Ein ungewohntes Bild: Der Raps blüht im Luberon – hier vor den Toren der Ortschaft Murs. Foto: Helge Sobik
( Foto: Helge Sobik)
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Manchmal duftet der Frühling nicht. Dann leuchtet er nur in strahlendem Gelb, enorm satt und intensiv. Als würde sich die Sonne in den Blüten auf den Äckern spiegeln. Zypressen säumen diese Felder in loser Folge wie vom Himmel gefallene Ausrufezeichen. Gehöfte aus aufeinandergestapelten hellen Natursteinen thronen auf sanften Hügeln inmitten all dieses Gelbs. Das aber, was da so intensiv blüht und nicht duftet, erwartet hier keiner so recht – nicht mitten in der Provence, nicht im Lavendel-Land: Raps blüht bis hinter den Horizont. Auf endlosen Feldern bei Murs im Luberon zum Beispiel – und anderswo. Es ist das andere Gesicht der Provence – das des Frühlings.
Still ist es, fast kein Auto ist jetzt auf den schmalen Straßen unterwegs, die sich durch die Hügellandschaft östlich von Avignon und anderthalb Fahrtstunden nördlich von Marseille von Dorf zu Dorf winden. Ein Lieferwagen vielleicht, ein Traktor mal – kein Wohnmobil, keine Campinggespanne, fast kein Wagen mit ausländischem Kennzeichen. In den Cafés haben die Kellner Zeit für einen Plausch, in den Restaurants sind die besten Plätze auf den Terrassen frei.
Wenn die Provence in Gelb blüht, ist es dort ruhig. Im Frühling scheint kaum ein Urlauber diese Region auf der Agenda zu haben. Erst im Sommer wird es wieder so richtig voll – und teurer. Wenn die ganze Gegend in zartes Lila gehaucht ist und über allem ein intensiver Blütenduft liegt. Das ist das Antlitz, für das diese Region so berühmt ist. Das Bild, das auf jedem Reiseführereinband zu sehen ist und die Tourismuswerbung bestimmt. Ihr anderes Gesicht ist ebenso schön.
Ein ungewohntes Bild: Der Raps blüht im Luberon – hier vor den Toren der Ortschaft Murs. Foto: Helge Sobik Foto: Helge Sobik
Für Imker Bernard Voisin aus Sault sind 19 Millionen Bienen im Einsatz. Foto: Helge Sobik Foto: Helge Sobik
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Régine Liardet zuckt mit den Schultern. Sie ist ein wenig mitschuldig an dem Lila-Klischee. Die Frau ist Lavendelbäuerin in Sault. „Dabei blüht der Lavendel“, sagt sie, „frühestens von Mitte Juni bis maximal Ende August. Aber irgendwie ist sein Violett zu unserer Farbe geworden.“ Was sie vom Gelb der Rapsblüte hält? Vom Frühling? „Ach, das Schönste an all der Zeit außerhalb der Lavendelblüte ist doch, dass dann viel weniger los ist“, sagt sie. „Die Provence ist noch urtümlicher, unsere Dörfer liegen ruhig da. Und Du kriegst überall einen Parkplatz.“ Jetzt lacht sie wieder. Régine Liardet ist hier zur Welt gekommen, hat im Alter von fünf Jahren zum ersten Mal ihrem Vater bei der Ernte geholfen und später gemeinsam mit ihrem Sohn den elterlichen Lavendel-Hof übernommen. Sie führt ihn bis heute, hat auch im Frühling geöffnet, verkauft in ihrem Hofladen Lavendelseife, Duftöle, Parfum – und, anders geht es zur Zeit nicht, getrocknete Lavendelsträuße. Weil das einfach dazu gehört.
INFORMATIONEN
Anreise: Flüge z.B. mit Lufthansa, Eurowings oder Air France nach Marseille ab rund 70 Euro pro Strecke. Leihwagen z.B. bei Sunny Cars (www.sunnycars.de) ab 190 Euro / Woche.
