Der Katamaran nimmt Kurs auf Brac, die größte Insel Dalmatiens. Foto: Marc Vorsatz
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Nichts geht mehr bei Lisa. Sie ist ein einziges Häufchen Elend, wie sie da in ihrer Koje liegt. Erst plagte die Sportstudentin nur ein leichtes Schwindelgefühl, dann packte sie die Seekrankheit mit voller Härte. Am liebsten würde sie auf der Stelle einschlafen und erst wieder aufwachen, wenn alles vorbei ist.
Jetzt schlägt die Stunde der Massage-Frau. Elke Palm muss ran. Eigentlich ist die ausgebildete Shiatsu-Praktikerin für die schönen Dinge des Lebens an Bord zuständig. Zarte Fingerdruckmassagen und sanfte Dehnungen. Leib und Seele streicheln. Entspannung pur.
Nun kann sie zeigen, was im Ernstfall in ihr steckt. Skipper Ulli Baussmann steuert derweil mit dem Katamaran die geschützte Lucice Bucht der Insel Brac an. Ein Landgang wird Lisa sicher helfen. So lange legt Elke Hand an. Genauer gesagt Finger auf bestimmte Druckpunkte und Meridiane. Auf die Schläfe zum Beispiel. Der Patientin scheint es gutzutun. Nicht dass es ihr mit einem Schlag gut ginge, nein. Aber besser. Immerhin.
Der Katamaran nimmt Kurs auf Brac, die größte Insel Dalmatiens. Foto: Marc Vorsatz Foto: Marc Vorsatz
Die Shiatsu-Praktikerin Elke Palm aus Rüsselsheim (rechts) ist für die schönen Dinge an Bord zuständig. Foto: Marc Vorsatz Foto: Marc Vorsatz
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Die anderen fünf Gäste leiden mit. So kommt auch niemand auf die Idee, die außerplanmäßige Kursänderung mit einem Murren zu quittieren. Warum auch? Jede der dalmatinischen Inseln ist ein Besuch wert. Und Brac sowieso. Auf der sanft abfallenden Nordseite haben bis heute traditionelle Dörfer überlebt, in denen Acker- und Weinbau noch immer wichtiger ist als schnelles Geld in den Touristenhochburgen auf dem Festland. Die überschaubare Anzahl an Inselurlaubern zieht es eher ans Wasser in die beiden Küstenorte. Insgesamt geht hier alles recht gemütlich und fast familiär zu. Dies gilt im besonderen Maße für die Buchten, die praktisch nur von ein paar Segelbooten angelaufen werden.
INFORMATIONEN
Anreise: Condor, Lufthansa und Croatia bedienen die Strecke Frankfurt – Split nonstop. Preis circa 250 Euro retour.
Pauschal: „Shiatsu unter Segeln“ heißt die hier beschriebene Tour ab Split. Eine Woche Katamaran-Segeln inkl. Meridian- und Körperübungen sowie zwei Shiatsu-Anwendungen ab 895 Euro, zzgl. Anreise und Bordkasse bei Pagomo, Finkenstraße 4, 65388 Schlangenbad, 06124-6 09 05 48, www.pagomo.de. Nächster Törn: 8. bis 15. Oktober.
Übernachten: Die Kajüten im Lavezzi-40-Katamaran sind recht geräumig und befinden sich in einem absolut gepflegten Zustand. Bettwäsche wird auf Wunsch gestellt, Einzelbelegung buchbar.
Essen und Trinken: Was auf den Tisch kommt, bestimmen die Gäste selbst. Bei Landgängen kann man preiswert einkaufen. Und wenn mal niemand kochen will, wirft man einfach vor dem Restaurant seiner Wahl den Anker. Geheimtipp: Barba Luca in der Bucht von Luice, Insel Bra. Maritime Köstlichkeiten ab 14 Euro. Nur saisonal geöffnet.
Segeln: Segelkenntnisse sind von Vorteil, jedoch nicht erforderlich.
Nach einer knappen Stunde ankert die „Pagomo noir“ und Lisa rettet sich an Land. Dort bringt Elke das Qi, die Lebensenergie, der jungen Frau mit engelhafter Geduld und mütterlicher Fürsorge wieder in Wallung. Ein paar Stunden später kann Lisa, bei Kerzenschein und Fackeln, sogar schon wieder eine leichte Bouillabaisse à la Barba Luca schlürfen. So heißt das urige Open-Air-Restaurant in der malerischen Lucice Bucht, das sich auf eine heransegelnde Klientel spezialisiert hat. Das war ein wirklich harter Tag für die Sportstudentin, den sie sicher so schnell nicht vergessen wird.
Dabei fing für Lisa und die anderen knapp eine Woche zuvor alles total entspannt an. Nach dem ersten Kennenlernen und dem Bezug der Kajüten weist Skipper Ulli alle in Sachen Sicherheit ein. Passt die Rettungsweste und wie wird sie überhaupt angezogen? Wie bekomme ich das Beiboot ins Wasser? Wo ist der Absperrhahn für den Gasherd und wo sind eigentlich die ganzen Feuerlöscher auf der Pagomo? Ironischerweise ist Brand die größte Gefahr auf jedem Schiff.
