"Ab Montag will ich komplett dabei sein": Mainz 05-Torhüter René Adler arbeitet am Comeback
Vor ziemlich genau drei Monaten verletzte sich René Adler im Pokalspiel des FSV Mainz 05 gegen Holstein Kiel. Mittlerweile ist das Comeback des Torhüters nicht mehr weit entfernt. Im AZ-Interview spricht der 33-Jährige über Adventskaffee in der Rehazeit, Futter für den Kopf und erzählt, wie er jüngeren Spielern schon mal die Meinung sagt.
Von Julia Sloboda
Stellvertretende Redaktionsleiterin Mainz
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MAINZ - Vor ziemlich genau drei Monaten verletzte sich René Adler im Pokalspiel des FSV Mainz 05 gegen Holstein Kiel. Mittlerweile ist das Comeback des Torhüters nicht mehr weit entfernt. Im AZ-Interview spricht der 33-Jährige über Adventskaffee in der Rehazeit, Futter für den Kopf und erzählt, wie er jüngeren Spielern schon mal die Meinung sagt.
Herr Adler, wie geht es Ihnen?
Sehr gut! Ich bin die zweite Woche jeden Tag auf dem Platz draußen und arbeite intensiv mit Kuhni und den Jungs. Das ist gerade eine Übergangswoche, in der ich 80 Prozent des Mannschaftstrainings versuche mitzumachen. Ab Montag will ich dann komplett dabei sein.
Das Spiel gegen die Bayern wäre also schon eine Option?
Realistisch ist, nochmal ein bis zwei Wochen Training durchzuziehen. Ich hatte noch nie so eine große Muskelverletzung, ich weiß auch nicht, wie das reagiert. Bisher gab es keine Rückschritte. Ich freue mich auch einfach, erstmal wieder Teil der Gruppe zu sein. Vielleicht kann ich mich ja auch erstmal auf die Bank setzen.
Endlich wieder Bälle fangen: In der kommenden Woche will Adler wieder komplett ins Mannschaftstraining einsteigen. Foto: Martin Hoffmann
( Foto: Martin Hoffmann)
Was kommt einem Torhüter in einer dreimonatigen Pause am meisten abhanden?
Ich habe schon einige Erfahrungen mit Comebacks sammeln dürfen und gezeigt, dass ich nicht viel Anlaufzeit brauche, um wieder komplett da zu sein. Was du merkst: Du kannst noch so viel in der Reha machen – die Bewegung im Tor, Fallen, Aufstehen, Abstoppen, Sprints, das ist etwas ganz anderes. In den ersten Einheiten bist du echt am Pumpen, wenn du viermal gefallen bist.
Was haben Sie nach der Diagnose gedacht?
Eine Verletzung ist immer eine Challenge. Als feststand, dass ich operiert werden muss, bin ich da relativ rational drangegangen. Eine OP ist für mich wie ein Zahnarztbesuch. Ich gehe dahin und mache das. Dann ist keine Frage, ob ich wiederkomme, sondern nur, wann ich wiederkomme. Ich bin da relativ stark im Kopf, was natürlich auch an meiner Erfahrung liegt.
Hat es einen Unterschied gemacht, dass Sie die Reha in einer für Sie neuen Umgebung machen konnten?
In Hamburg ist es schon schwieriger, weil dich viel mehr Leute fragen. Als verletzter Spieler macht man sich ja selbst Druck und da ist es nicht hilfreich – auch wenn das von den Fans lieb gemeint ist – 38.000 Mal am Tag zu hören „Wann bist du wieder fit?“. So kannst du nicht in Ruhe an deinem Comeback arbeiten. Das ist in Hamburg mehr und erhöht den Druck. In Mainz gab es weniger dieser Fragen. Für mich war es wichtig, auch mal einen Ortswechsel zwischen drin zu haben – das ist für den Kopf wichtig. Und in der Rehazeit ist der Kopf das A und O.
Hatten Sie plötzlich mehr Zeit für Dinge, die sonst zu kurz kommen?
Ja klar! Ich war eine Woche in Leverkusen, das war in der Vorweihnachtszeit. Da habe ich nach meinem Programm dann alte Freunde, aber auch Teile meiner Familie und die Familie meiner Frau getroffen. Das waren alles Sachen, für die ich nie Zeit gehabt hätte, wenn es normal gelaufen wäre. Alles Schlechte hat auch immer eine positive Kehrseite. Ich konnte am Adventssonntag zu Kaffee und Kuchen bei der Familie gehen, das habe ich in den letzten Jahren noch nie gehabt.
Ausgerechnet in diesen drei Monaten hatte Ihre Frau ein Engagement am Theater in Stuttgart…
Genau. Da war ich plötzlich Selbstversorger (lacht). Auch das haben wir so angenommen. Für meine Frau war es extrem wichtig, diesen Job anzunehmen. Ich bin auch viel nach Stuttgart gependelt, wir haben uns da eine tolle Zeit gemacht. Aber jetzt ist meine Frau wieder da und ich bin wieder auf dem Platz und es beginnt wieder eine neue Zeit.
Haben Sie sich gelangweilt in dieser Phase?
Nein, aber ich merke, dass ich extrem viel Futter für den Kopf brauche. Erst Gewichte stemmen und dann zuhause eine Serie anmachen und darauf warten, dass das nächste Training losgeht, ist mir zu wenig. Ich habe viele Freunde getroffen, war bei Auswärtsspielen dabei und habe auch viel gelesen.
Was lesen Sie?
Ich versuche, das in der Waage zu halten. Da ist schwere Kost dabei, viele Investment-Bücher, aber auch Romane. Ich lese auch viel über alte Uhren, das ist mein Hobby – auch wenn es viele ziemlich langweilig finden.
