Karpathos: Der Geheimtipp unter den griechischen Inseln
Von Ekkehart Eichler
Kapelle mit rotem Dach, Felsen und Meer – die Bucht von Kira Panaghia ist einer der schönsten Plätze auf der Insel. Foto: Ekkehart Eichler
( Foto: Ekkehart Eichler)
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Der Weg nimmt kein Ende. Seit zehn Minuten quält sich der Mietwagen auf der schmalen Bergstraße abwärts. Von einer Haarnadelkurve zur nächsten – am Ende werden es 28 sein –, doch die zum Greifen nahe und verlockend tiefblaue Badewanne scheint keinen Deut näher zu kommen. Immerhin wird das Stoßgebet erhört: Keine Menschenseele kreuzt den Weg und zwingt zu kniffligen Ausweichmanövern. Bis das Ziel schließlich schweißgebadet erreicht ist.
Kira Panagia heißt die kleine Bucht am Ende der Straße, bei deren Anblick aller Stress, der sich bei der Anfahrt aufgebaut hat, blitzartig verpufft. Weil die Kulisse fast zu schön ist, um wahr zu sein. Eine Kombination aus senkrecht aufragenden Felswänden als Korsett für einen schönen Strand; sanft umspült von blitzeblankem Meer und überragt von einer Kapelle mit untypisch tiefrotem Dach, die sich zehn Meter über dem Meer an die Felsen schmiegt. Ein Postkartenmotiv, das selbst verwöhnte Griechenland-Liebhaber mit der Zunge schnalzen lässt.
„Viele Gäste rühren sich hier ihren ganzen Urlaub nicht vom Fleck“, sagt Anna und schmunzelt, „weil du nicht mehr brauchst, als du hier hast.“ Stimmt. Annas Pension nebst Taverne liegt direkt oberhalb besagter Kapelle. Mit Top-Panorama rund um die Uhr, das man von Zimmerbalkonen und Terrassen endlos aufsaugen kann. Mit „Champagner-Bad“ im kristallklaren Ägäis-Pool, zu dem es nur wenige Treppenstufen hinab geht. Mit Insel-Spezialitäten zum Frühstück und beim Dinner, deren maritime Komponenten Ehemann Stamatis jeden Tag fangfrisch auftischt. Und mit herzlicher Betreuung durch Anna und ihre Mini-Crew, die ihren Gästen jeden Wunsch von den Augen abliest. Und so macht sich die Wirtin auch weit mehr Sorgen um ihr geplagtes Land als um sich selbst: „Wir können immerhin auf 80 Prozent Stammgäste zählen – diese Gewissheit ist ungeheuer viel wert.“
Kapelle mit rotem Dach, Felsen und Meer – die Bucht von Kira Panaghia ist einer der schönsten Plätze auf der Insel. Foto: Ekkehart Eichler Foto: Ekkehart Eichler
Gut getarnt in diesem umwerfenden Bergpanorama liegt Griechenlands vielleicht schönstes Bergdorf Olympos an den Flanken des höchsten Berges auf Karpathos. Foto: Ekkehart Eichler Foto: Ekkehart Eichler
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Auf Karpathos war und ist aber manches anders als auf anderen griechischen Inseln. Der massive Gebirgsklotz zwischen Kreta im Südwesten und Rhodos im Nordosten, aus dessen steilen Flanken das Meer unzählige Buchten und Höhlen herausgefressen hat, ist zum Beispiel ein Eldorado für Wanderer. Etwa 25 offizielle Routen erfüllen die Wünsche selbst der anspruchsvollsten Kletterer und reichen für mehrere Wochen. Oder mehrere Jahre.
Aber auch Badegäste erfreut Karpathos über die Maßen – mit überproportional vielen Stränden und klarstem Wasser. Gut verteilt über die Insel, sind manche ganz naturbelassen und nur per Boot erreichbar. Andere liegen so gut am Wind, dass sich Surfer dort nach allen Regeln der Kunst austoben. Wieder andere, etwa in den Touristenorten Lefkos oder Amopi, bestehen aus einem Collier hübscher Buchten, in denen man auch einsame Plätzchen finden kann. Und nur einen Bergstraßen-Katzensprung von Kira Panaghia entfernt liegt das Strandparadies Apela.
INFORMATIONEN
Anreise: Mit Air Berlin / NIKI über Wien nach Karpathos. Vom Airport per Transfer oder Mietwagen in 15 Minuten nach Amopi, nach Kira Panagia eine, nach Olympos zwei Stunden.
