Mit dem Fahrrad auf den Spuren der Tour de France in den Pyrenäen
Von Volker Stavenow
Bezirksredakteur (Sitz: Idstein)
Die Pyrenäen bieten professionellen und Hobby-Radfahrern viele Möglichkeiten für Bergfahrten. Wer das Glück hat, kann auch einmal ein Profi-Rennen beobachten. Foto: Volker Stavenow
( Foto: Volker Stavenow)
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Der 78-jährige Jean-Pierre Soubervielle kann es nicht lassen: Als fanatischer Tour-de-France-Fan sammelt er seit über 28 Jahren die originalen Radtrikots von Siegern, Verlierern und Kämpfern, die bei der „Tour der Leiden“ mit dabei waren und aktuell wieder sind. 180 Stück hat er schon, teilweise ausgestellt, teilweise wegen Platzmangels fein säuberlich gestapelt in Regalen – von Armstrong bis Ullrich.
Von mir will der sympathische Franzose, der im Dorf Lugagnan mitten in den französischen Pyrenäen ein Café-Restaurant betreibt, aber keines. Bei der Besichtigung seines Trikot-Museums in der Bar frage ich mich humorvoll: Warum eigentlich nicht? Denn auch ich leide – in gemäßigter Form – hier in den Pyrenäen. Ich strample auf den Spuren der Tour de France mit Kollegen durch die grandiose Landschaft – und die ist nicht so sanft hügelig wie mein heimischer Taunus, sondern richtig anspruchsvoll bergig.
Radfahren ist hier Religion. Und die „Pilger“ kommen mit Rennrad oder Mountainbike. Die Tour de France ist bei den französischen Zweiradfans fast heilig. Das toppt wahrscheinlich nur der nahe Pilgerort Lourdes. Und ich bin ein paar Tage vor Start der inzwischen laufenden Tour mittendrin zwischen den Anstiegen zum Col de Peragudes, Col d’Aspin oder Col de Tourmalet. Die legendären Pässe der Tour de France hoch zu strampeln, das ist trotz brennender Beinmuskeln ein unvergessliches Erlebnis.
Die Pyrenäen bieten professionellen und Hobby-Radfahrern viele Möglichkeiten für Bergfahrten. Wer das Glück hat, kann auch einmal ein Profi-Rennen beobachten. Foto: Volker Stavenow Foto: Volker Stavenow
Das Ziel von Radsportlern aus der ganzen Welt ist der Col de Tourmalet. Foto: Volker Stavenow Foto: Volker Stavenow
Da geht es wieder runter: Blick vom Col de Tourmalet in die phantastische Bergwelt der französischen Pyrenäen. Foto: Volker Stavenow Foto: Volker Stavenow
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Okay, so ganz untrainiert sollte man das nicht wagen. Die tapfere Radfahrtruppe ist es auch nicht. Trotzdem trifft mich schon am ersten Tag die volle Wucht der sportlichen Anforderung. Nach dem Mittagessen in Luchon werden wir von Christian Lafont begrüßt. Der 60-Jährige ist ehemaliger Feuerwehrmann und Radsport-Weltmeister bei den französischen „Blauröcken“. Inzwischen betreibt er mit seinem Sohn ein Radsport-Geschäft in Luchon. Er ist unser Fahrrad-Guide zum Gipfel des Peyragudes.
Das bedeutet 17 Kilometer mit einer Steigung von 16 Prozent zum höchsten Etappenziel der Tour de France. Die 214 Kilometer lange 12. Etappe der Tour de France verlief am 13. Juli von Pau nach Peyragudes. Es war die erste Etappe im Departement Hautes-Pyrénées. Mit diesem Ziel erfüllte sich Christian Prudhomme, Direktor der Tour der France, einen Traum. Denn die Strecke über den Pass von Peyresourde bis zum höchst gelegenen Flugplatz der Pyrenäen ermöglicht einen Endspurt von 340 Metern mit einer Steigung von 16 Prozent. Dieser Abschnitt ist genauso steil, wie der in Alpe d’Huez, in einer gewaltigen Landschaft. Vor 20 Jahren wurde auf dem kleinen Flughafen übrigens Szenen zum 18. James-Bond-Film „Der Morgen stirbt nie“ gedreht.
INFORMATIONEN
Anreise: zum Beispiel mit Lufthansa (www.lufthansa.de) im Direktflug von Frankfurt nach Toulouse ab ca. 200 Euro und weiter mit dem Leihwagen ab Flughafen in die Pyrenäen.
Unterkunft: zum Beispiel Hotel-Restaurant de Londres, 65120 Luz-Saint-Sauveur (www.hotel-luz-ardiden.com).
Strecke: Die legendären Pässe der Tour de France in den französischen Pyrenäen sind außerhalb des alljährlichen Radsportereignisses ein unvergessliches Erlebnis. Die Strecken führen durch grandiose Berglandschaften zu Dörfern, Thermalbade-Orten und den Grands Sites (Sehenswürdigkeiten) in Midi-Pyrenäen. Ob sportlich anspruchsvoll mit dem Fahrrad, weniger schweißtreibend mit dem E-Bike oder ganz bequem im Auto, die Routen der Tour de France sind für alle Besucher ein faszinierendes Ziel.
