Kolumne von Wortpiratin Mara Pfeiffer: Özil, Fußball,...

aus Mainz 05

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Mesut Özil. Foto: dpa

Was ist schiefgelaufen, dass ein Spieler der deutschen Nationalmannschaft Rassismus gegen ihn als Begründung angibt, das Trikot derzeit nicht mehr tragen zu wollen? Wortpiratin...

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MAINZ. Im Song Der Tag wird kommen von Marcus Wiebusch, dem Frontsänger der Band Kettcar, gibt es folgende Zeilen: „Wir waren zusammen in Stadien, vor circa 20 Jahren / als sie farbige Spieler mit Bananen beworfen haben / dann die Affenlaute, bei jeder Ballberührung / diese Zeiten sind vorbei und keine glückliche Fügung.“ Keine glückliche Fügung, sondern Fortschritt steht für diese Bilanz zum positiven Miteinander im Stadion, als der Song 2014 veröffentlicht wird. Rassismus in der Kurve? Nicht verschwunden, aber durch Engagement von allen Seiten, Verbänden, Vereinen, Fanprojekten und den Fans selbst, alles andere als alltäglich. Was ist seither passiert, oder genauer: Was ist schiefgelaufen, dass ein Spieler der deutschen Nationalmannschaft Rassismus gegen ihn als Begründung angibt, das Trikot derzeit nicht mehr tragen zu wollen? Eine Spurensuche in den aktuellen Ereignissen und Kommentaren.

Als Mesut Özil und Ilkay Gündoğan sich im Vorfeld der WM mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdoğan fotografieren lassen, ist der Aufschrei groß. Zwei deutsche Nationalspieler als Wahlkampfhelfer für jenen Mann, dessen Umgang mit Menschenrechten derart in der Kritik steht. Gündoğan erklärt später beim DFB-Pressetag: „Wir haben aufgrund unserer türkischen Wurzeln noch einen sehr starken Bezug zur Türkei. Das heißt aber nicht, dass wir jemals behauptet hätten, Herr Steinmeier sei nicht unser Bundespräsident oder Frau Merkel nicht unsere Bundeskanzlerin. Deshalb war es auch nie ein Thema, ein politisches Statement zu setzen.“ Ausgepfiffen wurde er bei seinem nächsten Spiel im DFB-Trikot zwar dennoch, seither ist der Man-City-Spieler aber offenbar weitestgehend aus der Schusslinie.

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AfD nutzt Stimmung gegen Özil

In der stand in den letzten Wochen relativ alleine: Mesut Özil. Der hat an besagtem Pressetag nicht teilgenommen, nach eigenen Aussagen in enger Absprache mit DFB-Präsident Reinhard Grindel, mit dem er übereingekommen sei, sich ganz auf den Fußball zu konzentrieren. Heute wissen wir, das hat nicht funktioniert: Spätestens mit dem Ausscheiden des deutschen Teams aus dem Turnier und der Suche nach Schuldigen ist Özil komplett in den Fokus der Diskussion gerückt. Eigentlich aber geschah das schon früher – und auf sehr ungesunde Weise.

Mesut Özil war, so ist mein Eindruck, als Spieler nie besonders beliebt, schon gar nicht an den Stammtischen, wo Teile der deutschen Fußballseele nach wie vor verhandelt werden. Ihn zum Sündenbock zu machen, das war fast schon zu einfach. Deshalb nutze beispielsweise die AfD auch im Turnier die Stimmung gegen Özil: Als Joachim Löw ihn beim zweiten Gruppenspiel erstmals seit 2010 nicht von Beginn an aufstellte, kommentiere Alice Weidel: „AfD wirkt.“

Heuchlerische Kritik

Nebenher passierten mehrere Dinge: Fußballfans machten sich erstens über Özil lustig oder kritisierten seine Spielweise, wie das schon häufig der Fall gewesen ist. Andere ärgerten sich über das Foto mit Erdoğan, schimpften über Özil und stellten in Frage, ob er weiterhin für die Nationalelf spielen sollte. Wieder andere beschimpften ihn eindeutig rassistisch, nutzen die Gelegenheit, um ihren Hass gegen alles, was ihnen fremd erscheint, in die Welt zu schreien und stellten das Thema in politisch fragwürdige Kontexte. Der DFB schwieg zu alledem.

