Kolumne der Wortpiratin: Geschlossen hinter dem Verein stehen
Was in diesen - schwierigen - Tagen für Mainz 05 das Beste ist, scheinen viele Fans genau zu wissen. Schwarz raus, Schröder raus, alle raus. Stattdessen sollte man sich in Mainz an alte Tugenden erinnern.
Von Mara Pfeiffer
Der 05er Stefan Bell (r.) versucht Sasa Kalajdzic von Stuttgart zu stoppen.
(Foto: dpa)
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MAINZ - Woran denken Sie, wenn Sie eine Flasche Ketchup sehen? Klar, Pommes, wobei mir da noch die Mayo fehlen würde. Rot-Weiß eben. Aber ich denke auch bis heute an Kasper Hjulmand, der, als er noch für den 1. FSV Mainz 05 an der Seitenlinie stand, einmal den Vergleich gezogen hat zwischen einer Flasche Ketchup und den Stürmern einer Fußballmannschaft: Der Anfang kann bisweilen ein bisschen schwierig sein. Aber wenn es läuft, dann läuft es. Nur bis dahin ist es manchmal ein fürchterlich frustrierendes Geschüttel...
Fürchterlich frustrierend ist auch eine ziemlich perfekte Beschreibung der aktuellen Situation bei Mainz 05. Das liegt nicht zuletzt daran, dass eben der Ketchup noch in der Flasche klemmt. Und es gibt niemanden, der das nicht wahrnimmt, egal ob Verantwortliche oder Anhang. Die erste Halbzeit beim Heimspiel gegen Wolfsburg offenbarte eklatante Schwächen, aber auch, dass ein Team wie die 05er nicht auf jeder Position ohne Qualitätsverlust doppelt besetzt sind, es gar nicht sein können, weshalb jeder weitere Ausfall die aktuelle Mission noch schwieriger macht, als sie ohnehin ist. Dazu kommt mit jedem Spiel mehr Verunsicherung.
Parallelen zu Kasper Hjulmand
Zu Kasper Hjulmand beziehungsweise der Saison unter dem Dänen, der irgendwie zur falschen Zeit am richtigen Ort war, gibt es derzeit ohnehin Parallelen. Pokalaus gegen den Drittligisten (der Chemnitzer FC), schwacher Saisonstart mit damals zwei Unentschieden, erster Sieg gegen die Hertha. Danach ging es erst ziemlich steil aufwärts und dann in Sachen Ergebnissen schnell abwärts, was sich aufgrund des Zwischenhochs in der Tabelle lange nicht zeigte. Und als nach einem wundervollen Spektakel daheim gegen Paderborn auch die Rückrunde schnell wieder entglitt, musste der mit vielen Vorschusslorbeeren gestartete Hjulmand in Mainz seine Koffer packen. Ob darin auch eine Flasche Ketchup ihren Platz fand, ist nicht überliefert.
Da stand Mainz auf Platz 14. Aus heutiger Sicht ein Träumchen. Die Entlassung des Trainers rief entsprechend gemischte Gefühle hervor. Die einen waren froh, weil sie glaubten, die Art und Weise, wie der Däne Fußball spielen ließ, habe eh nie zu Mainz gepasst. Bei den anderen überwog die Enttäuschung darüber, nicht länger an Hjulmand festgehalten zu haben, und oft klang die Vermutung mit, hätte man an seiner Stelle schon zu jener Saison Martin Schmidt aus dem eigenen Nachwuchs befördert, wäre die Geduld größer gewesen.
Erinnerungen an Andrey Voronin
Natürlich lässt sich das im Nachhinein nicht aufklären. Heute schwingt in vielen Diskussionen der umgekehrte Vorwurf mit, dass die Verantwortlichen an Sandro Schwarz festhalten, weil er eben aus dem Verein kommt. Das ist natürlich Unsinn. Profifußball ist keine Wohlfühloase, sondern ein knallhartes Geschäft. Wären jene, die bei Mainz 05 die sportliche Verantwortung tragen, der Meinung, unter Schwarz sei der so dringend benötigte Aufschwung nicht möglich, würden sie entsprechend handeln. Christian Hock hat kürzlich bei Dreharbeiten erzählt, wie unangenehm es für ihn einst war, seinen alten Kumpel Sven Demandt als Trainer zu entlassen. Getan hat er es trotzdem, weil er es für richtig hielt. Sandro Schwarz ist Trainer, weil die Verantwortlichen an ihn glauben und der miese Saisonstart daran nichts ändert.
