Mainz 05 sucht nach einem Leitbild. Der FSV bittet Fans und Freunde, sich an einer Online-Umfrage zu beteiligen. Wortpiratin Mara Pfeiffer findet gut, dass der Verein...
MAINZ. Es war Christian Heidel, der mal sinngemäß gesagt hat: In Mainz reden wir nicht über unsere Tradition, wir sind gerade dabei, sie selbst zu gestalten. Die Zeiten, die wir miterleben, werden jene sein, über die folgende Generationen mit leuchtenden Augen sprechen, wenn es darum geht, wann der Verein zu dem wurde, was er ist. Und es ist nicht verwunderlich, dass in diesem Zusammenhang immer noch der Name Christian Heidel fällt, auch wenn der längst auf Schalke Geschichte zu schreiben versucht: Er und Harald Strutz haben Mainz 05 für eine so lange Zeit geprägt, wie sie im Fußball eigentlich fast unwirklich ist.
Der FSV war in diesen knapp 25 Jahren stark mit den handelnden Personen verknüpft. Neben den beiden Machern gehörten dazu vor allem Trainer wie Wolfgang Frank, Jürgen Klopp und Thomas Tuchel. So lange alles gut lief, gab es keinen Grund, daran etwas zu verändern. Und nicht mal, als Kloppos Zeit zu Ende ging oder Tuchel seinen Hut nahm, wackelte das Konstrukt, denn letztlich war Mainz 05 kein Trainer-, sondern ein Managerverein. Und dass Heidel seiner Heimat den Rücken kehren würde, war nun wirklich ganz und gar ausgeschlossen...
Heftigen Seegang mit geringen Schäden überstanden
Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt, was in den gut zwei Jahren danach passierte, auch. Es waren, wenn man so will, die Mainzer Chaostage, aus denen wir alle, Verein, Fans und das Umfeld, glücklicherweise mit einem blauen Auge davongekommen sind. Und von denen wir uns, so scheint es, langsam erholen. Wäre der Verein ein Boot, man könnte sagen, es hat einen heftigen Seegang mit geringen Schäden überstanden und befindet sich nun wieder in ruhigen Gewässern. Zeit für eine Bestandsaufnahme, zu der immer auch die Frage gehört: Was kann man aus der Phase, in der nicht alles zusammengelaufen ist, lernen?
Für die neuen Macher bei Mainz 05 ist eine wichtige Erkenntnis, dass die Identität des Vereins für sich bestehen können sollte. Selbst wenn alles weg- und zusammenbricht, muss noch klar sein: Wofür steht Mainz 05, was verbinden die Fans mit ihrem Herzensverein und was sind die unverrückbaren Eigenschaften des FSV? Gefragt ist ein Leitbild und dafür wurde in den letzten Monaten etliches an Vorarbeit geleistet, ganz besonders in der Fanabteilung und dort in der AG Identifikation. Dabei stand letztlich die Frage im Mittelpunkt: Wer sind wir eigentlich?
Es liegt in der Hand der Fans
Man kann über derlei Aktionismus immer geteilter Meinung sein, entsprechend bleiben auch kritische Stimmen nicht aus: „Höhö, die Mainzer. Auf der Suche nach ihrer Identität. Müssen sich ein Leitbild verpassen, weil sie nicht wissen, wofür sie stehen.“ Man kann es aber auch als Chance begreifen, ganz besonders deshalb, weil nicht mittels Marketingagentur an den Fans vorbei ein Image entworfen wird, das Business- und Werbepartnern gefallen soll, sondern es in der Hand eben der Fans liegt, dem Leitbild des Vereins Form und Inhalt zu verleihen. Das ist eine enorme Möglichkeit, denn in den angesprochenen Chaostagen war deutlich spürbar, dass eine gemeinsame Erkenntnis darüber, wofür Mainz 05 heute steht, deutlich gefehlt hat.
Deswegen ist es nun wichtig, dass sich besonders viele Menschen einbringen in die Diskussion um das neue Leitbild. Die Chance dafür ist gegeben: Der Verein plant gemeinsam mit der Fanabteilung, online abzufragen, welche Dinge den Fans rund um ihren FSV wichtig sind. Wann genau diese Umfrage startet, steht derzeit noch nicht fest. Der anvisierte 8. August konnte aus technischen Gründen nicht gehalten werden. Ein bisschen Zeit sollte man auch für die Umfrage selbst mitbringen: Etwa 19,05 Minuten sind veranschlagt, um die komplette Befragung durchzuarbeiten. Sie sind gut investiert, wenn am Ende ein Leitbild steht, mit dem sich möglichst viele Fans identifizieren können. Uuund auf geht’s!
