Kolumne der Wortpiratin: (Nur noch) Liebe für Michael Thurk
Michael Thurk ist und bleibt der tragische Aufstiegsheld des FSV Mainz 05. Natürlich hat er beide Gefühle - Liebe und Wut - verdient, meint unsere Kolumnistin. Letztere dürfte sich aber inzwischen gut und gerne abgekühlt haben.
Von Mara Pfeiffer
Michael Thurk (li.) und Sandro Schwarz gemeinsam auf dem Feld bei einem Mainz-05-Spiel.
(Archivfoto: Sascha Kopp)
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MAINZ - Michael Thurk. Der Killermiffel. Trauriger Aufstiegsheld. Der Mensch, der vermutlich mehr Zeit seines Lebens beim Zahnarzt verbracht hat, als beim Friseur. Und dort vermutlich auch mehr Geld gelassen, nachdem er bei einem Spiel für Energie Cottbus im Oktober 2004 zwei Zähne im Knie von Triers Claus Grzeskowiak zurückließ. Jener Grzeskowiak übrigens erholte sich nur äußerst langsam von dem Zusammenprall, weil die Rissverletzung durch den unbeabsichtigten Biss zu einer Entzündung im Knie führte, sodass er seine Karriere erst 2008 in Luxemburg noch einmal fortsetzen konnte. Aber das ist eine ganz andere Geschichte...
Oder vielleicht auch nicht, weil Michael Thurk immer für die Art von Geschichte gut war, über die man geneigt ist zu unterstellen: „Das hast du dir doch ausgedacht.“ So war das schon, als er den 1. FSV Mainz 05 persönlich zum Aufstieg schoss – nur um ihn dann, wie vereinbart, gen Cottbus zu verlassen. Jenen Verein, die Geschichte kennt jede*r 05er, der durch den Aufstieg des FSV reichlich überraschend in der zweiten Liga verblieb.
Eines der schönsten Tore im Jubiläumsspiel gegen Schalke 04
Es dauerte dann nur bis zur Winterpause, dann war Thurk auch schon wieder in Mainz. Wo er wie eh und je mit den Schiedsrichtern diskutierte und Tore schoss, eines der schönsten beim Sieg der Mainzer im „Jubiläumsspiel“ gegen Schalke 04. Und was war das bloß für eine Partie, bei der er dem am Boden liegenden Kumpel Mimoun Azaouagh vor lauter Euphorie eben kurz die Eier durchschaukelte? Undenkbar damals, dass er je noch mal in anderen Farben auflaufen würde als denen der Mainzer. Thurk und 05, das schien für die Ewigkeit gemacht.
Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt, mit einem seltsam provozierten Abgang war das Kapitel Miffel in Mainz plötzlich beendet und der einstige Held lief nun ausgerechnet für die Eintracht auf, in deren Bettwäsche er vermutlich als Frankfurter Bub immer geschlafen (...) hatte. Die Mainzer Fanherzen brachen, in der 05-Fanseele tobte ein Sturm. „Thurkdusao“, so die einhellige Meinung, brauche sich am Bruchweg nie mehr blicken zu lassen.
Was wiegt schwerer? Thurks Heldentaten oder das Gefühl, verlassen worden zu sein?
Mehr als zehn Jahre sind seither vergangen, in denen Michael Thurk nach kurzer Glücksphase im Trikot der Eintracht noch für den FC Augsburg und den 1. FC Heidenheim spielte, bevor er die Karriere beendete, eine Ausbildung zum Steuerfachangestellten machte, als Jugendtrainer tätig war und schließlich 2018 die Trainerlizenz erwarb. Der Kontakt nach Mainz intensivierte sich zuletzt spürbar und als Thurk beim Jubiläumsspiel anlässlich der Aufstiege in die erste Liga den Bruchwegrasen betrat und in die Sonne blinzelte, entbrannten im Block Wortgefechte, was denn nun schwerer wiege, seine Heldentaten oder das Gefühl, verlassen worden zu sein.
In den „111 Gründen, Mainz 05 zu lieben“ haben wir damals für Michael Thurk ein Denkmal mit Scharnier am Sockel angeregt, mit dem man ihn beliebig oft umkippen lassen und wieder aufstellen kann: „Verdient hat er's. Den Sturz und die Erhöhung.“
Was der Stürmer geleistet hat, bleibt für immer bestehen
Verdient hat er auch beide Gefühle: die Liebe und die Wut. Letztere darf sich inzwischen aber gut und gerne abgekühlt haben, was Thurk hingegen für seinen Verein getan hat, bleibt in der Geschichte der 05er für immer bestehen. Coach Sandro Schwarz jedenfalls wird sich schon etwas dabei gedacht haben, den emotionalen Miffel, der als Straßenfußballer begann, in sein Trainerteam zu holen. Wenn der Mainzer Sturm nun in den kommenden Jahren einige Tore der Marke Thurk schießt, in Schönheit und Bedeutung, wird das Scharnier am Sockel des Miffel-Denkmals am Ende vielleicht doch nicht nötig sein. Willkommen daheim.
Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Unter anderem von "111 Gründe, Mainz 05 zu lieben" (mit Christian Karn).
Homepage: www.marapfeiffer.de
Mara Pfeiffer bei Twitter: Wortpiratin