Beim Reisetrend „Staycation“ ist der Ort egal. Spannende Unterkünfte und Hotelkonzepte lösen Sehenswürdigkeiten ab. Auch der Urlaub in der eigenen Umgebung ist gefragt.
Von Ute Strunk
Reporterin Politik
Das „Casa Cook Chania“ auf Kreta ist ein Beispiel für Hotelkonzepte, die ein Zuhause auf Zeit anbieten.
(Foto: Thomas Cook)
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Früher nannte man es „Urlaub auf Balkonien“, jetzt heißt es „Staycation“ und ist ein neuer Trend – eine Wortschöpfung aus dem englischen „stay“ (bleiben) und „vacation“ (Urlaub). Aus der Not heraus geboren, wurde Staycation in den USA in Zeiten der Finanzkrise von 2007 bis 2010 populär. Wer es sich nicht leisten konnte zu verreisen, blieb in den Ferien eben zu Hause. Dabei gab es natürlich auch schon vorher Menschen, für die eine Reise unerschwinglich war – und nicht nur in den USA. Die Betroffenen wurden oft mitleidig betrachtet. Und während die einen zum zweiwöchigen Mallorca-Urlaub aufbrachen, konnten sich die anderen höchstens ein Wochenende in der Jugendherberge leisten – wenn überhaupt.
Heute wird nun das, was früher unter dem Punkt günstiges Reisen belächelt wurde, neu belebt: Urlaub auf dem Campingplatz oder in einer Hütte im Wald. Es sei durchaus eine Tendenz zu erkennen, wieder das zu entdecken, was vor der eigenen Haustür liegt, bestätigt Tourismusforscherin Anja Kirig aus Frankfurt den neuen Staycation-Trend: „Die Menschen machen zunehmend Kurzurlaub mit nur einer Übernachtung in der eigenen Umgebung.“ Der Grund: „Die Exotik des fernen Ziels hat etwas an Glanz verloren.“ Denn während vor circa 40 Jahren Fernreisen für viele eben noch unerschwinglich waren, ist das heute nichts Besonderes mehr.
Doch nicht nur das. Insgesamt sind die Menschen auch im Alltag viel mehr unterwegs als noch vor einigen Jahren. „Da ist es dann auch mal schön, wenn man seinen Urlaub zu Hause verbringen darf“, erläutert Kirig den Wunsch nach Rückzug ins Private.
Das „Casa Cook Chania“ auf Kreta ist ein Beispiel für Hotelkonzepte, die ein Zuhause auf Zeit anbieten. Foto: Thomas Cook
Im „Casa Cook Chania“ auf Kreta wohnen Urlauber in Bungalows. Foto: Thomas Cook
Wohnraum in modernem Design: „Casa Cook Chania“ auf Kreta. Foto: Thomas Cook
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Die Anforderungen an die zunehmend mobile Gesellschaft ändern sich, wobei sich die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit mehr und mehr auflösen. Heute stehe gar nicht mehr das Work-Life-Balancing im Vordergrund, sondern das Work-Life-Blending – also die Vermischung der Sphären Arbeit und Freizeit, so die Trendforscherin, die für das Zukunftsinstitut in Frankfurt den Bereich Tourismus untersucht. Manchmal sei gar nicht mehr klar definiert, was Arbeit und was Freizeit ist. Wie ist das zum Beispiel, wenn man zu Hause etwas Dienstliches liest? Ist das dann Arbeit oder ist das Freizeit?
In Zukunft geht es daher im Bereich Tourismus immer stärker darum, den individuellen Ansprüchen des Einzelnen zu begegnen: dem Wunsch nach Inspiration und Gemeinschaft mit Gleichgesinnten genauso wie dem nach Ruhe. Ein weiterer Aspekt ist, ein Stück weit Sicherheit und Vertrautheit zu erleben, trotz der Sehnsucht nach Exotik. Und da können große Reiseveranstalter profitieren, indem sie die Abenteuerlust der Menschen mit Sicherheit, Komfort und Vertrautheit kombinieren. Unter diesen Bedingungen wird es künftig immer weniger wichtig sein, wohin der Tourist reist. „Das einzelne Ziel ist nicht mehr wirklich relevant“, sagt Anja Kirig. Die Destination als solche habe nicht mehr die gleiche Attraktivität wie früher, da es heute einfach ein Überangebot an Möglichkeiten gibt.
Das hat auch Reiseveranstalter Thomas Cook bei einer Umfrage unter seinen Kunden festgestellt: 83 Prozent der Strand- und Badeurlauber messen der Unterkunft eine maßgebliche Rolle bei der Wahl des Urlaubsziels zu. „Ein gut gemachtes Hotel wird zum Reiseziel für sich und ist wichtiger als die Destination selbst“, sagt Stefanie Berk, Geschäftsführerin Thomas Cook Central Europe & East. Der Veranstalter kommt den veränderten Wünschen seiner Kunden mit verschiedenen Hotel-Konzepten entgegen. Paradebeispiel ist die Marke „Casa Cook“, ein Hotel, das ein Zuhause fernab der Heimat sein will – mit individuell ausgesuchten Kunstwerken, Vintagemöbeln und ohne feste Essenszeiten. Die Gäste können essen, wann immer sie Hunger haben, eben wie zu Hause. Auch Entdeckungstouren mit Einheimischen abseits ausgetretener Pfade werden für die Urlauber angeboten.
„Tatsächlich können Unterkünfte einspringen und sich sozusagen als Ziel vermarkten“, bestätigt Trendforscherin Anja Kirig. Man dürfe aber trotzdem nicht vergessen, die lokale Kultur drum herum mit einzubetten. „Ich glaube, dass Plattformen wie Airbnb ganz stark dazu beigetragen haben, dass heute auch Orte entdeckt werden können, die vorher niemals auf dem Schirm gewesen wären, weil es dort gar keine Infrastruktur mit Übernachtungsmöglichkeiten gegeben hat.“ Die Zeit, in der Reiseziele nach Sehenswürdigkeiten ausgesucht wurden, scheint jedenfalls vorbei zu sein. Gefragt sind authentische Erlebnisse der Kultur eines Landes – das zeigt auch eine weltweit durchgeführte Expedia-Studie zu den Wünschen der Millenials, jener Generation, die zwischen 1980 und 2000 geboren wurde. Millenials wollen im Urlaub leben wie die Einheimischen. Sie wollen versteckte Juwelen entdecken und Orte, an denen sich auch die lokale Bevölkerung aufhält. Ganz beliebt sind daher Webseiten wie „Spotted by Locals“, auf denen Reisende Tipps von Einheimischen erfahren.
Das sei allerdings nicht nur ein Generationen-Thema, hat Anja Kirig festgestellt. Die Tourismustrendforscherin möchte vermitteln, dass es heute gar nicht mehr darum geht in Zielgruppen wie Alter, Geschlecht oder Herkunft zu denken, sondern, darum Bedürfnisse anzusprechen. Und um Bedürfnisse zu befriedigen, können Hotels ein temporäres Zuhause sein. Sie können Orte sein, die die Möglichkeit bieten dort zu arbeiten, die Inspirationen liefern und gleichzeitig eine Form von Erholung. Das seien Konzepte, die Zukunft haben.