Beim Forum E-Sport des Landessportbunds Hessen in Griesheim diskutieren Interessierte aus Vereinsszene und Politik viel Grundsätzliches. Doch die Realität scheint schon weiter.
Von Volker Bachmann
Sportredakteur
Foto: Gorodenkoff - Adobe Stock
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GRIESHEIM - Da kann die Sportfamilie diskutieren, wie sie will, es wird keine einfache Lösung geben, die alle zufriedenstellt. Der neue, ziemlich zwielichtige Spielkamerad des eigenen Nachwuchses steht ungeduldig vor der Tür: namens E-Sport. Reinlassen oder ausschließen? Holt man sich mit der Gaming-Szene schlechten Einfluss ins Haus? Oder verliert man gar die eigenen Kinder, weil sie sonst das Weite suchen, vom bewegenden Sport in die virtuelle Welt, wo es vor allem um Töten und Zerstören zu gehen scheint?
Zwischen Tür und Angel soll nun möglichst eine Entscheidung her. Auseinandersetzungen, Gutachterstreit und harte Worte sind längst angesagt. Beim Forum E-Sport des Landessportbunds Hessen (LSBH) am Samstag in Griesheim versuchten sie es mit durchaus mutiger, aber sachlicher Offenheit, direkter Annäherung und "sprachlicher Abrüstung", wie LSBH-Präsident Rolf Müller in seiner Begrüßungsrede für etwa 80 Interessierte aus Vereinsszene und auch Politik beteuerte. Das Thema "E-Sport - Zukunftsfaktor oder Irrwege für Sportvereine und Verbände?" löste jedenfalls in den Räumlichkeiten des TuS Griesheim einen regen Austausch von Argumenten und Sichtweisen aus - sowohl in der Podiumsrunde mit vielen Zwischenfragen als auch in kleinen Arbeitsgruppen. Angeregt dadurch, dass der Gastgeber bereits vorgeprescht ist und aus der Theorie schon Praxis mit einer E-Sport-Gruppe samt neuer Infrastruktur entwickelt hat. Im Nebenraum der neuen Multihalle "KultuS" konnten sich die Forumsteilnehmer selbst im virtuellen Spiel ausprobieren, das längst Millionen begeistert.
20 000 Euro in Equipment und Glasfaserkabel investiert
"Ich persönlich habe mit E-Sport nichts am Hut", räumte der TuS-Vorsitzende Claus Walther ein. Dennoch wurden über 20.000 Euro in Equipment und Glasfaserkabel investiert. Dazu unter anderem Fördermittel akquiriert vom hessischen Wirtschaftsministerium, das die Digitalisierung vorantreiben will. Das virtuelle Spiel sei als Jugendphänomen nun mal Realität, betont der Pädagoge. Eine gesellschaftliche Herausforderung, der man sich stellen müsse, zumal Eltern ebenso wie Schulen derzeit damit massiv überfordert seien. Sein Credo: Lieber die Szene aktiv begleiten, mit der Chance, das Geschehen mitzugestalten, als völlig außen vor zu bleiben. "Wir holen die Jugend da ab, wo sie ist", erklärte Timo Schneidler, Sport- und Physiklehrer der Gerhart-Hauptmann-Schule, der die Gruppe als weiteres Kooperationsprojekt zwischen Schule und Verein mitbetreut. Die Kinder beim Spielen pädagogisch zu begleiten, sei enorm wichtig. Das könne nicht zuhause im stillen Kämmerlein, sondern eben nur in solchen Gruppen geschehen - gerade auch um Suchtgefahren vorzubeugen.
POSITIONEN UND EMPFEHLUNGEN
Auf die Autonomie des Sports pochte Daniel Illmer als Referent des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) - auch weil die Politik in der allgemeinen Digitalisierungswelle als Treiber des Themas agiere und E-Sport "in einer Nacht-und-Nebel-Aktion" in den Koalitionsvertrag aufgenommen hat. Der Leiter der Stabstelle Verbandsentwicklung verwies auf das im vergangenen Jahr veröffentlichte Positionspapier, wonach allenfalls die elektronischen Sportspiele oder -simulationen unter das Dach des DOSB einziehen könnten. Nicht aber das meist gewaltgeprägte E-GamingDies sei mit den ethischen Grundsätzen im Sport nicht vereinbar. "Das passt nicht", argumentiert Illmer ebenso wie LSBH-Präsident Rolf Müller, dessen Landesverband nun ein ähnliches Positionspapier nachgeschoben hat. "Wir empfehlen unseren Vereinen und Verbänden, die Wertorientierung des Sports im Zusammenhang mit virtuellen Angeboten zu beachten", heißt es darin.
Ähnlich sieht es Frederik King, der bei der TGS Niederrodenbach eine der wenigen bisher bestehenden E-Sport-Abteilungen im Land leitet. "Wir brauchen Trainer und Betreuer", hofft er auf Ausbildungs- und Förderstrukturen, wie sie im traditionellen Sport etabliert sind. Noch ist das Zukunftsmusik, zumal das Engagement von Vereinen die Gemeinnützigkeit gefährden kann.
"Die aktuelle Satzung gibt das nicht her", betonte Ralf-Rainer Klatt, der als LSBH-Vizepräsident und als Mitinitiator der E-Sport-Gruppe beim TuS die Sichtweisen von "oben nach unten, aber auch von unten nach oben" kennt. Klar ist auch für Klatt, dass der organisierte Sport "als die größte Jugendorganisation" bei diesem Phänomen nicht weggucken könne. "Der Verein ist schon der ideale Ort, an dem das organisiert werden kann." Die TuS-Gruppe sieht er allerdings erst in einem "Werkstatt- oder Labor-Stadium". Andererseits dürften sich die Sportverbände auch nicht einfach dem Druck aus der Industrie beugen. Denn diese betreibt massive Lobbyarbeit, um mit ihren (urheberrechtlich geschützten) Produkten auf dem Markt weiter wachsende Gewinne zu erzielen: Milliarden werden bereits umgesetzt.
Dass längst auch Sponsoring-Etats vom traditionellen Sport in den E-Sport abwandern, rüttelt freilich an den Grundfesten des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Im wachsenden Druck sieht Daniel Illmer (Leiter Verbandsentwicklung) immerhin einen positiven Nebeneffekt: "Das zwingt uns, auf das Selbstverständnis des Sports zu schauen." Doch das wird nicht reichen, denn die Grundsatzdiskussionen scheinen von der Realität bereits überholt. An der Basis erwartet man inzwischen längst mehr praxisnahe Vorgaben und Strukturen, das verrieten verschiedene Beiträge aus der Vereinsszene. "Viele stehen schon in den Startlöchern", befand Klatt über die rege Resonanz aus den Klubs. Es sei höchste Zeit gewesen für eine solche Veranstaltung, räumt er ein - "und es wird auch nicht die letzte sein".