Mit dem Fahrrad entlang der Atlantikküste von La Rochelle bis Arcachon
Von Volker Stavenow
Bezirksredakteur (Sitz: Idstein)
Im Becken von Arcachon gibt es 40 Kilometer feinste Sandstrände sowie herrliche Radwege entlang der Promenaden und der Küste. Foto: Atout France
( Foto: Atout France)
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Dass in der Region Bordeaux auf der „Route de vin de Bordeaux Médoc“ süffige und qualitativ hochwertige Weine angebaut werden, ist hinlänglich bekannt. Kaum bekannt ist es aber, dass Zweirad-Touristen von der Atlantik-Radstrecke „Vélodyssée“ zur Winzervesper auf „Chateau Lassus à Bégadan“ in deutscher Sprache begrüßt werden. Die Besitzer des Weinguts sind seit 2011 zwei Deutsche: Heike und Stefan Paeffgen. „Zunächst konnten wir das Weingut Vignoble Chaumont mit den beiden Châteaux Lassus und Le Reysse in der Gemeinde Bégadan erwerben“, schildert Stefan Paeffgen. „2011 haben wir uns dann mit Lagen in den Nachbarorten erweitert. Seitdem ist Château Lassus unser Familiensitz.“ Der Rheinländer, der auf dem Hof seiner Eltern aufwuchs, studierte Landwirtschaft, versuchte sich auf anderen Berufsfeldern, und verfiel letztendlich dem Weinbau. Als die Weingut-Gebäude aus dem 16. und 19. Jahrhundert zum Verkauf standen, entschloss sich die Familie Paeffgen – inklusive Kinder – das Wagnis einzugehen und in die Region Bordeaux überzusiedeln.
Eine Erfolgsgeschichte startete: Von im Jahr rund 220 000 produzierten Flaschen gehen von Paeffgens Weingut auch viele nach Deutschland. Nachdem die französischen Weinbau-Nachbarn erst recht skeptisch auf ihre deutschen Mit-Produzenten geblickt haben, sind die Paeffgens heute akzeptiert und integriert. „Wir haben unseren Traum hier umgesetzt. Dieses Weingut hat praktisch uns gefunden. Unsere Wurzeln sind zwar deutsch, aber wir leben europäisch. Hier gehen wir nie mehr weg.“
Das Zauberwort für die entschleunigende Entdeckungsreise am französischen Atlantik heißt: „Vélodyssée“. Auf diesem Radweg können junge und ältere Zweiradfans im wahrsten Sinne des Wortes erfahren, wie entspannend der gleichmäßige Tritt in die Pedale ist. An der frischen Luft fällt der Stress von Geist und Körper ab. Seit Juni 2013 ist Frankreich um diese Radroute reicher. Sie ist eine der längsten Radstrecken Frankreichs und erstreckt sich über 1 200 Kilometer von Roscoff im Norden der Bretagne über Nantes, Royan, Lacanau, Arcachon und Biarritz bis an die spanische Grenze. Die „Velodyssée“ in Frankreich ist Teil der „EuroVelo 1“.
Im Becken von Arcachon gibt es 40 Kilometer feinste Sandstrände sowie herrliche Radwege entlang der Promenaden und der Küste. Foto: Atout France Foto: Atout France
Das deutsche Ehepaar Heike und Stefan Paeffgen betreibt in der Medoc-Region von Bordeaux ein eigenes Weingut. Foto: Atout France Foto: Atout France
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„Vorsicht, Sie könnten sich in unsere Region verlieben. Und das ist in der Regel unheilbar. Viele Besucher sind dem Charme unserer französischer Atlantik-Küste schon verfallen und kommen immer wieder.“ Stéphane Morand ist zwar schon von Berufs wegen als Vertreter von „Charente-Maritime Tourismus“ absolut überzeugt vom aktivem Familien-Urlaub am Meer – etwa zwischen La Baule-Pornichet und Saint-Jean-de-Luz – aber seine große Begeisterung für seine Heimat zeigt deutlich, dass er auch persönlich voll hinter der Idee steht, die Schönheiten der Region mit dem Drahtesel zu entdecken.
Unzählige Sehenswürdigkeiten, historische Städte und Badeorte säumen den Radweg durch die malerischen Landschaften der drei so unterschiedlichen Streckenabschnitte. Größtenteils verkehrsfrei und ohne große Steigungen ist die Strecke vor allem für Familien und Hobby-Radfahrer geeignet. Sie verläuft auf ehemaligen Eisenbahnstrecken und entlang Kanalwegen.
INFORMATIONEN
Anreise: Zum Beispiel mit Air France ab Frankfurt nach Nantes oder nach Bordeaux ab circa 224 Euro. Weiter mit Bus oder Bahn an den Atlantik.
Unterkunft: Zum Beispiel im „Art’s Hotel“ in St. Palais sur mer, circa 95 Euro im Doppelzimmer, www.art-s-hotel.com.
Fahrradverleih: Zum Beispiel in Carcans-Maubuisson bei „Bicy’cool“, www.bicycool-maubuisson.fr.
Auskunft: Information über die „Vélodyssée“, www.lavelodyssee.com. Atout France – Französische Zentrale für Tourismus, Postfach 100128, 60001 Frankfurt, www.france.fr.