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Inzwischen ist das Kind nicht nur in den Brunnen gefallen, sondern gleich mehrfach ersoffen. Dafür gibt es viele Gründe, keiner davon ist einfach und niemand ist ohne Schuld. Warum nun Mesut Özil vor der WM nichts zu den Fotos gesagt hat, lässt sich von außen nicht aufdröseln. Fakt ist, das, was er nun im Nachgang geäußert hat, stellt viele Beobachter nicht zufrieden: Sie hätten sich gewünscht, dass Özil eine tatsächliche Entschuldigung formuliert oder zumindest ein Einsehen, warum die Reaktionen auf das Foto so heftig sind. Der Wunsch ist legitim, kann aber nicht mehr sein als das – ein Wunsch. Özils Erklärung, er habe kein politisches Statement abgeben wollen, habe Erdoğan seit 2010 häufig getroffen, erstmals, nachdem der mit Angela Merkel ein Spiel der Türkei gegen Deutschland gesehen hat, mag für viele Leute nicht genug sein, muss aber doch respektiert werden. Und es steht zwar jedem Menschen frei, die Aktion schlecht zu finden. Die Kritik daran ist dennoch vielfach komplett heuchlerisch.

Welche Werte?

Wenn gefordert wird, dass Mesut Özil sich zu den Werten des DFB bekennt, muss erlaubt sein zu fragen, welche Werte das sind. Oder anders formuliert, sitzt ein Verband nicht im Glashaus, der sich zur WM in Russland bekennt, mit einem Machthaber Vladimir Putin, der für seinen Umgang mit Menschenrechten regelmäßig in der Kritik steht? Man darf wohl davon ausgehen, dass der Besuch von Ehrenspielführer Lothar Matthäus bei Putin auch kein privater war, wieso also wird er nicht derart kritisiert? Und was ist mit der WM in Katar und den Bedingungen, unter denen dort unter anderem die Stadien entstehen? Wie stellt sich der DFB zu Vorwürfen von Human Rights und Amnesty International an der Ausbeutung der Arbeiter und an auch abseits jener Baustellen regelmäßig stattfindenden Verletzungen der Menschenrechte?

Wenn andererseits gefordert wird, Mesut Özil müsse sich zu deutschen Werten bekennen, ist der Resonanzraum noch viel größer: Welche Werte sind hier gemeint? Die Werte einer Politik, die Flüchtlinge im Mittelmeer ersaufen lässt? Die Werte von Politikern wie dem hessischen SPD-Stadtrat Bernd Holzhauer, der Özil und Gündoğan „Ziegenficker“ genannt hat? Oder die Werte einer Bundesregierung, die weiterhin Rüstungsexporte in die Türkei genehmigt und das Land dafür bezahlt, Flüchtlinge von europäischem Boden fernzuhalten? Hätte es Özil vor all diesen Hintergründen wirklich klar sein müssen, welche Wellen das Bild schlagen würde?

Traurige Rolle des DFB

Es geht bei der Beschäftigung mit den vielen Aspekten dieses Themas weder darum, Schuldige zu suchen, noch, Entschuldigungen zu finden. Es geht vielmehr darum, zu erörtern, in welchem Rahmen Dinge passiert sind und wie vielleicht zu erklären ist, warum die Spieler nicht mit der heftigen Reaktion auf ihr Treffen mit Erdoğan gerechnet haben. Es geht aber auch darum, zu hinterfragen, wie es sein kann, dass Özil in der Folge derartig an den Pranger gestellt wurde. Nochmal: Kritik ist das eine, das andere ist die Hetzjagd, der er ausgesetzt war und ist.

In genau dieser Hetzjagd nun spielt der DFB eine äußerst traurige Rolle, weil der Verband es nicht geschafft hat, sich vor seinen Spieler zu stellen. Das kann man auch dann tun, wenn man das Bild gleichzeitig kritisiert: Die Kritik an dem Foto einerseits und die Kritik am rassistischen Umgang mit dem Spieler andererseits können problemlos nebeneinander bestehen. Aber der DFB hat geschwiegen zu den Angriffen und Beleidigungen, denen Özil ausgesetzt war, und das ist ein großes Versagen, speziell für einen Verband, der sich gerne für seine Integrationsarbeit feiert und sie in den Mittelpunkt des eigenen Wertekanons stellt. So sind auch die deutlichen Angriffe zu erklären, die Mesut Özil in seinen am Sonntag veröffentlichten Statements gegen den DFB und namentlich Reinhard Grindel (der inzwischen reagiert hat) formuliert.

