Im Fußball war das entschiedene "Nein zu Rassismus" zuletzt viel mehr als nur eine Floskel. Es wurde gelebt. Der Fall Tönnies stellt eine Zäsur dar, so Wortpiratin Mara Pfeiffer.
MAINZ. Das große Thema des Songs „Der Tag wird kommen“ von kettcar-Sänger Marcus Wiebusch ist Homophobie im Fußball. Der Tag, um den es geht, „an dem wir alle unsere Gläser heben“, ist darin jener, an dem der erste aktive Fußballspieler offen zu seiner Liebe steht. Den Mut aufbringen wird – oder vielmehr: Keinen Mut mehr braucht, weil es normal sein wird, seine Liebe offen zu zeigen. Daneben geht es in dem Lied, frei nach Hegel, um gesellschaftlichen „Fortschritt, im Bewusstsein der Freiheit“.
Kurven, Fanprojekt, der Fußball haben dazugelernt
Als einen Fortschritt besingt Wiebusch, dass noch 20 Jahre vor Erscheinen des Songs (2014) Spieler im Stadion mit Bananen beworfen wurden, natürlich ein untragbarer Zustand, der zwischenzeitlich verbannt worden war: „Und dann die Affenlaute, bei jeder Ballberührung. Diese Zeiten sind vorbei und keine glückliche Fügung. Sondern Fortschritt, Veränderung, wir sind auf dem Weg.“ Jetzt wäre es naiv, zu behaupten, derartige gesellschaftliche Probleme hätte es im Sommer 2014 im Stadion nicht gegeben, richtig ist aber die Beobachtung, dass man sich auf einem guten Weg wähnte: Kurven, Fanprojekt, der Fußball als gesellschaftliche Institution, die er zweifellos ist, hatten dazugelernt, sich bewegt und das viel zitierte „Nein zu Rassismus“ war mehr als eine Floskel, es war ein gemeinsamer Leitsatz.
Es war wichtig, dass diese Entwicklung im Fußball so deutlich ihren Ausdruck fand, denn der dieser ist ein Spiegel der Gesellschaft. So, wie das soziale Konstrukt, in dem wir uns täglich miteinander arrangieren, jedoch außerhalb des Fußballs nicht homogen ist, gilt das auch dort. Sprich, die ewig Gestrigen, besorgte Wutbürger, jene, die sich rassistisch, homophob, antisemitisch, sexistisch oder ähnlich äußern, sind immer noch da. Ihnen ist in den Stadien aber vielfach die Bühne entzogen und eine Grenze aufgezeigt worden : „Ihr gehört nicht zu uns, seid nicht Teil unserer Gemeinschaft. Wir vertreten andere Werte.“
Es ist wichtig, diese Grenze zu ziehen, nicht nur einmal, sondern immer wieder von Neuem. Und es wird aktuell zunehmend wichtiger, darauf hinzuweisen: Die Grenze, ihre Bedeutung, die Tatsache, dass es bei all diesen Themen nicht um entschuldbare Kleinigkeiten geht. Dass es etwas über uns aussagt, wie wir damit umgehen. Der Fußball war zunehmend zu einem Ort geworden, von dem dabei positive Impulse ausgingen – und auch das war wichtig.
Fall Tönnies muss Zäsur darstellen
Dieses Selbstverständnis des Fußballs ist zuletzt brüchig geworden und Clemens Tönnies ist längst nicht das erste Beispiel dafür. Der Fall Tönnies muss aber eine Zäsur darstellen, wenn wir nicht in einige Jahren auf diesen Moment zurückschauen wollen mit der Feststellung, es war jener, in dem uns das Thema entglitten ist. Denn der gesellschaftliche Diskurs ist in den letzten Monaten längst verrutscht, Unsagbares leichthin aussprechbar geworden, Hass und Vorurteile frei drehend. Wenn wir als Gesellschaft einem Mann wie Clemens Tönnies seine Worte durchgehen lassen, ist das eine moralische Bankrotterklärung für alle Beteiligten.
Man solle in Afrika jährlich in 20 Kraftwerke investieren, hatte Tönnies in einer Rede gesagt: „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“ Beim „Tag des Handwerks der Kreishandwerkerschaft Paderborn-Lippe“ hat der Fleischfabrikant Applaus und Gelächter geerntet, unter den Fans von Schalke 04, dessen Aufsichtsratsvorsitzender Tönnies ist, überwogen Entsetzen und Verletzung über seine rassistische Aussage. Und das ist erstmal eine gute Nachricht. In Stellung brachten sich allerdings auch direkt Fürsprecher, sowohl aus dem Fußball als auch anderen Bereichen. Es sei nur eine Art Versprecher gewesen, hieß es von einigen, Tönnies sei eigentlich ein feiner Kerl, ganz sicher kein Rassist. Man dürfe diesen Altherrenwitz nicht zu etwas hochstilisieren, was er nicht sei, eben: Rassismus. Angeblich, weil man damit den „echten“ Rassisten helfe, weil die ja kaum noch auffallen, wenn sowas schon als Rassismus durchgeht.