In fünf Tagen rollen die Zweiräder, die Touristen in fast allen Städten an der Strecke mieten können, von La Rochelle bis Arcachon und in die Gironde bei Bordeaux. Übernachtung? Überhaupt kein Problem: Hotels, Chalets, Mobilhomes oder Zeltplätze bieten hohe Unterkunftsqualität für jeden Geldbeutel. Jeder Radler entscheidet für sich, wie er die Nacht verbringen möchte. Von La Rochelle nach Arcachon in fünf Tagen? Liest sich anstrengend, ist es aber nicht, auch für weniger trainierte Radfahrer. Denn der gemächliche Fahrgenuss gibt den Pedaltakt vor. Ein schnelles „Durchrauschen“ auf zwei Rädern wäre auch völlig falsch: Die Strecke ist gesäumt von historischen Städten wie La Rochelle und unberührter Natur wie im Nationalpark von Cousseau.
Vor Überraschungen sind Radler auf der Strecke nicht gefeit: In Rochefort stehen sie am Hafen auf einmal vor der berühmten „Hermione“. Sie ist die französischen Fregatte, mit der der Marquis de La Fayette 1780 nach Boston (USA) zurückkehrte, um die amerikanischen Kolonisten in ihrem Unabhängigkeitskampf gegen England zu unterstützen. Ein Schiff als Symbol der Freiheit.
Nach 17 Jahren Mühen und hunderttausenden von Arbeitsstunden segelt die Replik wieder durch die Weltmeere. Wenn sie in Rochefort vor Anker liegt, können die Besucher noch heute den Handwerkern zusehen, wenn sie das beeindruckende historische Schiff besichtigen. Aber Vorsicht: Immer schön den Kopf einziehen unter Deck, denn die Holzdecken sind sehr niedrig.
Wie herrlich die Atlantik-Landschaft ist, erlebt man beim Aufstieg in (fast) schwindelnde Höhe: 300 Stufen führen auf den Leuchtturm „de la Coubre“ im Wald von Coubre. Der Panoramablick aus großer Höhe auf die wilde Küste und die Gironde-Mündung ist atemberaubend. Wer nach Auf- und Abstieg im Inneren des Leuchtturms etwas außer Atem ist, genießt am besten erst einmal die liebevoll zusammengestellte maritime Ausstellung im Nebengebäude.
Auf der Fahrstrecke nach Lacanau ist ein Stopp im Nationalpark der Seenlandschaft von Cousseau mit 610 Hektar geschützter Naturlandschaft (fast) ein Muss. Versteckt hinter Dünen und der Waldlandschaft von Lacanau, sowie den beiden großen Seen von Carcans-Hourtin und Lacanau, können Besucher von bestimmten hölzernen Beobachtungsplattformen optisch eintauchen in eine ruhige unberührte Natur. Wer mehr darüber wissen möchte, schließt sich einer der fachkundigen Führungen an. Dort erfahren wissensdurstige Radler alles über Fauna und Flora oder die Tradition des Baumanzapfens zur Harzgewinnung. Mit etwas Glück sieht man Exemplare der freilaufenden landestypischen Rinderrasse „Marine Landaise“ im flachen Wasser stehen.
Ist erst einmal das Wasserbecken von Arcachon erreicht, könnte man meinen, im Paradies gelandet zu sein: 40 Kilometer feinste Sandstrände warten auf die Eroberung, außerdem gibt es zahlreiche herrliche Radwege entlang der Promenaden und der Küste sowie unzählige Austernzüchter. Frischer kann ein Meeres-Snack bei einem der vielen Anbieter nicht sein – kühler Weißwein (natürlich in Maßen) inklusive. So gestärkt radelt man locker zum Wahrzeichen des Städtchens Arcachon: zur 110 Meter hohen Sanddüne von Pilat. Von Ostern bis Allerheiligen ist der Aufstieg über Treppen möglich, ansonsten nur sportlich durch den feinen Sand. Natürlich ist man als Besucher während der Saison nie alleine auf der Düne. Trotzdem ist ein Aufstieg Pflicht: Der Blick schweift von oben über Atlantik, Arcachon-Becken, Wälder und die Dünen. Traumhaft! Der Abstieg kann ein Spaß werden, wenn man sich traut: Viele Besucher rollen sich den Sand hinunter oder setzen sich auf Kunststoffschalen, auf denen sie abwärts rutschen.
Den krönenden Abschluss der erlebnisreichen Radtour bildet Bordeaux. Die Welthauptstadt des Weines ist mit seiner wunderbaren Altstadt eine Perle der französischen Großstädte. Nach Paris ist es die Stadt mit den meisten denkmalgeschützten Gebäuden, 363 an der Zahl. Das historische Zentrum besitzt ein einmaliges architektonisches Erbe: Das „Grande Théatre“, „Platz der Börse“ und das „Quartier Chartrons“, Ursprungsort des traditionellen Weinhandels. Wer sonntags Bordeaux besucht, sollte es auch nicht versäumen, entlang der „Quais von Chartrons“ entlang zu bummeln. Dort machen nicht nur viele große Kreuzfahrtschiffe fest, sondern Händler aus der Region bieten an 60 Ständen lokale Produkte und Spezialitäten an – ein schmackhafter Abschluss einer abwechslungsreichen Radtour auf der Strecke der „Vélodyssée“. Und Stéphane Morand hat recht: Man verliebt sich sehr schnell in die Regionen entlang der französischen Atlantik-Küste.