Freitag,
20.05.2016 - 00:00
4 min
Im Süden Frankreichs färben Kunsthandwerker wieder mit dem Kreuzblütengewächs Färberwaid – wie im Mittelalter
Von Claudia Diemar

Kunsthandwerkerin Nadine Guy färbt ganz natürlich mit Pflanzen. Foto: Claudia Diemar ( Foto: Claudia Diemar)
Nadine Guy ist eine ebenso zarte wie energische Dame – und eine Magierin des perfekten Blaus obendrein. Vor ihrer „Petite Maison du Pastel“ im malerischen Dörfchen Lautrec steht ein riesiger Elektrotopf. Drinnen brodelt eine dunkelviolette Brühe. Was nun folgt, lässt an Hexenwerk denken. Madame greift sich ein Stück blütenweißen Stoff, tunkt ihn mit einem Rührstock in die Brühe. Sekunden später leuchtet das Wäschestück, wieder ans Licht geholt, in Messinggelb. Dann wird es wieder ins Farbbad getaucht. Wenige Augenblicke später nach oben gezogen, strahlt das Tuch nun in Giftgrün. Und noch etwas später, durch die Luft gewedelt, endgültig in sattem Blau.
Der Färberwaid mit dem wissenschaftlichen Namen Isatis tinctoria, auf Französisch schlicht „Pastel“ genannt, war einst ein begehrtes Rohprodukt für Tuchmanufakturen. Der gelb blühende Waid, ein Gewächs aus der Familie der Kreuzblütler, gedieh prächtig im milden Klima des französischen Südwestens. Das Dreieck zwischen Albi, Carcassonne und Toulouse war das Hauptanbaugebiet des kostbaren Rohstoffes – der Volksmund nannte den Färberwaid darum auch „blaues Gold“ und die Händler sprachen von „Princes du Pastel“.
Reiche Kaufleute wetteiferten in Toulouse wie in Albi um die schönsten Wohnsitze. Man ließ die besten Renaissancebaumeister kommen, um den Wohlstand stilvoll zu dokumentieren. In Albi hat jedes dieser bürgerlichen Stadtpalais einen Turm, je reicher der einstige Hausherr, desto höher streckt sich der Turm des Anwesens in den Himmel, der im Sommer im gleichen kräftigen Blau leuchtet wie der Farbstoff, aus dem derlei weithin sichtbarer Wohlstand stammte.
Im goldenen Zeitalter zwischen der Mitte des 15. und des 16. Jahrhunderts lebte praktisch die gesamte Bevölkerung der Region von und mit dem blauen Gold. Aus Bauern wurden neureiche Bourgeois. Dem rasanten Aufstieg folgte ein krasser Niedergang. Ab 1562 verwüsteten Religionskriege um die Albingenser das Land. Das endgültige Ende des Pastel-Booms kam, als ab Mitte des 16. Jahrhunderts der Farbstoff Indigo nach Europa importiert wurde. Der Waid war mit einem Mal kein lohnendes Geschäft mehr. Mehrere Jahrhunderte lag der Anbau von Pastel brach.
Erst 1994 wurde das historische Blau durch einen Zufall neu entdeckt. Denise und Henri Lambert, ein Paar aus Belgien, ließen sich im Dorf Lectoure im Département Gers nieder. Das verwitterte Blau der Fensterläden ihres Hauses brachte die beiden auf die Spur. Es handelte sich um die Reste von Pastel-Farbe. Die Lamberts fanden noch vorhandene Samenkörner im „Konservatorium für Heilpflanzen“ in Toulouse. Die Universität sorgte für Neuanpflanzungen. Ebenfalls in Toulouse, dieser in leuchtendem Orange geziegelten Stadt mit allein 70 prächtigen Anwesen einstiger Pastel-Barone, machten sich die Pharmazeutinnen Nathalie Juin und Carole Huc daran, aus dem Öl des Färberwaid-Samens eine Kosmetiklinie zu entwickeln. Die zartblau eingefärbten Produkte der Marke „Graine de Pastel“ sind heute in zig Läden in der Region zu haben.
INFORMATION
Anreise: Lufthansa fliegt täglich von Frankfurt nonstop nach Toulouse ab ca. 170 Euro hin und zurück. Von dort ist man per Mietwagen in ca. 1 Stunde in Albi. Mit dem Auto sind es rund 1 000 Kilometer vom Rhein-Main-Gebiet nach Albi.
Übernachten in Albi: Hotel Mercure Albi, 4-Sterne-Haus in den historischen Mauern einer ehemaligen Nudelfabrik direkt am Fluss, Doppelzimmer mit Stadtblick 145 Euro, lavermicellerie-hotelmercure.fr. Hotel Les Pasteliers, charmantes 2-Sterne-Haus im Zentrum, Doppelzimmer ab 70 Euro, www.hotellespasteliers.com.