Überwältigender Blick belohnt für die Strapazen
Endspurt gibt es bei mir keinen. Während Christian Lafont wie die Feuerwehr dem Ziel entgegen strampelt, schleiche ich schwitzend und keuchend wie eine Schnecke diesem Höhepunkt entgegen. Belohnt werde ich von einem überwältigenden Blick in die herrliche Bergwelt. Tour der Leiden? Die Schmerzen sind wie weggefegt. Was bleibt ist der Stolz auf die sportliche Leistung und Eindrücke von den Pyrenäen, die das Herz höher schlagen lassen. Endgültig schmerzfrei bin ich, als ich mit der tapferen Radlertruppe am frühen Abend die nahe Thermalbad-Anlage Balnéa besuche. Im über 30 Grad warmen Wasser des Außenschwimmbeckens mit Blick auf die Gipfel der umliegenden Berge können Muskeln und Seele komplett entspannen.
Mit dem E-Bike auf den Col de Tourmalet
Nachdem ich meine „Wunden geleckt“ habe, bricht ein neuer Tag an, der mit einer wundervollen Nachricht beginnt: Damit die tapfere Strampel-Truppe beim Radeln auch mal in den Genuss kommt, die Hochgebirgs-Landschaft bei sommerlichen Temperaturen in ihrer atemberaubenden Schönheit auf sich einwirken zu lassen, dürfen wir Rennrad-E-Bikes ausprobieren. Da muss man zwar auch tüchtig in die Pedale treten, aber irgendwie fühlt man sich gut 40 Kilo leichter. Auf dem Programm stehen der Col d’Aspin (1489 Meter, Bergfahrt via Arreau, 12 Kilometer, durchschnittliche Steigung 7 Prozent) und der berühmt-berüchtigte Col de Tourmalet (2115 Meter, Bergfahrt 16,7 Kilometer, durchschnittliche Steigung 7,5 Prozent).
Die E-Bikes sind ganz leicht zu händeln: In wenigen Minuten erklärt uns der Deutsch sprechende Guide vom Verleih Tourmalet Bikes die Schaltung – und los geht es. Denkste! Da der Col d’Aspin im feuchten Nebel liegt, fällt die Tour flach, es geht gleich weiter zum Tourmalet. Unglaublich: Ich trete kräftig in die Pedalen, der E-Bike-Motor unterstützt und ich fahre in bisher unbekannter Leichtigkeit die Bergserpentinen hoch. Einfach klasse. Ich genieße die phantastische Landschaft, winke ausgelassen anderen Radfahrern zu und weiß nun, dass das Reiseziel Pyrenäen mit dem Fahrrad auch etwas für weniger sportliche Menschen ist. Mit dem E-Bike hat auch die Ehefrau oder Freundin Freude an den Bergetappen. Genau so muss es ja sein: Bei aller Anstrengung sollen die Besucher in erster Linie Spaß haben im Hochgebirge.
Als ich auf dem Tourmalet ankomme, begrüßen mich einige Iren aus der Grafschaft Kerry mit Schulterklopfen. Klar, weil ich ein irisches Trikot von einem Radevent vom Ring of Kerry anhabe. Alle sind wie aufgedreht, genießen den sportlichen Erfolg, posen am Schild des Col de Tourmalet oder an der unverwüstlichen Radfahrer-Skulptur aus Metall. Unvergessliche Momente und Gefühle werden per Handyfotos für immer festgehalten. Die Radsport-Gemeinschaft huldigt ihrem Hobby in atemberaubender Natur. Kein Wunder, schließlich ist der Tourmalet so nebenbei nicht nur der älteste, sondern auch der am häufigsten befahrene Hochgebirgspass der Tour de France. Ein Traum – und nicht nur für passionierte Radfahrer. An diesem Punkt kommen sportliche Rad-Anforderung, genussvolles Radfahren und Liebe zur Natur und Bergwelt zusammen. „Hier ist die Welt noch in Ordnung!“ ruft mir ein deutscher Strampler zu, ehe er in rasanter Fahrt den Tourmalet runterfährt. Der Mann hat so recht!
Nach Einkehr ins Tourmalet-Haus klingt der Tag mit dem Besuch des Pic du Midi aus. Dorthin gelangt man über zwei Stationen mit einer Seilbahn bis zum Gipfel in 2877 Metern Höhe. Es bietet sich eine Rundumsicht auf die Pyrenäenkette, die große Ebene des Südwestens und die Ausläufer des Zentralmassivs. Der Pic du Midi hat auch ein für Wissenschaftler wichtiges Observatorium zu bieten. Es ist Europas höchster museografischer Bereich. Der Clou: In den massiven Häusern auf dem Gipfel können Besucher auf dem Pic übernachten.
Für einen Ruhetag bietet sich auch ein Ausflug nach Lourdes an. Der berühmte Wallfahrtsort zieht Besucher in seinen Bann, ob gläubig oder nicht. Tausende nehmen an der großen abendlichen Prozession teil, um gemeinsam – alt und jung, reich und arm, gesund und krank – um den Beistand der Jungfrau Maria zu beten, die dort in einer Grotte unterhalb der mächtigen Kathedrale von Lourdes Menschen erschienen sein soll. Radfahrer finden im Vier-Sterne-Hotel Alba eine Unterkunft vor, die spezielle Leistungen für Zweiradfahrer bietet. Profi-Teams wie Astana Pro Team, Cannondale Trapez oder Eiskadi Country Murias wissen das Alba sehr zu schätzen.