Kolumne der Wortpiratin: Fußballfans - Stabil bleiben in...

aus Mainz 05

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Bakery Jatta Foto: dpa

Der Fall Tönnies, der Fall Jatta, rassistische Beleidigungen in Chemnitz - und DfB und DFL spielen eine durchaus unglückliche Rolle. Wortpiratin Mara Pfeiffer fordert alle...

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MAINZ. Das Fußballstadion ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Die Feststellung wurde an dieser Stelle schon häufiger getroffen. Wie auch in anderen Lebensbereichen gibt es auf den Rängen freundliche, unangenehme, lustige, stille Menschen, Sympathen und Idioten. Veränderungen im gesellschaftlichen Klima lassen sich rund um den Fußball nachvollziehen. Fans sind oftmals meinungsstark, viele haben eine Haltung zu politischen Themen. Manches im Stadion mag den Außenstehenden überdreht anmuten und das darf ruhig so sein. Ganz sicher spiegelt jedoch das Verhalten von Fußballanhänger*innen wider, wo eine Gesellschaft steht.

Wo also stehen wir. In Wochen, in denen die Meldungen zum Thema Fußball häufig weniger mit dem Sport zu tun haben, als mit allem, was er berührt. In Zeiten, in denen Clemens Tönnies eine rassistische Äußerung macht und sich selbst mit dreimonatiger Arbeitsniederlegung rein waschen darf von einer Schuld, die zwar die DFB-Ethikkommission durchaus als gegeben sieht – ja, seine Äußerungen waren rassistisch – aber nicht verfolgen will, denn er sei kein Rassist. Was soll das denn bitte heißen? Demnächst neu im DFB-Absurditäten-Theater: Allergisch aber kein Allergiker, kriminell aber kein Krimineller, berühmt aber keine Berühmtheit?

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Zeiten sind das, in denen beim Spiel des Chemnitzer FC gegen die zweite Mannschaft des FC Bayern Aussagen wie „Thomas Sobotzik, du Judensau“ oder „Daniel Frahn ist wenigstens kein Neger“ gefallen sein sollen. Sobotzik, Deutscher polnischer Herkunft, arbeitet im Vorstand des FC, Frahn war dessen Kapitän, ihm wurde wegen seiner angeblichen Nähe zur rechten Szene gekündigt. Frahn selbst hat sich geäußert und dagegen verwehrt, in derlei Zusammenhängen genannt zu werden. Der DFB ermittelt, aber ganz ehrlich, was heißt das heutzutage.

Und dann ist da natürlich Bakery Jatta, der mittlerweile, so scheint es, kaum noch als Mensch, sondern nur als „Fall“ wahrgenommen wird. Am 7. August meldete der Boulevard, der Spieler, der im Sommer 2015 nach Deutschland gekommen war, sei eigentlich Bakary Daffeh und zwei Jahre älter. Zum Zeitpunkt seiner Flucht sei er demnach volljährig gewesen und hätte keinen Anspruch gehabt auf den besonderen Schutz, der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zuteil wird. Der HSV konterte mit den gültigen Papieren seines Angestellten. Jatta hat einen gambischen Reisepass mit dem Geburtsdatum 6.6.98, der von den deutschen Behörden anerkannt wurde. Der Spieler wurde, als er im Juni 2016 seinen ersten Profivertrag bekam, im „Transfer Matching System“ der FIFA gemeldet, woraufhin der gambische Verband Namen und Geburtsdatum als korrekt bestätigten. Weil bei dem Jugendlichen das Wachstum bereits abgeschlossen war, wurde er weitergehend untersucht. Danach erklärte der damalige HSV-Sportdirektor Peter Knäbel laut Hamburger Morgenpost: „Es gibt keinerlei Anzeichen, dass wir am Alter von Jatta, das er angegeben hat, Zweifel haben müssten.“

Die Faktenlage scheint also erstmal ziemlich eindeutig. Als der HSV von der bevorstehenden Berichterstattung erfuhr, setzte der Verein sich dennoch mit der DFL ins Benehmen, die Jatta die Spielerlaubnis erteilt hatte. Spielerlaubnis ist Spielerlaubnis, hieß es dort. Mittlerweile hat die DFL ein Statement zu der Angelegenheit veröffentlicht: „Da es nach Kenntnis der DFL keinen Beweis für eine falsche Identität des Spielers gibt, behält die Spielberechtigung für Bakery Jatta, geboren am 6. Juni 1998, aktuell ihre Gültigkeit. Die Klärung des Sachverhaltes liegt bei den staatlichen Behörden, der für die internationale Freigabe eines Spielers zuständigen FIFA und dem satzungsgemäß für die Entscheidung über Einsprüche gegen die Spielwertung zuständigen DFB-Sportgericht.“

Einspruch nämlich haben drei der Vereine, die bislang in der zweiten Liga gegen den HSV angetreten sind, gegen die Spielwertung eingelegt. Sprich, sie möchten die Begegnungen, die sie sportlich nicht für sich entscheiden konnten, nachträglich am grünen Tisch gewinnen. Das ist aber nach der Auffassung mehrerer Sportjuristen relativ komplex. Selbst für den Fall, dass Jatta falsche Angaben gemacht hat, würden den unterlegenen Gegnern demnach die Punkte aus den Begegnungen nicht gutgeschrieben, weil diese erst beweisen müssten, dass der HSV von der vermeintlichen Täuschung wusste. Letzterer steht felsenfest zu seinem Spieler. In der Pressekonferenz nach dem Sieg beim Karlsruher SC erklärte Trainer Dieter Hecking: „Baka hat alle Dokumente vorgelegt und sie sind rechtsgültig. Wenn wir dem Staat und den deutschen Behörden nicht mehr vertrauen können, dann können wir nach Hause gehen.“