Pastel-Adressen: In Albi: „L’Artisan Pastellier“, mitten im Zentrum gelegene Boutique mit vielerlei Pastel-Produkten, www.artisanpastellier.com. In Lautrec: „La Petite Maison du Pastel“ mit Färbedemonstrationen und selbst kreierten Textilien von Nadine Guy, ganzjährig geöffnet, 0033-56370-98 39. In Cordes-sur-Ciel: „Atelier du Bleu de Pastel“, Kosmetik, essentielles Öl aus Färberwaid und andere Produkte, www.mathera-pastel.com
Auskünfte: Tourisme du Tarn, Rue Porta 41, F-81006 Albi, tourismus-midi-pyrenees.de und www.tourisme-tarn.com
Übernachten in Albi: Hotel Mercure Albi, 4-Sterne-Haus in den historischen Mauern einer ehemaligen Nudelfabrik direkt am Fluss, Doppelzimmer mit Stadtblick 145 Euro, lavermicellerie-hotelmercure.fr. Hotel Les Pasteliers, charmantes 2-Sterne-Haus im Zentrum, Doppelzimmer ab 70 Euro, www.hotellespasteliers.com.
Pastel-Adressen: In Albi: „L’Artisan Pastellier“, mitten im Zentrum gelegene Boutique mit vielerlei Pastel-Produkten, www.artisanpastellier.com. In Lautrec: „La Petite Maison du Pastel“ mit Färbedemonstrationen und selbst kreierten Textilien von Nadine Guy, ganzjährig geöffnet, 0033-56370-98 39. In Cordes-sur-Ciel: „Atelier du Bleu de Pastel“, Kosmetik, essentielles Öl aus Färberwaid und andere Produkte, www.mathera-pastel.com
Auskünfte: Tourisme du Tarn, Rue Porta 41, F-81006 Albi, tourismus-midi-pyrenees.de und www.tourisme-tarn.com
1999 gründete der Chemiker Didier Boinnard gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin seine Atelier-Boutique „L’Artisan Pastellier“ in Albi. Bei ihm sind Seifen und Cremes von „Graine de Pastel“ ebenso zu haben wie Farben und Lacke, mit denen man das historische Blau pinseln kann. Und natürlich Blusen, Hemden, Kleider in der Farbskala von blassem Babyblau bis hin zu kräftigem Azur.
Nur einen Steinwurf entfernt liegt die Kathedrale, die größte Backstein-Hauptkirche der Welt, die sich wie eine Festung über dem grünen Fluss Tarn erhebt. Gleich daneben, im Bischofspalast, findet sich das dem berühmtesten Sohn der Stadt gewidmete Toulouse-Lautrec-Museum.
Im himmelstürmenden Wehrdorf Cordes-sur-Ciel führt Serge Raynal sein „Atelier du Bleu de Pastel“ mit eigener Färberei. Manchmal bringen ihm junge Leute feine Leinenwäschestücke aus Urgroßmutters Schränken, die sich in seinen Bottichen in blaue Wunder verwandeln. Berühmt ist aber vor allem sein essenzielles Öl aus Färberwaid. Es pflegt angegriffene Haut besser als manches pharmazeutische Produkt. Wie ein alter Druide wirkt Monsieur Raynal, wenn er die Hände der Kunden hält und ihnen Ratschläge zur seelischen und körperlichen Gesundheit erteilt.
Gehandelt wurden die getrockneten Waidblätter als mit der Hand geformte „Coques“ von der Größe einer Billardkugel. Von den Coques hat das Pays de Cocagne in der heutigen Region Midi-Pyrenées auch seinen Namen. Pays de Cocagne ist auch der französische Begriff für „Schlaraffenland“ – vermutlich, weil die Tische der Pastelbarone sicher reich gedeckt waren.
Weiterführende Links
Es ist eine Landschaft sanft ansteigender und abfallender Hügel und Mulden, mit Kornfeldern und Weingärten, stattlichen Bauerngütern und bildschönen Taubentürmen. Nur die Waidfelder muss man ein wenig suchen. Man findet sie etwa im „Jardin des Plantes tinctoriales“ in Saint Martin-et-Mauriac.
„Der Waid ist heute hier nicht mehr dominant, sondern ein Nischenprodukt, aber eines, auf das wir stolz sind“, sagt Madame Guy im Dorf Lautrec, die die Pflanzen inzwischen auch selbst auf eigenen Feldern anbaut. Nur bei ihr kann man Pigmente, Kalkpulver und ein Rezept kaufen, mit dem man daheim ein Färbebad ansetzen kann. Es ist Zeit, einfach mal Blau zu machen.