Diese vollkommene Überzeugung viele Anhänger*innen der 05er, selbst am besten zu wissen, was gut ist für den Verein, ist schon erstaunlich. Erklären die morgens auch ihrem Bäcker, wie er die Brötchen besser hätte backen können oder sitzen hinterm Taxifahrer und rufen ihm zu, welche Strecke um die Uhrzeit am besten ist? Und es hört ja beim Trainer nicht auf, sondern zieht sich durch. Rouven Schröder sollte am besten auch direkt die Koffer packen und mit den beiden eigentlich alle anderen, die seit Christian Heidel und Harald Strutz im Verein sind. Weil nur jene, die Mainz 05 zu dem gemacht haben, was der Verein heute ist, wissen, wie er tickt. Niemand sonst kann ihn führen. Niemand. Alle werden scheitern und wir werden bis in die Regionalliga stürzen, bevor wir in der Bedeutungslosigkeit versinken. Die Fans des FCK werden endlich wieder etwas zu feiern haben. Es ist hoffnungslos. Einfach hoffnungslos.
Vielleicht.
Oder wir denken die Sache von hinten. Fragen uns, was den Verein in solchen Phasen, die es ja immer wieder gab, ausgemacht und gestärkt hat. Soll ich es Ihnen verraten? Es war der feste Zusammenhalter aller, die ihn im Herzen tragen. Die totale Bereitschaft, sich mit einzubringen, der unerschütterliche Glaube, dass in Mainz die Wende zum Positiven immer wieder passiert. Aber auch die Gelassenheit, sich einzugestehen, gewisse Dinge nicht beeinflussen zu können. Bestimmte Entscheidungen anderen zu überlassen. Ein wenig Vertrauen zu haben. Oder auch ein kleines bisschen mehr. Wir sind Mainzer: Erinnert sich noch jemand an diesen magischen Satz? Andrey Voronin hat ihn gesagt, nach seinem verwandelten Elfmeter gegen Union Berlin, nur 100 Tage, nachdem der Aufstieg an der Alten Försterei eben nicht gelungen war.
Vorbild Bremen: Wo Mainz wieder hin muss
Wir wissen heute, es sollten erst weitere Ohnmachtsmomente folgen, bis wir alle einander in glücklichen Jubeltrauben in den Armen lagen. Aber in all der Zeit hat diese Stadt den Glauben an ihr Team nie aufgegeben, obwohl es dafür zwischenzeitlich jede Menge Anlass gab.
Ja, ja. Ich höre schon, wie einige die Augen rollen, aufseufzen, laut schnauben. Jetzt packt die Kolumnistin wieder ihre Kuscheldecke aus und wie viel bekommt sie dafür eigentlich von den 05ern zugesteckt? Ich kann Ihnen aber versprechen, was da klimpert, wenn Sie mir im Stadion begegnen, sind meine Ohrringe, keine Münzen in meinen Hosentaschen, was da raschelt, sind meine Notizen, nicht die Scheine in meinem Rucksack. Ich glaube fest daran, dass sich Berge im Fußball noch immer durch Zusammenhalt versetzen lassen.
So einfach ist das. Alles andere nämlich lässt sich aus der Kurve heraus sowieso nicht ändern. Und deswegen werde ich diesen Ansatz immer wieder in Erinnerung rufen. Finden Sie albern? Tut mir leid. Aber haben Sie in letzter Zeit mal Interviews mit Florian Kohfeldt gesehen, dessen Bremer bislang auch deutlich hinter den gesteckten Erwartungen zurückgeblieben sind? Der meinte mit großer Gelassenheit, wenn es beim SV Werder mal nicht so laufe, wie geplant, wisse er immer noch die ganze Stadt hinter sich und dem Verein. Das gebe ihm Zuversicht. In Mainz hat das auch mal so gegolten und dahin sollten wir schleunigst zurückkommen. Und wem jetzt auf der Zunge liegt, damals sei aber auch Kloppo noch Trainer... Der hat nichts verstanden.
Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Unter anderem von "111 Gründe, Mainz 05 zu lieben" (mit Christian Karn). Aktuell erschienen: "Im Schatten der Arena - der Mainz-05-Krimi".
Homepage: www.marapfeiffer.de
Mara Pfeiffer bei Twitter: Wortpiratin