, so zu tun, als fräßen sie nach Abpfiff die Einlaufkinder.
Statt Eskalation anderen Weg suchen
Nochmal: Es gibt keine einfachen Lösungen. Das tut weh, ist aber Fakt. Es schadet also nichts, sich mit dem Weg zum Status Quo auseinanderzusetzen, bevor man sein Urteil fällt. Es schadet auf er anderen Seite sehr wohl, dass aktuell der Dialog ruht und die Szenen sich Gesprächen mit der Polizei meist verweigern, obwohl auch in Mainz Alban Ragg, Leiter der Polizeidirektion, die Bereitschaft dazu immer wieder signalisiert. Eine weitere Eskalation bringt dennoch nichts als Zorn und Tränen. Gerade wenn Pyro bei Auswärtsspielen brennt, stehen rundherum mehr Unbeteiligte als Beteiligte. Ein Blocksturm wie zuletzt in Dortmund ist ein fatales Signal.
Pyrotechnik ist letztlich auch so etwas wie eine letzte Bastion, die eine Möglichkeit, sichtbar ein Zeichen zu setzen, den eigenen Unmut darüber zu zeigen, wie der Fußball und seine Fans gegängelt werden. Und mit dem Gefühl, diesen Sport und alles, was dazugehört, immer mehr entrissen zu bekommen, sind die Ultras schon lange nicht mehr alleine. Man kann ihnen sicher vorwerfen, sich mit ihrem Feuerwerk nicht an Regeln zu halten. Man kann auch bemängeln, dass sie sich an der einen oder anderen Stelle zu wichtig nehmen. Keinesfalls sollte man sich aber auf die Denkweise einlassen, die aktiven Szenen würden diesen Sport zerstören.
Dafür sorgen andere und denen, so scheint es, käme eine ordentliche Eskalation bisweilen gar nicht mal ungelegen, um ihren Standpunkt zu stärken. Die eingangs aufgezeigte Doppelmoral ist ein Zeichen dafür. Letztlich ist die Darstellung von Zehntausenden Fans im Stadion geprägt von Momenten, in denen der geringste Teil von ihnen die Regeln missachtet. Das passiert in dieser Form so nirgendwo, sonst würden beispielsweise Autofahrer als rücksichtslose Idioten gebrandmarkt, weil einige Raser sich und andere gefährden. Im Endeffekt lenkt die lautstarke Diskussion um Pyrotechnik ohnehin nur davon ab, was Fans Jahr für Jahr neu zugemutet wird, und darauf sollte man sich nicht einlassen. Insgesamt muss es einen anderen Weg geben, als den der Eskalation, und alle Parteien sind gefordert, ihn gemeinsam zu suchen.
Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Unter anderem von "111 Gründe, Mainz 05 zu lieben" (mit Christian Karn). Aktuell erschienen: "Im Schatten der Arena - der Mainz-05-Krimi".
Homepage: www.marapfeiffer.de
Mara Pfeiffer bei Twitter: Wortpiratin