Auf der Terrasse der Bergrestaurants La Fruitière lässt sich der Ausblick auf die wunderschöne Winterlandschaft genießen. Foto: Claudia Diemar
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Grellorange leuchten die Champagnerkübel aus Kunststoff auf den Tischen. Als Tagesgerichte stehen Hummer und Mittelmeerfisch auf der Tafel des Bergrestaurants La Fruitière. Die günstigste Flasche Wein kostet 40 Euro, die Teuerste mehr als zwei Tausender.
Als das Mittagessen beendet ist, steigt die Stimmung. Aus schrankgroßen Boxen wummern Dancefloor-Rhythmen auf der Sonnenterrasse durch die weiße Weite. Profitänzer in hautengen Einteilern stürmen die Bühne auf über 2000 Metern Höhe. La Folie Douce, also „süße Verrücktheit“, nennt sich die tägliche Show mitten im Skigebiet von Val d’Isère in den französischen Alpen.
Wintersportler stampfen in schweren Skischuhen den Takt mit, andere sind schon wieder unterwegs, um noch einige Pistenkilometer im „Espace Killy“ zu sammeln. Im benachbarten Obstacle Park springen die Snowboarder Salti über Schanzen und wirbeln durch die Halfpipe wie die Tänzer auf der Bühne – Höhenrausch, wohin man auch blickt.
Auf der Terrasse der Bergrestaurants La Fruitière lässt sich der Ausblick auf die wunderschöne Winterlandschaft genießen. Foto: Claudia Diemar Foto: Claudia Diemar
Grandiose Landschaft: Val d’Isère ist eingebettet in die malerische Kulisse der französischen Alpen. Schon seit 1932 kennt man im mondänen Ort eine Wintersaison. Foto: nuts.fr Foto: nuts.fr
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Als „Schönstes Skigebiet der Welt“ wirbt der Pistenverbund Val d’Isère-Tignes ganz unbescheiden für sich. 300 Kilometer Pisten auf über 10 000 Hektar und zwei Gletscher-Sommerskigebiete garantieren Schneespaß. Das alles klingt beeindruckend, aber Skigebiete der Superlative gibt es inzwischen nicht wenige in den Alpen und weltweit sowieso.
Vor über 40 Jahren, bei der ersten Begegnung mit Val d’Isère, war das ganz anders. Damals erschien uns der Ort als der Sitz der weißen Götter schlechthin. In Frankreich waren wir niemals zuvor in Ferien gewesen. Und den Skiurlaub hatten wir bis dato nur in Oberbayern oder Österreich auf Idiotenhügeln mit archaischen Schleppliften verbracht. Ein Freund der Familie überredete uns zu dem kühnen Entschluss, es mit den französischen Alpen zu probieren. Er kannte dort eine extrem günstige Adresse. Wir buchten ein Vierbettzimmer in einer Art Jugendherberge samt Verpflegung von erstaunlich hoher Qualität.
INFORMATIONEN
Anreise: Mit dem Auto sind es rund 660 km aus dem Rhein-Main-Gebiet nach Val d’Isère. Mit dem Zug (z.B. TGV ab Frankfurt) über Lyon oder Genf bis Bourg-St-Maurice, von dort mit Bus oder Taxi weiter (ca. 30 km bis Val d’Isère).
Unterkunft: Hotel Ormelune, charmantes 3-Sterne-Designhotel in idealer Lage, DZ ab 210 Euro, www.ormelune.com Hotel La Galise, gemütliches Zwei-Sterne-Hotel nahe Skiliften, DZ ab 135 Euro, www.lagalise.com. Das Centre UCPA bietet eine Woche Unterkunft im Mehrbettzimmer mit Verpflegung inkl. Skipass für Skifahrer von 18 bis 39 Jahren ab ca. 590 Euro. Weitere Angebote und Informationen unter www.ucpa-vacances.com/centre/val-d-isere. Chalets und Ferienwohnungen z.B. unter www.ski-france.com.
Essen & Trinken: L’Arolay, uriger Gasthof mit Raclette, Fondue oder Fleisch vom Tischgrill, www.arolay.com; La Grande Ourse, gehobene Küche in historischem Haus, www.grande-ourse.com.
