Der Frankfurter Mathe-Professor Matthias Ludwig hat ein Programm zur Vorhersage von Fußballresultaten entwickelt. Damit lässt sich im Internet die WM simulieren. Die...
MAINZ, STADT. Das Ergebnis des DFB-Pokalfinales 2017 zwischen Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund hat Matthias Ludwig mit seinem selbst entwickelten Computer-Programm exakt vorhergesagt. „Professor tippt 2:1 für Dortmund“, titelte eine Zeitung damals vor der Partie. Dass das Endspiel 2018 am 19. Mai mit einem 3:1-Erfolg der Eintracht über den scheinbar übermächtigen Favoriten Bayern München endet, hat der 51 Jahre alte Professor für Didaktik der Mathematik an der Goethe-Universität in Frankfurt wie fast alle Experten (und Laien) kaum für möglich gehalten. Aber die Wahrscheinlichkeit für diesen „epochalen Sieg“, wie ihn Eintracht-Sportvorstand Fredi Bobic nannte, hatte er vorher mit seiner Formel exakt bestimmt: 16 Prozent – „so groß, wie mit einem Würfelwurf eine Sechs zu werfen“.
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Ähnlich gering sind nach Matthias Ludwigs Berechnungen bei der am kommenden Donnerstag (14.) beginnenden Fußball-Weltmeisterschaft in Russland die Chancen der drei deutschen Gruppengegner auf einen Erfolg gegen den Titelverteidiger. Für Südkorea und Schweden sieht er die Siegwahrscheinlichkeit jeweils bei zwölf Prozent, für Mexiko bei elf Prozent.
Die Wahrscheinlichkeiten für den Ausgang von Fußballspielen errechnet Ludwig aus einer mathematischen Formel mit drei Faktoren: Marktwert der Spieler, historische Ergebnisse und Elo-Ranking. Die Elo-Zahl hatte der ungarisch-amerikanische Mathematiker Arpad Elo 1960 ursprünglich entwickelt, um die Spielstärke von Schachspielern einzuschätzen. Im Fußball beschreibt sie die Spielstärke der Mannschaft, berücksichtigt die bisherigen Ergebnisse und gewichtet dabei die Siege: Wenn eine schwächere Mannschaft gegen eine deutlich stärkere gewinnt, gibt es mehr Punkte für den Underdog als bei einem Erfolg gegen ein gleichstarkes oder schwächeres Team. Und ein haushoher Favorit bekommt für eine Niederlage entsprechend mehr abgezogen.
Ziel: Mathematik über das Vehikel Fußball spannend machen
Beispiel Pokalfinale: Der durchschnittliche Marktwert eines Eintracht-Spielers wurde vorher auf 3,4 Millionen Euro taxiert, bei den Bayern lag er bei 29 Millionen. Und auch der Unterschied bei den Elo-Punkten war gewaltig: 2444 zu 2774. Die von Matthias Ludwig entwickelte Formel errechnete neben den Siegwahrscheinlichkeiten (16:84) auch die Wahrscheinlichkeiten für das exakte Ergebnis: Demnach war ein 2:0-Erfolg der Bayern mit 14,2 Prozent am wahrscheinlichsten, gefolgt von 3:1 (11,3) und 2:1 (11,0). „Die Mathematik ist meist nicht weit vom Bauchgefühl entfernt“, so Ludwig. Die Wahrscheinlichkeit für ein 3:1 der Eintracht? 0,6 Prozent.
„Sport ist eben doch mehr als Mathematik, auch wenn man über lange Sicht schon einiges voraussagen kann“, sagt der aus Schweinfurt stammende ehemalige Gymnasiallehrer und Fußballfan, dessen Herz für den 1. FC Nürnberg schlägt. Vor zehn Jahren hat er begonnen, „Mathematik über das Vehikel Fußball spannend zu machen“. Hauptsächlich für angehende Lehrer im Studium und Schüler, aber auch für Fußballfans ohne Vorliebe für Mathe betreibt der 51-Jährige mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Iwan Gurjanow seit sechs Jahren die Internetseite „www.fussballmathe.de“. Normalerweise zählt das Portal rund 200 Nutzer pro Tag, doch während der WM in Russland werden Werte über 20 000 keine Seltenheit sein. Denn das Angebot, einzelne WM-Spiele oder den ganzen Wettbewerb mit Ludwigs Programm zu simulieren, wird sicher erneut mediale Beachtung finden. „Als ich bei der EM 2016 ein Radiointerview gab, hatten wir danach über 30 000 Besucher auf der Seite – und der Server fiel aus.“
Der erste Selbstversuch, die komplette WM zu simulieren, ergibt gleich eine realistisch anmutende Variante: Brasilien schlägt Deutschland im Finale 4:3, nachdem sich beide Teams jeweils mit 3:0 im Halbfinale gegen Spanien und Portugal durchgesetzt haben. Im Viertelfinale scheiden Argentinien (1:2 gegen Spanien), Belgien (2:4 gegen Brasilien), Kolumbien (1:2 gegen Deutschland) und Frankreich (10:11 nach Elfmeterschießen gegen Portugal) aus.