Unterkünfte: In Kira Panagia Pension Akropolis (direkt über dem Meer und mit fantastischer Aussicht) ab 870 Euro / Woche PP / DZ / F; in Amopi das Hotel Aegean Village ab 880 Euro (bei Attika-Reisen).
Mietwagen: Alle großen Verleiher. Bei Enterprise ab 20 Euro / Tag. Sprit aktuell um 1,70 Euro / Liter. Achtung: Die drei Tankstellen auf der Insel akzeptieren keine Kartenzahlung.
Geld: Bank-Automaten in der Hauptstadt Pigadia. In der aktuellen Situation empfiehlt sich die Mitnahme von ausreichend Bargeld.
Reiseführer: Zum Beispiel „Karpathos“ aus dem Michael Müller Verlag, ISBN 978-3-89953-762-8, 16,90 Euro
Infos: Telefonisch bei der Griechische Zentrale für Fremdenverkehr: 069 – 2578270.
Internet: www.visitgreece.gr, www.mykarpathos.de, sowie www.attika.de.
Apropos friedlich: Tourismus ist zwar der Tropf, der Karpathos am Leben erhält. Doch statt großen Hotels mit hohen Besucherzahlen sorgen kleine, meist familiär geführte Hotels und Pensionen für ein Urlaubsflair, das gut zum Charakter der Insel passt. Tourismus im Einklang mit der Umwelt ist hier folglich ein Konzept, das ganz sicher keine schnellen Profite verspricht, dafür aber eine vernünftige Zukunft. Natur und Kultur sind der größte Schatz. Sie bilden ein authentisches Karpathos mit unverfälschtem Charakter und ursprünglichem Charme.
Dass wahrer Luxus oft in den ganz einfachen Dingen des Lebens steckt – diese Binsenweisheit bestätigt sich wenig später. Im abgelegenen Bergdorf Avlona haben Anna und Michalis in ihrer winzigen Taverne zu Tisch geladen und für eine Handvoll Leute aufgetafelt wie für eine Kompanie. Wie in der einst ziemlich armen Gegend üblich, verköstigen sie ihre Gäste ausschließlich mit Gerichten und Beilagen, die – wie früher bei den Bauern – vom eigenen Acker und vom eigenen Hof kommen. Die voller Sonne stecken und auch genauso schmecken: Was für Tomaten! Bohnen! Kartoffeln! Kräuter! Oliven! Käse! Dazu natürlich Wein und Bergquellwasser – das alles ist Lichtjahre entfernt von jeglicher kulinarischen Raffinesse und gerade deshalb so extravagant. Und außerdem sehr vergnüglich, weil das Mahl ausartet in ein lustiges Familien- und Nachbarschaftsfest.
Am nächsten Tag sehen wir Anna wieder. In Olympos, dem vielleicht schönsten Bergdorf ganz Griechenlands. Und tatsächlich kann man nur staunen, wie hier an einem 200 Meter hohen Bergkegel die pastellfarbenen und weißen Würfel der Häuser an- und übereinander kleben und miteinander verschachtelt sind. Überragt wird das Ensemble vom Glockenturm der Dorfkirche, und zu Füßen des Ganzen grünt eine Oase terrassenförmig angelegter Gärten – in dieser felsigen Einöde ein überwältigender Anblick.
Berühmt ist Olympos aber nicht nur seiner Schönheit wegen. So wie Karpathos eine Welt für sich ist, in der Sitten und Bräuche gepflegt werden, die es woanders schon längst nicht mehr gibt, so ist Olympos das Zentrum dieses Traditionsbewusstseins. Hier tragen viele verheiratete Frauen tagein, tagaus ihre althergebrachte Tracht. Hier wohnt man in der Regel im insel-typischen Einraumhaus. Hier backt man Brot noch selbst im Holzofen. Und alle Festtage werden zum Rausch für die Sinne, wenn auch Mädchen und jüngere Frauen ihre leuchtend bunten Gewänder anlegen und die uralten Stampftänze zelebrieren.
Was wiederum nicht anders ist als anderswo auf Karpathos – die Leute sind unglaublich nett. Ob der liebenswürdige Papa Ianni, der durch seine Kirche führt; ob der freundliche Schuhmacher Prearis, der geduldig in die Kunst des Stiefelmachens einführt; oder ein weiteres Mal die reizende Anna, die am offenen Küchenfenster ihres großen Restaurants im Akkord die hiesige Spezialität Makkarounes knetet – kurze, muschelartige Nudeln – und dabei ihre Späßchen mit den Zuschauern rundherum macht: Sie alle sind ein Teil des Erlebnisses namens Karpathos.