Kolumne von Wortpiratin Mara Pfeiffer: Warum die 05-Anzeige...

aus Mainz 05

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Die Anzeige von Mainz 05. Foto: Mainz 05

Beifall für die Anzeige von Mainz 05 gegen den AfD-Auftritt in Mainz. Wortpiratin Mara Pfeiffer schreibt in ihrer Kolumne, warum dieser berechtigt ist. Und warum Herz statt...

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MAINZ. Vor dem Auswärtsspiel der Mainzer in Nürnberg letzten Samstag veröffentlichten die 05er in der AZ und im Internet eine Anzeige; das dürfte inzwischen jeder mitbekommen haben, zumal das Bild eines kopflosen älteren Herrn mit Dackelkrawatte auch in überregionalen Medien Thema war. Aussage: An diesem Tag ist Nürnberg die bessere Alternative zu Mainz, weil hier jener Mann auftritt, der diese Krawatte berühmt gemacht hat. Auf seiner Homepage schreibt der Verein: „Der Profikader des 1. FSV Mainz 05 vereint 13 Nationalitäten. Die Familien einiger unserer Spieler, auch der deutschen, weisen zudem einen Migrationshintergrund auf. Warum wir das jetzt erwähnen? Weil Integration ein Fundament der Arbeit eines Fußballvereins ist. Und weil die Werte, die wir damit verbinden, in diesen Zeiten unterstrichen werden müssen. Gerade auch, wenn sie von anderer Seite in Frage gestellt werden.“ Ein starkes Zeichen, das von den Fans in Foren und sozialen Netzwerken zumeist sehr positiv aufgenommen wird.

Mit einem Missverständnis aufräumen

Natürlich gibt es auch Gegenwind: von der Partei, die sich angepinkelt fühlt, ebenso wie von Fans, die bemängeln, Politik und Fußball sollten nicht vermischt werden. Meiner Ansicht nach gilt es, in diesem Punkt mit einem Missverständnis aufzuräumen. Die Aussage, Politik habe in gewissen Bereichen des Lebens nichts verloren, ist so richtig, wie sie katastrophal falsch ist, denn eigentlich ist Parteipolitik gemeint. Deshalb haben als Kinder viele von uns noch gelernt, an Omas Geburtstag über Politik nicht zu sprechen und geheim zu halten, wo wir bei der Wahl unser Kreuz setzen. Das kann man so handhaben, man darf auch erwarten, dass Politik aus Ämtern, Behörden und Schulen rausgehalten wird (inwieweit das der Realität entspricht, steht auf einem anderen Blatt). Aber dabei geht es eben letztlich vor allem um: Parteipolitik.

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Was aber nicht funktioniert, ist, es sich bequem zu machen oder sogar dumm zu stellen. Was nicht geht, ist, so zu tun, als würden hierzulande nicht gerade Grenzen eingerissen, von denen wir bis vor kurzem glaubten, sie stünden sicher gegen jeden Sturm. Inakzeptabel ist es, einfach zu behaupten, es sei schon Politik – und nicht nur gesunder Menschenverstand – die Stimme zu erheben, wenn Symbole und Ansichten einer Zeit hervorgeholt und toleriert werden, in der dieses Land in der Vergangenheit schon einmal in fast allen Belangen düster gescheitert ist.

Die linken und rechten Schubladen

Es heißt aktuell häufig, in Chemnitz und anderswo stünden sich Rechte und Linke gegenüber. Die Definition mag zunächst naheliegend scheinen, weil das Schubladen sind, die wir kennen und die vermeintlich im Diskurs funktionieren. Sie ist aber nicht nur falsch, sondern birgt auch Gefahren, weil sich mit dem Begriff „Linke“ Positionen verbinden, für die nicht jeder stehen will (und auch gar nicht muss), der gegen Rechtsextremismus auf die Straße geht. So werden Vorurteile und falsche Abgrenzungen gefördert, das ist fatal – übrigens an beiden Seiten des Spektrums, denn nicht jeder, der die AfD wählt, ist schon rechtsextrem oder ein Nazi.

Aber: Mit den aktuellen Entwicklungen muss jedem AfD-Wähler klar sein, er stützt mit seinem Wahlkreuz Leute, die wiederum Nazis sind, sie tolerieren oder sich mit ihnen gemeinmachen. Der Marsch, bei dem AfD und Pegida Seite an Seite liefen, spricht eine deutliche Sprache. Wer mit der AfD sympathisiert, sorgt mit dafür, dass in diesem Land wieder Nazis auf die Straße gehen und dort teilweise sogar den Hitlergruß zeigen. Hitler, Sie erinnern sich? Das war nicht irgendein Politiker, der mit ein paar Dingen danebenlag. Die Nazis, wissen Sie noch? Das war nicht einfach eine Partei mit einem etwas nationaleren Blick auf die Welt. Es waren Leute, die Andersdenkende und Schwache verfolgt und massenhaft ermordet haben.

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Vor uns liegen enorme Aufgaben

Wir halten uns auf mit der Definition von Links, Mitte, Chaot, dröseln die Songtexte von Bands auf, die bei einem Großkonzert gegen Nazis auftreten, wir schieben den Schwarzen Peter von Westen nach Osten und zurück und klammern uns auf jeder Seite der Gedankenmauer an Vorurteile. Wir diskutieren, ob #wirsindmehr eine gute Idee ist oder arrogant, beobachten das peinliche Gebaren der Politik, die sich zerfleischt, statt Stellung zu beziehen zu einem Thema, bei dem es nur eine Seite gibt, geben darf: Wer wie ein Nazi spricht und handelt, ist ein Nazi – und muss als Nazi benannt werden. Rechtsextremismus ist keine Meinung. Klar, wir müssen jenen zuhören, die Sorgen haben, aber ohne jedem Hetzer eine Bühne zu bieten. Wir müssen über Integration reden, darüber, wo diese aktuell scheitert. Nein, das ist nicht einfach, vor uns liegen enorme Aufgaben, wir müssen vieles besprechen und werden uns nicht immer einig sein. Diese Welt ist oft komplizierter, als wir sie gerne hätten. Isso. Manchmal ist sie aber sehr einfach: Nazis sind scheiße. In Chemnitz, in Mainz, auf der Straße, im Stadion. Immer. Überall.

Deswegen ist es großartig, dass Mainz 05 zum zweiten Mal in diesem Jahr klar Stellung bezieht, nachdem der Verein sich im März bereits an der Aktion „Nazis raus aus den Stadien“ beteiligt hatte. Man würde sich ähnliches vom DFB wünschen, der stattdessen sicher bald wieder eine super TV-Kampagne mit Nationalspielern fährt. Nein, diese Art von Haltung ist keine Politik, sie ist gesunder Menschenverstand. Genau, wie wenn das Klinikum Chemnitz (!) twittert, dass bei ihnen rund 6.500 Menschen aus 45 Nationen fürs Patientenwohl arbeiten. Weil es wichtig ist zu zeigen, was alles funktioniert, weil wir uns nicht vergiften lassen dürfen, wie wir hier leben. Und, ganz ehrlich, wie sollte denn ein Verein wie Mainz 05 mit Spielern aus 13 Nationen nicht gegen eine Partei sein, die mit Leuten durch die Straße zieht, die „Ausländer raus“ brüllen? Eben. Lassen Sie sich nichts einreden: Herz statt Hetze. Wir sind mehr.

Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Unter anderem von "111 Gründe, Mainz 05 zu lieben" (mit Christian Karn). Homepage: www.marapfeiffer.de Mara Pfeiffer bei Twitter: @Wortpiratin

Von Mara Pfeiffer