Kolumne von Wortpiratin Mara Pfeiffer: Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte
Eigentlich ist das Auswärtsspiel des FSV Mainz 05 am Samstag in Stuttgart eine ganz normale Partie. Und doch steckt eine ganz besondere Geschichte in dieser Partie: Mainz 05 fährt zum ersten Auswärtsspiel der Saison nach Stuttgart. Bundesligist trifft Aufsteiger. Das geschah so auch im August 2004.
Von Mara Pfeiffer
Torschützen unter sich: Christof Babatz (rechts) erzielte am 8. August 2004 den ersten Bundesliga-Treffer überhaupt für Mainz 05, Cacau gleich drei Tore zum 4:2-Erfolg des VfB Stuttgart. Archivfoto: rscp
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MAINZ - Eigentlich ist das Auswärtsspiel des FSV Mainz 05 am Samstag in Stuttgart eine ganz normale Partie. Klar, eine, die von relativ hohen Erwartungen (oder Hoffnungen) begleitet wird: Weil der Auftakt gegen Aufsteiger Hannover vor heimischem Publikum leider in die Hose ging – zumindest, was die Punktausbeute angeht. Nun müssen an diesem Spieltag gegen Aufsteiger Nummer zwei schon irgendwie Punkte her, bevor die Bundesliga bereits eine erste kurze Pause macht – und dann als nächste Gegner Bayer 04 Leverkusen, Bayern München und Hoffenheim warten. Trotzdem, ein ganz normales Auswärtsspiel: hinfahren, kämpfen, heimkommen.
Und doch steckt eine ganz besondere Geschichte in dieser Partie: Mainz 05 fährt zum ersten Auswärtsspiel der Saison nach Stuttgart. Bundesligist trifft Aufsteiger. Das geschah so auch im August 2004. Damals war das erste Auswärtsspiel der 05er zugleich Saisonauftakt – und die Premiere der Mainzer in der 1. Bundesliga. Die von Wagenladungen rotweißer Fans begleitet wurden, deren erklärtes Ziel es war, die Bundesliga für alle Zeiten einzunehmen. Was, wenn wir nun zurückschauen, von einer kleinen Flugschleife zurück in Liga zwei abgesehen, seither richtig gut geklappt hat. So gut, dass heute Mainz 05 als etablierter Erstligist antritt gegen den Aufsteiger aus Stuttgart, der letzte Saison eine Schleife in der 2. Liga drehen musste.
Stuttgart, Nürnberg, München, Leverkusen, Wolfsburg, Bremen, Hertha, Bochum, Bielefeld, Freiburg, Mönchengladbach, Rostock, Dortmund, Hannover, Schalke, Kaiserslautern, HSV. Das war, neben den Mainzern, in jener Saison das Teilnehmerfeld der 1. Liga. Aus heutiger Sicht eigentlich fast nicht vorstellbar, oder? Nürnberg hat den Fahrstuhl zwischen den Ligen seither mehrfach bemüht, Bochum verliert (leider) regelmäßig auf den letzten Metern die Luft für den Kampf um den Aufstieg ins Oberhaus und Kaiserslautern durfte sich als dauerhafter Zweitligist etablieren. Und Mainz 05? Ist immer-noch-wieder-hier und gekommen, um zu bleiben.
Spielt mit einer zu vernachlässigenden Unterbrechung eine Geige im Konzert der 18 besten Teams in Deutschland. Hat sich nach wie vor seine Vereinsstruktur erhalten. Spielt in einem modernen Stadion, überlebt auch Krisen, erfindet sich neu, ohne seine DNA zu verleugnen – und wird in Zeiten von Hoffenheim, Red Bull und den just wieder abgestiegenen Ingolstädtern sogar Fußballanhängern sympathisch, die vor 13 Jahren im Angesicht des Bundesliganeulings noch dessen vermeintlich fehlende Tradition bemängelten. Alles richtig gemacht.
Da ist natürlich ein wenig Schönfärberei dabei. Fehler passieren, das dürfen sie auch, wir sind ja alle Menschen. Zwischendurch war’s mal ganz schön knapp, normale Härte eben, trotzdem bewahrt sich der Verein seine Allergie gegen die Abstiegsplätze. Die Stadionauslastung hatte zuletzt besonders viel Luft nach oben, blöde Geschichte, aber Mainz bleibt eben die von Lars Reichow zärtlich besungene Metropole der Provinz, auch in Sachen Fußball. Und das ist keine Schande, egal was die hessischen Nachbarn sagen. Unser Traum lebt, das ist es, was zählt.
Also auf, auf, nach Stuttgart. Unterwegs in alten Zeiten schwelgen und das erste Liga-Tor der Vereinsgeschichte durch Bum Bum Babatz so oft nacherzählen, bis wir der Meinung sind, es selbst geschossen zu haben. Auswärtsluft schnuppern, bevor die Liga schon wieder eine kleine Pause macht und damit Platz für die Nationalmannschaft. Die Wehmut der Stuttgarter nach unserem Neuzugang Alexandru Maxim genießen. Und unsere Geschichte weiterschreiben.
Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Unter anderem von "111 Gründe, Mainz 05 zu lieben" (mit Christian Karn).
Homepage: www.marapfeiffer.de
Mara Pfeiffer bei Twitter: Wortpiratin