Während der Partie war der Spieler von den KSC-Fans ausgepfiffen worden, der HSV-Anhang feierte ihn nach dem Spiel, auch, um ein Zeichen gegen die vorangegangenen Anfeindungen zu setzen. Was viele Leser*innen in die Kommentarfelder unter Artikel zu Bakery Jatta tippen, ist längst nur schwer auszuhalten. In den Worten steckt unverhohlener Rassismus, und gültige Richtlinien wie „Im Zweifel für den Angeklagten“ verlieren ihren Wert darin. Bislang gibt es für die Behauptungen, Jatta habe seine Identität gefälscht, keinen einzigen Beweis. Den Mob aber interessiert das nicht, er hat sich ohnehin schon festgelegt: Der gehört hier nicht her.

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Weil der Mob ja findet, die gehören hier alle nicht her. Deutschland den Deutschen, Ausländer raus, der Afrikaner lügt doch, so sind die halt, weiß man ja. Und sobald es dunkel wird, machen die alle Kinder, sagt Clemens Tönnies und der ist schließlich kein Rassist. Sagt der DFB in einem schrecklichen Irrtum, denn die Entscheidung des Schiedsgerichts spielt all jenen in die Karten, die finden: Endlich sagt’s mal einer. Und dann geht man ins Stadion und pfeift ein bisschen die Afrikaner aus. Und so werden die Regeln für das, was gesagt und getan werden kann, immer weiter gelockert, als wüsste man in diesem Land nicht, wohin das führt.

Der DFB macht sich mitschuldig. Die Vereine, die Protest einlegen gegen die Spielwertung, sie machen sich mitschuldig. Weil sie aufgrund vager Vermutungen ein Thema am Leben halten, das nicht nur dem Menschen Bakery Jatta schadet, sondern dem gesellschaftlichen Klima ganz allgemein. Die Behauptung, man handle aus Verantwortung gegenüber dem eigenen Verein, ist einfach lächerlich. Wer ein Spiel sportlich verliert, sollte das akzeptieren, statt sich auf diese unwürdigen Verfahren einzulassen. Dass es auch anders gehen kann, zeigt der Chemnitzer FC, der die sportliche Niederlage im Pokal akzeptiere, auch die Verantwortlichen des FC St. Pauli erklärten bereits, man werde nach dem Derby keinen Protest einlegen. Martin Kind appelliert vorm Spiel der Hannoveraner in Hamburg, man dürfe den Menschen Jatta nicht aus dem Blick verlieren, auch Daniel Thioune, Trainer des VfL Osnabrück, hält ein Plädoyer für den Spieler.

Solche Stimmen sind wichtig. Denn nochmal, aktuell gibt es keinerlei Beweise dafür, dass Jatta lügt. Zwei vermeintliche Zeugten haben mittlerweile erklärt, sie hätten Aussagen, mit denen sie zitiert wurden, nicht getätigt. Seydou Sane, Präsident des senegalesischen Erstligisten Casa Sports, für den Bakary Daffeh gespielt hat, soll nun aussagen und will angeblich auch Daffehs Spielerpass vorlegen. Aber soll dieser dann glaubwürdiger sein als Jattas Pass? Der DFB sollte sein Möglichstes tun, um dieses unwürdige Schauspiel schnell zu beenden. In einer Broschüre des Verbands zum Umgang mit geflüchteten Spielern heißt es übrigens: „Viele Flüchtlinge kommen ohne jegliche Papiere nach Deutschland. Insbesondere Altersangaben geben immer wieder Anlass zu strittigen Auseinandersetzungen. Für Vereine und Verbände besteht jedoch kein Grund, behördliche Dokumente in Zweifel zu ziehen oder die dortigen Angaben selbst zu überprüfen. Dies gilt auch, wenn in den Dokumenten vermerkt sein sollte, dass die dort festgehaltenen Daten auf eigene Angaben des Inhabers zurückgehen.“

Machen wir uns nichts vor. Es geht bei der Geschichte weder um Recht noch um Sport, sonst wäre sie bis hierher ganz anders verlaufen. Es geht um Ressentiments, die aktuell ohnehin im gesellschaftlichen Aufwind sind und die hier neues Futter bekommen. Bedauerlich, dass Mainz 05 und der HSV derzeit nicht in derselben Liga spielen. Man wünscht sich in diesen Tagen, zu einem Umfeld zu gehören, das ein Zeichen setzen würde gegen den Irrsinn. So, wie sich Mainz 05 in jüngster Vergangenheit bei gesellschaftlichen Themen positioniert hat, glaube ich, der Verein hätte dies in einer solchen Situation getan. Doch das bleibt derzeit Spekulation.

Zeichen setzen können die Vereine der zweiten Liga sowie die Fans aller Vereine. Zeichen, das Rassismus im Stadion nichts verloren hat, braunes Gedankengut keine Mehrheiten findet. Die Verbände lassen derzeit alle im Stich, die sich aus den Kurven gegen Rechts engagieren. Umso wichtiger ist es, dass diese Stimmen nicht leiser werden. Stabil bleiben.

Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Unter anderem von "111 Gründe, Mainz 05 zu lieben" (mit Christian Karn). Aktuell erschienen: "Im Schatten der Arena - der Mainz-05-Krimi". Homepage: www.marapfeiffer.de Mara Pfeiffer bei Twitter: Wortpiratin

Von Mara Pfeiffer