Wortpiratin: Die Sehnsucht nach Vereinfachungen

aus Mainz 05

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Im Fußballbusiness floss in den vergangenen Jahren unfassbar viel Geld. Daraus abzuleiten, dass die Profis nun auf Gehalt verzichten sollen, geht der Wortpiratin aber zu weit. Foto: dpa

Die Coronakrise macht die Welt noch komplexer - und fördert auch im Fußball das Bedürfnis nach Vereinfachungen. Vor allem was Forderungen an Profis angeht, findet die Wortpiratin.

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MAINZ. Fußball – konkreter, das Stadion – wird gerne als Spiegel der Gesellschaft bezeichnet. Gemeint ist damit vor allem, dass alle Gruppen, die Teil unserer Gesellschaft sind, sich dort finden, um Woche für Woche gemeinsam die Spiele zu sehen. Womöglich ist das aber eine Binnensicht: Von außen betrachtet scheint der Fußball von zwei Gruppen dominiert zu sein: den pöbelnden Ultras und den ignoranten Millionären. Für all die Menschen, in deren Leben Fußball eine so wichtige Rolle spielt, ist die negative Draufsicht nicht nachvollziehbar – das aber ändert nichts daran, dass sie eben vielfach existiert.

Über die Gründe, warum das so ist, kann letztlich nur spekuliert werden. Vermutlich spielt die Tatsache, dass die Verhältnisse im Fußball längst völlig explodiert sind, gerade in finanzieller Hinsicht, dabei eine Rolle. Und auf Fans als böse Buben lässt es sich offenbar gut einigen; dabei wird dann großzügig ignoriert, dass es sich weder nur um Buben noch generell böse Menschen handelt. Letztlich sind das Vereinfachungen im Umgang mit einer komplexen Welt.

Differenzierung ist sinnvoller

Weil die aktuelle Krise – Stichwort Corona – die Welt noch einmal unfassbar komplexer macht, explodiert offenbar auch das Bedürfnis nach weiteren Vereinfachungen und Fußball muss, wie schon häufiger, an vorderster Stelle mit dafür herhalten. Ein Beispiel dafür ist, wie unfassbar schnell gesellschaftlich die Rufe danach laut wurden, die „Fußballmillionär*innen“ müssten in diesen Zeiten aber mal gefälligst ihr Gehalt zur Verfügung stellen, fast schon egal wofür.

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Um das mal der Reihe nach aufzudröseln: Ja, im Fußball fließt sehr viel Geld, der eine oder die andere würde das Wort abartig in den Mund nehmen. So zu tun, als hätten die Spieler*innen selbst diese Entwicklung alleine und eigenhändig herbeigeführt, ist aber albern. So zu tun, als sei jede*r, di*er wochenends in den ungezählten Ligen Europas gegen einen Ball kickt, daher automatisch Millionär*in, ist es ebenfalls. Es mag nicht jedem Menschen gleich einleuchten, aber auch, wenn Vereinfachung, nun ja, einfacher scheint, ist Differenzierung sinnvoller.

Heißt das also, jene Fußballer*innen, auf deren Konto tatsächlich jeden Monat unvorstellbare Summen eintrudeln, sollten nicht über Gehaltsverzichte oder Spenden nachdenken? Natürlich nicht. Es ist aber keine Selbstverständlichkeit – darauf komme ich gleich zurück. Entschließen sich Spieler*innen zu derartigen Schritten, ist es legitim, erstmal innerhalb der Grenzen des eigenen Vereins zu denken, soll heißen: Sie sind eingeladen, Lösungen zu finden, um jeweils ihren Vereinen durch die Krise zu helfen. Schließlich denken Sie und ich aktuell ganz natürlich auch zunächst an unsere Familien – und Vereine sind nun mal (auch) genau das.

Persönlicher Verzicht ist keine Selbstverständlichkeit

Im zweiten Schritt kann in Ligen oder ganzen sportlichen Bereichen gedacht werden, sprich: Aktionen wie die der aktuellen Champions-League-Teilnehmer Bayern, Dortmund, Leverkusen und Leipzig, Geld zur Verfügung zu stellen für notleidende Profivereine, ist ein erster Schritt, um den Zusammenhalt innerhalb des Fußballs zu zeigen oder auch erst zu etablieren. Spieler, die tatsächlich zu den Einkommensmillionären zählen, haben Aktionen initiiert, bei denen sie selbst spenden und zu weiteren Spenden aufrufen. All das ist begrüßenswert.

Der persönliche Verzicht von Spieler*innen und anderen Mitarbeiter*innen ist, das schrieb ich bereits, aber nicht selbstverständlich – und die Frage muss erlaubt sein, warum gerade die oft noch sehr jungen Fußballprofis zu den Ersten gehören, wenn nicht gar die allerersten sind, auf die gerade in der Erwartung einer großen Geste gezeigt wird. Warum werden mit derselben Selbstverständlichkeit nicht superreiche Immobilienbesitzer aufgefordert, aktuell auf Mieten zu verzichten, wenn Bewohner*innen durch die Krise Einkommensverluste haben?

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Auch ganz andere Seiten sind gefordert

Wo sind die Forderungen an reiche Unternehmer*innen, Produkte kostenlos abzugeben, ihre Mitarbeiter*innen nicht in Kurzarbeit zu schicken oder NGOs zu unterstützen? Wieso werden nicht mehr Bürger*innen selbst aktiv, spenden, was sie übrighaben, an von der Krise bedrohte Kneipiers, Künstler*innen und Selbständige? Und wo bleibt die Hilfsbereitschaft hinsichtlich der Menschen in Flüchtlingslagern an den EU-Außengrenzen in jeder*m von uns? Mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist immer leicht. Die Tatsache, dass Fußball zum einen Spiegel unserer Gesellschaft ist und zum anderen als das große Thema der Ablenkung fungiert, mag ein Grund dafür sein, wieso auch in aktuellen Zeiten der Wunsch nach einer Übernahme von Verantwortung hierhin ausgelagert wird. Von diesen Protagonist*innen aber zu erwarten, immer mit positivem Beispiel voranzugehen, ist eine Überforderung – und unfair obendrein. Ja, auch der Fußball muss sich bewegen und einen Teil leisten. An der Spitze der Bewegung ist soziale und wirtschaftliche Verantwortung aber noch von ganz anderen Seiten gefordert.

Damit soll am Ende der Kolumne noch einmal der Blick auf die Fans gelenkt werden, die leider von außen oft ähnlich eindimensional betrachtet werden wie die Profis. In Zeiten, in denen ihnen nicht nur eine beliebte Freizeitbeschäftigung fehlt, sondern oft auch weite Teile des gewohnten sozialen Umfeldes wegbrechen, leisten sie an vielen Standorten mit geräuschloser Selbstverständlichkeit wertvolle soziale Arbeit, organisieren Einkäufe und Botengänge, bieten Risikogruppen ihre Hilfe an und sind für Menschen in Not und Einsamkeit da. Was wieder mal sehr deutlich zeigt, nirgendwo ist der Fußball so gesund und sein Zusammenhalt so stark wie an den Wurzeln. Das kann mit dem unsicheren Blick auf die kommenden Wochen und Monate auch den Vereinen Hoffnung machen.

Von Mara Pfeiffer