Was ist für Sie das Schlimmste an so einer Reha-Zeit? Dass man nicht so viel Kontakt zur Mannschaft hat?
Ich war ja zum größten Teil bei der Mannschaft und habe trotzdem versucht, zu helfen. Sei es zwischen den Einheiten mit Gesprächen oder dass ich mal mit den Jungs Kaffee trinken gehe. Man darf sich nicht komplett zurückziehen, nur weil man verletzt ist. Jeder Spieler ist wichtig, egal ob er verletzt ist oder spielt. Diese Dynamik müssen wir jeden Tag leben. Keiner darf sich rausziehen, nur weil er hinten dran ist. Es kann so schnell gehen. Ein Beispiel dafür ist Gerrit Holtmann, den in der Hinrunde kaum jemand auf dem Zettel hatte. Er hat die Ärmel hochgekrempelt und performt. Das fand ich stark und habe ihm das auch gesagt. Genauso bricht mir kein Zacken aus der Krone, wenn ich anderen Spielern sage, dass es einfach zu wenig ist, was sie machen. Das erwarte ich, dass man so miteinander spricht.
Nehmen junge Spieler das an, wenn Sie so mit Ihnen reden?
Ich bin ja kein Messias, der über allen schwebt und das Recht hat, über Leute zu urteilen. Meine Karriere läuft gen Ende zu. Ich durfte mit vielen Spielern zusammenspielen, die mir auch ehrlich Tipps gegeben haben. Und ich habe mir als Credo gesetzt, dass ich das auch so handhaben will. Ich habe auch keine Angst, dass mir ein Kollege den Platz klaut, nur weil ich ihm einen Tipp gebe. Das wäre ein Zeichen von Schwäche. Ich bin 33. Ich kann einem anderen Spieler schon sagen: Pass mal auf, bei deinem Talent muss mehr dabei herauskommen. Es ist meine Aufgabe, Sachen anzusprechen. Ich sage den Jungs, dass sie jedes Training genießen sollen und auch mit einer gewissen Demut hierherkommen sollen. Wir haben einen supercoolen Job, auch wenn es mal nicht so läuft.
Sie haben Ihr Alter angesprochen. Seit der Verpflichtung von Nigel de Jong sind Sie nicht mehr der Älteste in der Mannschaft…
Unabhängig davon war das ein sehr intelligenter Transfer. Als junge, talentierte Mannschaft brauchen wir genau so jemanden. Als Torwart kannst du nur bedingt Einfluss nehmen. Nigel hat nicht nur Erfahrung, sondern auch eine unheimliche Klasse. Wir haben ihn ja nicht aus dem Renten-Dasein geholt. Er ist ein brutal guter Spieler. Da schauen die anderen Spieler auch drauf und nehmen sich ein Beispiel dran. So kann eine Eigendynamik entstehen.
Haben Sie nach der Verletzung mal überlegt, dass es für Sie eigentlich reicht? Sie könnten sich ja auch einfach ein schönes Leben machen.
Dafür habe ich zu viel Spaß an meinem Job. Außerdem habe ich einen Vertrag und ich habe meine Verträge immer erfüllt. Verletzungen gehören einfach dazu. Die wenigsten kommen ohne Verletzungen durch die Karriere. Was sollen denn ein Marco Reus oder Mario Götze sagen? Es ist Teil des Berufs, das zu akzeptieren.
Sie sind ins Torwarthandschuh-Business eingestiegen. Ist das schon der erste Baustein für die Zeit nach der Karriere?
Die Branche liegt ja nahe, weil mein Erfahrungsschatz da unheimlich groß ist. Natürlich sollte man mit einem Auge schon mal darauf schielen, was nach dem Fußball kommt. Und natürlich habe ich den Luxus, nicht mehr alles machen zu müssen, nur um meine Miete zu bezahlen. Ich kann Praktika machen und einfach mal reinschnuppern. Nach dem Fußball stehe ich vor der Challenge, die meine Freunde nach dem Abitur oder Studium hatten. Wo finde ich in der freien Wirtschaft meinen Platz, für den ich brenne und auch früh aufstehe? Und für Torwarthandschuhe brenne ich. Morgen bekomme ich eine neue Lieferung und es fühlt sich immer noch so an, wie als ich zehn war und meine Eltern mir ein neues Paar geschenkt haben.
Wie unterscheidet sich Abstiegskampf in Mainz von dem in Hamburg?
Das, was in Hamburg durch die Medien und die Erwartungshaltung der Fans zu viel ist, ist hier teilweise zu wenig. In Mainz ist man genügsamer. Wie oft habe ich hiergehört „Wir waren so lange in der Bundesliga, wenn wir mal runtergehen, ist es auch nicht so schlimm“. Da frage ich dann: „Ist das dein Ernst?“. Natürlich ist das schlimm! Aber diese Haltung, nach einem Spiel auch das nächste gewinnen zu wollen, ist essentiell wichtig. Es ist Fluch und Segen zugleich, dass man hier seine relative Ruhe hat und Niederlagen nicht vollends dramatisiert werden.
Ist die Hierarchie klar, wenn Sie wieder fit sind oder wird sich Robin Zentner nicht so einfach geschlagen geben?
Das entscheidet der Trainer. Wenn ich fit bin, will ich spielen. Wenn Sandro sagt, „never change a winning team“ und wir gewinnen jetzt jedes Spiel, kann ich nichts machen. Es geht nicht um Einzelschicksale, egal, ob sie Adler, de Jong oder Holtmann heißen. Es geht um die Mannschaft.