Wissen Sie, was ein Hashtag ist? Dieses ursprünglich als Raute bekannte Zeichen spielt eine wichtige Rolle in sozialen Netzwerken. Wer dort zum Beispiel etwas zu Mainz 05 schreibt, kann mit #Mainz05 dafür sorgen, dass die Beiträge in einer Suche besser auffindbar sind. Beim Spiel der 05er gegen Stuttgart waren die Beitrage auf Twitter unter #m05vfb zu finden. Hashtags zu Spielbegegnungen sind standardisiert, Heimteam vorne, Auswärtsverein hinten, mit je drei Buchstaben. Grundsätzlich sind bei dem Thema der eigenen Phantasie keine Grenzen gesetzt.
Im Prinzip gilt natürlich, je kürzer und einprägsamer, umso besser, aber es spricht auch nichts dagegen, es mal richtig krachen zu lassen. Ich habe beschlossen, diese Saison bei Heimspielen der Mainzer mindestens einmal den Hashtag #dieZuschauerzahlwirdpräsentiertvonistmirbumsegalwievieleLeutedasindwernichtkommtistselbstschuld zu benutzen. Man könnte den auch als #dZwpvimbwvLdswnkiss abkürzen, vielleicht lasse ich meine Follower auf Twitter darüber abstimmen. Fest steht, ich werde den Hashtag benutzen, wenn aus den Stadionlautsprechern die Zuschauerzahl klingt. Mich währenddessen mit dem Handy zu beschäftigen, ist der erste Schritt auf dem Weg dahin, die Zahl vollständig zu ignorieren. Denn ich finde, darüber, wie viele Leute ins Stadion kommen, haben wir genug geredet.
Was für eine unfassbar geile Choreografie
Klar, der Verein hat da eine Aufgabe vor der Brust, die er aktuell auch mit allerhand kreativen Aktionen angeht. Aber darüber hinaus ist das Thema einfach durch. Wir reden dabei nämlich am Ende über die völlig falschen Leute. So ähnlich wie Gastgeber, die auf ihren eigenen Partys bei den Anwesenden immer nur jammern, wer alles nicht gekommen ist. Möp. Viel passender wäre es, nach dem Saisonauftakt beispielsweise über den Q-Block zu reden und die unfassbar geile Choreografie, die von den Jungs und Mädels auf die Beine gestellt wurde.
Wussten Sie, dass die Nummer 14.569 Euro gekostet hat? Deswegen ist die aktive Szene auch mit Spendeneimern durchs Stadion gelaufen, die hoffentlich von allen Seiten ordentlich gefüllt wurden. Wer es bislang nicht geschafft hat, kann seinen Beitrag auch nachträglich überweisen (Infos hier). Statt also in Zukunft die Leute zu beklagen, die nicht auftauchen, lieber öfter mal den Blick auf jene richten, die nicht nur da sind, sondern sich auch immer wieder neue Sachen einfallen lassen.
Der Blick auf die Neuzugänge
Über die falschen Leute wird ein Stück weit auch in Sachen Transfers geredet. Klar, Spieler, die den Verein verlassen, sind uns teuer und vertraut, aber Tatsache ist doch auch, in den meisten Fällen gehen Spieler, weil das ihr ausdrücklicher Wunsch ist. Wenn ich in den Kommentaren zum Abgang von Pablo de Blasis die Empörung einiger Leute lese, wie man den Mann gehen lassen könne, schüttelt sich mein Kopf fast von selbst. Verstehen Sie mich nicht falsch, mir ist der Kampfkobold auch ans Herz gewachsen in seiner Mainzer Zeit, aber viel deutlicher kann ein Spieler den unbedingten Wechselwunsch doch nicht äußern. Und das ist völlig okay, sei es, weil der Mann am Ende seiner Karriere noch eine andere Liga kennenlernen möchte oder weil seine Familie in ein Land will, in dem sie die Sprache versteht – Pablo wollte sehr eindeutig weg und der Verein hat seinen Wunsch respektiert. Guter Move von beiden Seiten, überhaupt kein Grund, sich tagelang damit aufzuhalten.
Aufhalten oder vielmehr beschäftigen könnte man sich hingegen mit der Wagenladung Jungs, die Rouven Schröder in frisch nach Mainz gelockt hat. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir schlackern da ein wenig die Ohren. Klar, Mainz ist eine schöne Stadt und der FSV der beste Verein, aber man darf lobend feststellen, der Sportchef kann das offenbar auch glaubhaft vermitteln. Insofern geht der Blick ab hier nach vorn: In eine neue Saison, voller Chancen und Zaubermomente, von denen wir heute noch nichts ahnen, die aber ganz sicher auf uns warten.
Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Unter anderem des Mainz-05-Krimis "Im Schatten der Arena". Homepage: www.marapfeiffer.de Mara Pfeiffer bei Twitter: Wortpiratin
Von Mara Pfeiffer