Da wunderte es letztlich kaum noch, dass der Schalker Ehrenrat Tönnies freundlich beschied, gegen das in der Vereinssatzung und im Leitbild verankerte Diskriminierungsverbot habe der zwar verstoßen, sei deshalb aber noch kein Rassist. Verschiedene User auf Twitter sprachen daraufhin passend von „Schrödingers Rassismus“, bei dem man gleichzeitig Rassist und kein Rassist sein kann. Wer solches Gedankengut äußert, ist aber selbstverständlich Rassist. Ob er auf einer Skala von 1 bis 10 als rassistisches Leicht- oder Schwergewicht durchgeht, ist dabei am Ende vollkommen egal, denn Rassismus ist immer untragbar, egal auf welcher Stufe.
Es nutzt auch nichts, bei diesem Thema zu beschwichtigen. Oder denen nach dem Munde zu reden, die finden, man müsse sich inzwischen zu viele Gedanken machen, bevor man spricht. Gerade, wer das wie Tönnies öffentlich und wirkungsstark tut, muss das selbstverständlich – sich Gedanken machen über Wucht und Wirkung seiner Worte. Und bestenfalls sollten wir alle das jederzeit tun, denn: Mit den Worten fängt es an.
Wird die Ethikkommission des DFB Konsequenzen ziehen?
Clemens Tönnies steht es frei, für sich privat eine Linie zu ziehen zwischen einer rassistischen Aussage und seinem Selbstverständnis, nach dem er vielleicht kein Rassist ist. Aber in seiner öffentlichen Rolle gilt diese Unterscheidung nicht. Wer sich so äußert und danach noch nicht einmal zu einer Entschuldigung in der Lage ist, die jene einbezieht, gegen die seine Aussagen gingen, ist in einer solchen gesellschaftlichen Rolle nicht tragbar. Da ihm leider der Anstand fehlt, daraus selbst Konsequenzen ziehen, müssen dies andere für ihn tun. Der Ehrenrat hat es nun ebenfalls verpasst, entschlossen zu handeln, was bedauerlich und beschämend ist.
So ruhen die Hoffnungen ausgerechnet bei der Ethikkommission des DFB, was beinahe eine humoristische Note hat. Der DFB immerhin hat vor ziemlich genau einem Jahr jämmerlich versagt, als es darum ging, einen Fußballer zu schützen, der einst selbst das Schalker Trikot trug: Mesut Özil im Nachgang der WM 2018 in Russland. In jenem Sommer hat der Verband es kläglich versäumt, aktiv zu werden gegen all jene, die im Stadion wieder volkstümeln und Sprüche klopfen wollen – und die dabei entweder vorgeben, das alles ja gar nicht so ernst zu meinen, oder hier offen Vorurteilen und Ressentiments frönen.
Lange nach dem kläglichen Umgang mit den Hasstiraden gegen Özil wurde im DFB an vielen Stellen Bedauern darüber geäußert und wohlfeil behauptet, man habe daraus gelernt. In der Angelegenheit Tönnies ist denn auch tatsächlich erstmals ein Statement von Cacau, seines Zeichens DFB-Integrationsbeauftragter, zu lesen, das inhaltlich dessen Rolle gerecht wird.
Am 15. August tagt die Ethikkommission des Verbands und wird sich auch mit den Aussagen von Tönnies beschäftigen. Es wäre eine Chance, zu zeigen, dass man aus Versäumnissen der jüngeren Vergangenheit gelernt hat. Ermittlungen gegen Tönnies einzuleiten, der glaubt, es genüge, nun drei Monate seine Arbeit ruhen zu lassen, ist zwingend. Die Fans von Schalke 04 werden, so scheint es aktuell, den Verband permanent und nachdrücklich daran erinnern, dass er hier eine Verantwortung trägt. Es wäre ein wichtiges und überfälliges Zeichen, klare Kante zu zeigen. Bemühungen der Kurven gegen Rassismus werden sonst abgewertet und die entsprechenden Aktionen des DFB als wertlose Lippenbekenntnisse enttarnt.
Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Unter anderem von "111 Gründe, Mainz 05 zu lieben" (mit Christian Karn). Aktuell erschienen: "Im Schatten der Arena - der Mainz-05-Krimi". Homepage: www.marapfeiffer.de Mara Pfeiffer bei Twitter: Wortpiratin
Von Mara Pfeiffer