Auskünfte: Val d’Isère Office du Tourisme, Tel. 033-479 06 06 60, www.valdisere.com sowie www.france-montagnes.com.
Am nächsten Morgen zogen wir mit Bernard auf die Pisten. Wir fuhren und fuhren, eroberten immer neue Hänge und Liftanlagen. Trotz Sprachbarriere war Bernard der beste Skilehrer, der sich je um uns bemüht hatte.
Am Ende dieser französischen Wunderwoche waren aus jahrelangem Gepflüge und hingemurksten Stemmbögen wie durch Zauberei elegante Parallelschwünge geworden.
Was wir erlebten, war tatsächlich ein Höhenrausch in Weiß, ein Pistenparadies, von dem wir zuvor nicht zu träumen gewagt hätten, weil wir gar nicht ahnten, dass es dergleichen geben konnte. Die Rede, dass Gott in Frankreich zu Hause sei, leuchtete uns nun ein. Wir wussten nicht, wo er den Sommer verbrachte, aber im Winter wohnte er im Schatten des mächtigen Mont Blanc.
Damals schon galt Val d’Isère als „renommierter Platz“, gehörte in den Kreis mondäner Orte wie Bad Gastein, Cortina d’Ampezzo, Sankt Moritz oder Zermatt. Für eine Mittelschichtfamilie waren solch glamouröse Ziele schlicht zu teuer. Aber wir hatten mit unserer Herbergsvariante der Exklusivität ein Schnippchen geschlagen und für damals 600 Mark zu viert eine ganze Woche Urlaub im Schnee gemacht.
Natürlich lässt sich eine solche Liebe auf den ersten Blick nicht einfach wiederbeleben. Man wird abgeklärter und kritischer angesichts noch so geschickt inszenierter Verführungen. Seltsam daher, dass der Ort uns beim Wiedersehen noch schöner erscheint als einst. Die Dorfkirche aus Bruchsteinen erkennen wir sofort. Wie aus einem Guss wirken die Gebäude rundum, allesamt aus unverputztem Granit gefügt und mit hölzernen Balkonen geschmückt. Warum haben wir keine Erinnerung an dieses malerische Ensemble?
Wir können es gar nicht kennen. Val d’Isère, das anders als die französischen Retortenstationen der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts schon seit 1932 eine Wintersaison kennt, wuchs langsam und stetig über Jahrzehnte. Schön war sein allmählich zugewuchertes Zentrum zu Zeiten unserer ersten Begegnung dennoch nicht.
In den 80ern wagte man einen Befreiungsschlag in Form einer konsequenten Neugestaltung des Dorfkerns. Aus Holz, Granit und Schieferziegeln ließ Architekt Jean-Louis Chanéac fügen, was heute wie gewachsen wirkt. Direkt zum Dorfplatz hin läuft die Piste sanft aus, rutschen die Kleinen auf ihren ersten Brettern den Armen der Großeltern entgegen, die im Liegestuhl das Gesicht in die Sonne halten.
Die Herberge „Centre UCPA“, wo wir damals wohnten, gibt es noch immer. Menschen bis 55 Jahre können dort auch heute eine Woche lang Winterurlaub machen und dabei weniger ausgeben, als manche Rechnung fürs Mittagessen im Bergrestaurant La Fruitière an einem einzigen Tisch beträgt.
Unser Lieblingsort im riesigen Pistengebiet wird das „Ski Tranquille“-Terrain mit seinen sanften Hängen oberhalb des Rocher de Bellevarde. Über die Zeit der schwarzen Pisten sind wir schon wieder hinaus und beglückt, in dieser Arena ohne Raser genussvoll zu Tal zu carven.
Die Landschaft rundum ist grandios. Wie ein gutmütiger Riese wacht der Mont Blanc über den gestaffelten Gipfeln rundum. Selbst an Schönwettertagen trägt der Gigant oft einen Schleier aus Wolkenfetzen. Wir schweben ins Tal und gehen, wie damals, zum Abschluss Fondue essen. Glücklich hat uns Val d’Isère auch dieses Mal gemacht, selbst ohne den Überschwang von einst.