Fatales Signal

Man mag Teile von Özils Aussagen als von Kränkung getrieben verstehen – aber wer wäre in seiner Situation nicht gekränkt? Man mag ihm erneut vorwerfen, dass er zu dem Foto nicht so Stellung bezieht, wie sich das viele in der Öffentlichkeit gewünscht haben – aber wäre eine andere Aussage als die von ihm dazu getroffene ehrlich gewesen? Was man aber auf keinen Fall übergehen darf ist die Tatsache, dass Özil sich aus der Nationalmannschaft zurückzieht (es ist ja strenggenommen kein Rücktritt), weil er rassistisch beleidigt wird und weil er sich nicht anerkannt fühlt. In dem Satz: „Wenn wir gewinnen, bin ich Deutscher, wenn wir verlieren, bin ich Ausländer“, liegt nicht nur das Versagen des DFB, sondern das der Gesellschaft, die es viel zu oft nicht schafft, Menschen, die zum Teil seit Generationen hier leben, das Gefühl zu geben, wirklich dazuzugehören. Die Verantwortung für dieses Scheitern geht uns alle an.

In entsprechenden Debatten wird gerne darauf gepocht, Integration sei keine Einbahnstraße. Entsprechend gilt dieser Tadel aber für beide Seiten. Die politische Entwicklung in den letzten Monaten ist eine bedenkliche und viele Probleme, die wir als Gesellschaft gerade bewältigen müssen, kommen in der Geschichte um Özil zum Ausdruck. Das Signal ist fatal, sowohl an die vielen Menschen allen Alters, die sich wie er mehr als einem Land verbunden fühlen, als auch heruntergebrochen an alle Fußballer, die vor der Entscheidung stehen, ob sie in die Bundesliga wechseln oder nicht. Leon Balogun und Tony Ujah haben in der vergangenen Saison beim Spiel in Hannover die Erfahrung machen müssen, wie das ist, wenn die Affenlaute den Weg zurück ins Stadion finden. Nun der vielfach massiv rassistische Umgang mit Özil. Wie kommt das an bei Spielern wie Neu-Mainzer Kunde Malong Pierre? Oder bei Moussa Niakhaté, Franzose mit Wurzeln in Afrika (genauer: Mali), wie viele Spieler der französischen WM-Sieger, die von AfD-Politikern deshalb als afrikanisches Team bezeichnet wurden, was abschätzig gemeint war?

Was tun wir gegen den Rassismus?

Man kann all diese Dinge weiter abtun. Man kann sich in der Debatte um Özil bequemerweise auf das Foto stürzen, die unnötige Vermischung von Politik und Sport beklagen, feixen über die Aussage von Uli Hoeneß, Özil habe „seit Jahren einen Dreck gespielt“, statt aufzuhorchen, welch barschen Ton der Bayern-Präsident da anschlägt. Man kann sagen, der Rassismus wurde nachträglich in die Debatte gestrickt, man kann sich als DFB auf Videos und Einzelaktionen des Verbandes gegen Rassismus berufen, man kann sich ganz generell in Details verlieren. Besser wäre es aber, den Blick aufs Große, Ganze zu richten, nämlich die Frage: Wie gehen wir mit erstarkten Ressentiments und wachsendem Rassismus in unserer Mitte um? Was können wir dagegen tun, wie die Debatte versachlichen, wie zum Miteinander zurückkehren? Wenn wir darauf keine Antwort finden, haben wir alle, als Fans, Medien und Gesellschaft, versagt.

Wissen Sie, was ein Hashtag ist? Dieses ursprünglich als Raute bekannte Zeichen spielt eine wichtige Rolle in sozialen Netzwerken. Wer dort zum Beispiel etwas zu Mainz 05 schreibt, kann mit #Mainz05 dafür sorgen, dass die Beiträge in einer Suche besser auffindbar sind. Beim Spiel der 05er gegen Stuttgart waren die Beitrage auf Twitter unter #m05vfb zu finden. Hashtags zu Spielbegegnungen sind standardisiert, Heimteam vorne, Auswärtsverein hinten, mit je drei Buchstaben. Grundsätzlich sind bei dem Thema der eigenen Phantasie keine Grenzen gesetzt.