Übernachtung: Zum Beispiel im Hotel „Le Crillon“ in Murs, Doppelzimmer ab 75 Euro. Ferienwohnungen und -häuser auf der Domaine de Saint-Jean bei Saint-Saturnin-les-Apt ab 110 Euro / Nacht, www.ledomainesaintjean.com. Ferienhäuser in der Provence haben auch Anbieter wie Novasol (www.novasol.de) und Interhome (www.interhome.de) im Programm. Die Preise liegen – je nach Lage, Größe und Ausstattung – bei etwa 400 bis über 1500 Euro / Woche.
Mindestens sechs Wochen ist die Vegetation hier im Süden der in Deutschland normalerweise voraus. Die vielen Mitarbeiter von Bernard Voisin sind deshalb bereits im April im Hochbetrieb aktiv – auch ohne Lavendel. Der Mann ist einer der größten Arbeitgeber der Region. Für ihn sind über 19 Millionen „Beschäftigte“ im Einsatz, die meisten davon Saisonkräfte – sozusagen. Voisin ist „Chef“ von über 320 Stöcken mit jeweils gut 60 000 Bienen. Er ist Imker und verkauft den Geschmack der Provence im Glas – herrlich duftenden Lavendel-Honig im Sommer. Und jetzt den Rapshonig. Seine Bienen sind nun in den Feldern und auch auf den Kirschplantagen bei Saint-Saturnin-les-Apts unterwegs, tanzen durch die Kelche, bis die Sonne im Westen hinter den Hügeln verschwindet.
Morgens hängt derweil oft noch Nebel in den Pinien hinter den Häusern und taucht die Gebäude in geisterhaftes Licht. Von irgendwoher bellt ein Hund. Es ist noch kühl und es duftet nach Pinien und Kräutern, ein bisschen nach Halsbonbon. Sobald sich dieser Vorhang zu lichten beginnt, setzt regelmäßig das Vogelkonzert ein – und keine halbe Stunde später ist keine Spur mehr von diesem Schleier. Wieder klettert das Thermometer auf 22 Grad, wieder ist der Himmel sattblau, wieder leuchten alle Farben.
Es ist dieses besonders intensive Licht, das seit jeher Künstler zum Malen in diese Region gelockt hat – im Frühling und im Herbst mehr noch als im Sommer. Erst van Gogh nach Arles, dann Cézanne immer wieder an die Montage Sainte-Victoire mitten in der Provence, schließlich Pablo Picasso. Der hat sich vor fast 60 Jahren das trutzige Schloss von Vauvenargues bei Aix-en-Provence gekauft, dort sein Atelier eingerichtet, sich mit dem Licht und den Farben aufgeladen – und dann gemalt. Weil er nie zuvor so viele Landschaftsbilder in so kurzer Zeit vollendet hat, sprechen Kunsthistoriker über seine Zeit mitten in der Provence als „Picassos grüne Periode“. Vor dem Portal des Schlosses ist er bestattet.
Der Frühling schmeckt hier nicht nur nach Honig, sondern auch nach dem ersten frischen Gemüse der Saison, nach knackigem Salat, Radieschen und Tomaten, nach selbst gemachtem Käse direkt vom Bauernhof. Und nach einem Gläschen Rosé auf einer Restaurant-Terrasse mit Weitblick über diese irgendwie archaische Landschaft mit all diesen in die Gegend gesprenkelten Dörfern, denen noch niemand eine Fabrik neben die Dorfkirche gepfropft und ein Hochhaus vor die Stadtmauer gepflanzt hat. Die Provence – gerade hier im Luberon – ist noch so stimmig, so unverdorben. Es macht Spaß, über die Märkte zu bummeln, in kleinen Geschäften Zutaten einzukaufen. Und am Ende schmeckt die Provence nach allem, was das Kochbuch an herzhafter Landküche mit mediterranem Einschlag hergibt – ob am Herd des Ferienhauses oder im Lokal.
Und wenn man später zu Hause eines dieser mitgebrachten Honiggläser aufschraubt und probiert, dann ist das Provence-Gefühl auf einen Schlag wieder da. Was tun, wenn der Honig alle ist? Wieder hinfahren. Am besten im Frühling.