Dann heißt es auch schon Leinen los. Wer Lust hat, packt mit an. Ein, zwei Hände benötigt Skipper Ulli immer bei den Start- und Landemanövern. Die meisten sind ja gerade deshalb an Bord. Das zwölf Meter lange Boot erweist sich mit immerhin 90 Quadratmeter Segelfläche als überraschend wendig – wenn man weiß, wie es geht. Die Männer machen es sich derweil mit vollkommener Hingabe auf dem Vordeck bequem, die Frauen bereiten zeitgleich mit ebensolcher Hingabe das Essen zu. Beim ersten gemeinsamen Mittagstisch auf dem offenen Achterdeck verrät Elke etwas über die ostasiatische Heilkunst. „Insbesondere bei psychosomatischen Leiden kann Shiatsu Wunder wirken“, erklärt die Rüsselsheimerin. „Beschwerden werden milder, Klienten entspannen sich, Druck fällt ab.“ Heilungsversprechen gäbe sie jedoch nie. Das wäre unseriös.
Am Nachmittag gibt Elke die ersten kurzen Kostproben ihres Könnens. Denn Theorie ist das eine, Praxis das andere – je nach Wunsch geschützt in der Kabine oder unter der spätsommerlichen Mittelmeersonne an Deck. Ein engagiertes Durchkneten ist das nicht, eher ein sanftes Dehnen.
Was soll da noch schiefgehen? Eine gute Truppe an Bord, ein schönes Jachtrevier, das man in der preiswerten Nebensaison obendrein fast für sich alleine hat, dazu Segeln als Sport und Shiatsu zur Entspannung. Das Leben kann so schön sein.
Einen strikten Fahrplan, der Punkt für Punkt abgearbeitet werden muss, gibt es bei Ulli nicht. Davon hat er genug in seinem Leben bekommen. 20 lange Jahre ist er im Dienste eines fremden Herren als Pharmareferent durchs Land gehetzt, immer auf der Jagd nach maximalen Umsatzzielen. Aber irgendwann stellt sich Ulli die Sinnfrage und beginnt, Monat für Monat Geld beiseitezulegen. Der ehrgeizige Hesse will sein Hobby zum Beruf machen, kauft ein paar Jahre später seinen ersten Katamaran aus zweiter Hand und beginnt, nebenberuflich Segeltörns anzubieten. Vor einem Jahr war es dann endlich soweit, Ulli hängt seinen Job an den Nagel und segelt seitdem hauptberuflich durch die Weltmeere. Er hat verwirklicht, wovon so manch anderer sein Leben lang träumt.
Inzwischen kennt er die dalmatinischen Gewässer zwischen Split und Dubrovnik wie seine Westentasche. Viele Inseln hat der Jungunternehmer ins Herz geschlossen, eine ganz besonders: Hvar, eine Perle im Adriatischen Meer. Die schönste Art, sich der gleichnamigen Stadt zu nähern ist vom Wasser her. Nachdem das Boot die vorgelagerten kleinen Pakleni-Inseln passiert hat, ist auch schon die Festung Napoleon deutlich zu erkennen, die hoch über der Stadt thront. Beim Fischerhafen Mandrac angelangt, öffnet sich den Shiatsu-Seglern das Stadtpanorama mit Stefansplatz und Kathedrale. Inzwischen ist die bunt gemischte Truppe bereits ein eingespieltes Team, das Anlegen klappt wie am Schnürchen. Der verführerische Duft von starkem Espresso zieht alle magisch an Land ins Hafencafé.
Die Anfahrt auf Hvar wird nur noch von der nach Sucuraj auf der Nachbarinsel Brac getoppt. 2 300 Jahre gibt es diese Ansiedlung schon, in der einst die Königin Teuta in einem märchenhaften Schloss residierte. Wie einladend die hellen Häuser mit ihren roten Dächern im satten Abendlicht leuchten. Auf dem glatten Meer spiegeln sich alle Farben von Himmel und Stadt wieder. Jetzt heißt es erst einmal Proviant bunkern. Während die Frauen auf dem Markt frisches Gemüse kaufen, kümmern sich die Männer im Supermarkt um genügend Nachschub an Wasser, Wein und Bier. Denn die nächsten Tage sollen zu lauschigen Buchten abseits von Ortschaften führen. In welche, soll einzig der Wind entscheiden. Oder eine Seekrankheit.
Bei der finalen Strecke zurück nach Split zeigt das adriatische Meer ein recht raues Gesicht. Bis zu dreieinhalb Meter türmen sich die Wellenberge auf, der Regen peitscht ins Gesicht und alles versinkt in ein düsteres Grau. Genau das richtige Wetter für den Skipper. Wie durch ein Wunder übersteht Lisa die Überfahrt, ohne erneut schlappzumachen.
„Da steckt man einfach nicht drin“, weiß Ulli. „Ich kenne Sportsfreunde, die sind nach 20 Jahren auf dem Wasser ohne Vorwarnung seekrank geworden.“ Irgendwann werde es ihn vermutlich auch mal erwischen, glaubt Segel-Ulli. Mit etwas Glück hat er dann Shiatsu-Elke an Bord.