Im Prinzip gilt natürlich, je kürzer und einprägsamer, umso besser, aber es spricht auch nichts dagegen, es mal richtig krachen zu lassen. Ich habe beschlossen, diese Saison bei Heimspielen der Mainzer mindestens einmal den Hashtag #dieZuschauerzahlwirdpräsentiertvonistmirbumsegalwievieleLeutedasindwernichtkommtistselbstschuld zu benutzen. Man könnte den auch als #dZwpvimbwvLdswnkiss abkürzen, vielleicht lasse ich meine Follower auf Twitter darüber abstimmen. Fest steht, ich werde den Hashtag benutzen, wenn aus den Stadionlautsprechern die Zuschauerzahl klingt. Mich währenddessen mit dem Handy zu beschäftigen, ist der erste Schritt auf dem Weg dahin, die Zahl vollständig zu ignorieren. Denn ich finde, darüber, wie viele Leute ins Stadion kommen, haben wir genug geredet.

Was für eine unfassbar geile Choreografie

Klar, der Verein hat da eine Aufgabe vor der Brust, die er aktuell auch mit allerhand kreativen Aktionen angeht. Aber darüber hinaus ist das Thema einfach durch. Wir reden dabei nämlich am Ende über die völlig falschen Leute. So ähnlich wie Gastgeber, die auf ihren eigenen Partys bei den Anwesenden immer nur jammern, wer alles nicht gekommen ist. Möp. Viel passender wäre es, nach dem Saisonauftakt beispielsweise über den Q-Block zu reden und die unfassbar geile Choreografie, die von den Jungs und Mädels auf die Beine gestellt wurde.

Wussten Sie, dass die Nummer 14.569 Euro gekostet hat? Deswegen ist die aktive Szene auch mit Spendeneimern durchs Stadion gelaufen, die hoffentlich von allen Seiten ordentlich gefüllt wurden. Wer es bislang nicht geschafft hat, kann seinen Beitrag auch nachträglich überweisen (Infos hier). Statt also in Zukunft die Leute zu beklagen, die nicht auftauchen, lieber öfter mal den Blick auf jene richten, die nicht nur da sind, sondern sich auch immer wieder neue Sachen einfallen lassen.

Der Blick auf die Neuzugänge

Über die falschen Leute wird ein Stück weit auch in Sachen Transfers geredet. Klar, Spieler, die den Verein verlassen, sind uns teuer und vertraut, aber Tatsache ist doch auch, in den meisten Fällen gehen Spieler, weil das ihr ausdrücklicher Wunsch ist. Wenn ich in den Kommentaren zum Abgang von Pablo de Blasis die Empörung einiger Leute lese, wie man den Mann gehen lassen könne, schüttelt sich mein Kopf fast von selbst. Verstehen Sie mich nicht falsch, mir ist der Kampfkobold auch ans Herz gewachsen in seiner Mainzer Zeit, aber viel deutlicher kann ein Spieler den unbedingten Wechselwunsch doch nicht äußern. Und das ist völlig okay, sei es, weil der Mann am Ende seiner Karriere noch eine andere Liga kennenlernen möchte oder weil seine Familie in ein Land will, in dem sie die Sprache versteht – Pablo wollte sehr eindeutig weg und der Verein hat seinen Wunsch respektiert. Guter Move von beiden Seiten, überhaupt kein Grund, sich tagelang damit aufzuhalten.

Aufhalten oder vielmehr beschäftigen könnte man sich hingegen mit der Wagenladung Jungs, die Rouven Schröder in frisch nach Mainz gelockt hat. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir schlackern da ein wenig die Ohren. Klar, Mainz ist eine schöne Stadt und der FSV der beste Verein, aber man darf lobend feststellen, der Sportchef kann das offenbar auch glaubhaft vermitteln. Insofern geht der Blick ab hier nach vorn: In eine neue Saison, voller Chancen und Zaubermomente, von denen wir heute noch nichts ahnen, die aber ganz sicher auf uns warten.

Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Unter anderem des Mainz-05-Krimis "Im Schatten der Arena". Homepage: www.marapfeiffer.de Mara Pfeiffer bei Twitter: Wortpiratin

Von Mara Pfeiffer