Dann der zweite Klick auf das Feld „Simulieren“. Der Computer spielt mit den entsprechenden Siegwahrscheinlichkeiten wieder alle Gruppenpartien und die sich daraus ergebenden K.o.-Runden-Spiele virtuell aus – und siehe da: Dieses Mal dürfen sich die Engländer (1:0 gegen Argentinien) über den zweiten Titel nach 1966 freuen. Deutschland wird bei der dritten Simulation der Spiele in Russland Weltmeister (9:8 im Elfmeterschießen gegen Uruguay).
Bei der zehnten Simulation dann die erste faustdicke Überraschung: Mexiko schlägt im Finale Frankreich mit 2:1, und Spanien scheidet in der Vorrunde hinter Marokko (7 Punkte) und Portugal (5) als Gruppendritter mit vier Punkten aus. „Der Wert von Daten wird manchmal überhöht“, sagt Ludwig augenzwinkernd.
Senegal holt den WM-Titel – im 81. Versuch
Eine nette Spielerei des Portals ist, sich einen Wunsch-Weltmeister auszusuchen und so viele WM-Wettbewerbe vom Computer simulieren zu lassen, bis der „Weltmeister des Herzens“ tatsächlich den Titel holt. Das Programm rechnet in Sekundenbruchteilen eine WM nach der anderen durch und siehe da: Im 81. Versuch schlägt Senegal im Finale den Titelverteidiger aus Deutschland mit 2:0.
Für Saudi-Arabien, Australien, Südkorea, Panama, Tunesien und Japan gelingt es dem Computer in 1000 Versuchen allerdings nicht, einen WM-Titel zu simulieren. Der Grund: Für diese Teams sieht Ludwig die Wahrscheinlichkeit, Weltmeister zu werden, bei nahezu 0,00 Prozent. Ägypten und Costa Rica kommen immerhin auf 0,01 Prozent, Marokko und Island auf 0,03 Prozent.
Geht es nach Mathematiker Ludwig, der den Computer eine Million Mal die WM simulieren ließ („aber ab 100 000 Mal stellen wir keinen Unterschied mehr fest“), wird Brasilien mit einer Wahrscheinlichkeit von 25,67 Prozent Weltmeister, gefolgt von Deutschland (17,84) und Spanien (17,11). Normalerweise wettet der Frankfurter Professor nicht. „Aber wenn man die Wettquoten sieht, die nicht unter 5:1 liegen, könnte man eigentlich auf Brasilien, Deutschland und Spanien jeweils 100 Euro setzen, dann bekommt man bei einem Sieg jeweils mindestens 500 Euro raus.“ Und zur Sicherheit jeweils 50 Euro auf Argentinien (8,24 Prozent, Quote 10:1) und Frankreich (7,49, Quote 8:1), „dann ist man im Plus, wenn eines der fünf Teams den Titel holt“. Wenn dann der Wettbewerb in Russland nun aber gerade die eine von 100 Weltmeisterschaften ist, bei denen Dänemark sich durchsetzt (Titelwahrscheinlichkeit 1 Prozent), ist das Geld futsch.
Allerdings liegt das Team von „www.fussballmathe.de“, das von der Stiftung Rechnen gefördert wird, bei seinen Vorhersagen im Schnitt bei einer Trefferquote von 60 Prozent. „Bei der EM 2016 waren es 55 Prozent, aber da waren die anderen auch nicht besser, weil die Ergebnisse wirr waren“, sagt Matthias Ludwig. „Bei der WM 2014 kamen wir auf 60 Prozent, bei der EM 2012 auf 65, da waren wir richtig gut.“ In Russland rechnet der Mathematik-Professor erneut mit einer Zwei-Drittel-Erfolgsquote bei den Vorhersagen. Und künftig soll sie noch besser werden: „Wir werden als nächsten Schritt den Impact-Faktor berücksichtigen, das heißt: den Einfluss eines Spielers auf dem Feld. Und dafür verzichten wir auf die historischen Daten.“
Doch auch mit den Impact-Werten von Ribery, Thiago, Boateng, Rebic und Co wäre die Vorhersage für das Pokalfinale 2018 nicht anders ausgefallen. „Im Fußball ist immer noch sehr viel Zufall dabei“, sagt Matthias Ludwig. „Und das ist gut so, denn sonst würde keiner mehr ins Stadion gehen.“ Was Sensationen wie den Pokalsieg der Frankfurter Eintracht gegen den FC Bayern angeht, hat der Wissenschaftler übrigens noch eine andere Formel: „Je niedriger die Wahrscheinlichkeit desto größer die Freude. Und so war es in Berlin und am Tag danach in Frankfurt ja auch.“