Samstag,
09.02.2019 - 00:00
5 min
Das Hygge-Erlebnis
Von Laura Engels

Der Urlaub in einem Ferienhaus gehört unter anderem zum Hygge-Konzept. (Foto: Robin Skjoldborg)
Wo andere hässlich graue Beton-Poller zur Terrorabwehr aufstellen, pflanzen die Dänen Blumen. Wer die Kopenhagener Fußgängerzone Strøget entlangläuft, bemerkt gar nicht, dass die überdimensionalen Blumenkübel im Ernstfall Lkw oder Geländewagen aufhalten sollen. Davon abgesehen, findet es Morten Vendt in der Innenstadt aber nicht besonders hyggelig und will schnell weiter. Der Touristenführer von Urban Adventures benutzt das Wort, das es 2017 sogar in den deutschen Duden geschafft hat, sehr häufig. Er leitet die „Hygge und Happiness“-Tour, die Besuchern das Phänomen näher bringen soll, über das die halbe Welt seit einigen Jahren rätselt. Die Dänen benutzen das Wort mehrmals am Tag, schwört Vendt. Auch wenn sie mitunter ganz unterschiedliche Dinge meinen. „Wenn Männer es sich mit einer Frau zu Hause hyggelig machen wollen, denken sie dabei an einen Fernsehabend, Kaffee und Kuchen oder eben auch an ganz andere Aktivitäten“, sagt Vendt und grinst.
Mehr als Duftkerzen und schöne Möbel
Vor der Bar Toga Vin & Ølstue in der Innenstadt macht er doch noch einmal Halt. „Viele junge Politiker kommen hierher und diskutieren, aber auch etablierte Regierungsmitglieder, wie der Justiz- oder Außenminister“, verrät Vendt. Auch diese Nähe zu den Bürgern sei Teil des Hygge-Spirits. Nur wenige Meter vom geschäftigen Treiben, von belebten Straßen und Riesen-Baustellen entfernt, führt er seine Gruppe in eine Ruheoase mit großem Springbrunnen im Schatten der Dänischen Königlichen Bibliothek, die bedeutendste Bibliothek Skandinaviens. „Das ist geografisch die absolute Mitte von Kopenhagen. Die Stadt ist um diesen Ort herum gebaut worden, da es früher der Hafen war“, erzählt Vendt und deutet wie zum Beweis auf die eisernen Ringe an der Wand, die dem Festmachen der Boote dienten. „Ich liebe es hier. Nicht einmal viele Kopenhagener wissen, dass es diesen Ort gibt.“ Weitere Lieblingsplätze der Tour: das Viertel Nyboder mit den historischen Reihenhäusern, die für Mitglieder der Seeflotte gebaut wurden, versteckte Hinterhöfe oder der im Sommer für Picknicks beliebte Königsgarten.
In Kopenhagens Nobelviertel Frederiksberg nähert sich Meik Wiking dem Thema wissenschaftlich an. Der Geschäftsführer des „Happiness Research Institute“ erforscht mit seinem Team, wie sich Glück messen lässt und warum manche Menschen glücklicher sind als andere. Zudem ist er Autor des internationalen Bestsellers „Hygge“ und des Nachfolgers „Lykke“ (dänisch: Glück). Obwohl er sich dort zu banalen Ratschlägen wie „Fahr mal wieder mit dem Rad“ hat hinreißen lassen, macht der Wissenschaftler beim Besuch in seinem Institut deutlich, dass hinter der Lebensfreude und dem dänischen Lifestyle mehr steckt als Duftkerzen, schöne Möbel und Ferienhausflucht.
Die Skandinavier dominieren seit Jahren die Spitzenränge des „World Happiness Report“, der jährlich von den Vereinten Nationen veröffentlicht wird. Demzufolge sind verschiedene Faktoren, wie etwa das Bruttoinlandsprodukt und die Lebenserwartung, aber auch die Qualität der sozialen Beziehungen und das Vertrauen in die Regierung und Wirtschaft für die Lebenszufriedenheit der Bewohner entscheidend. „Ich denke der Grund, warum Dänemark so gut abschneidet, ist der Zugang zur Universität und dem Gesundheitswesen – es spielt keine große Rolle, ob du Mann oder Frau, arm oder reich bist“, sagt Wiking. Der Fokus liege auf immateriellen Dingen. Hygge sei ein Resultat der guten Work-Life-Balance. Wiking selbst war gerade im Urlaub, ist erst vor wenigen Stunden aus dem Flieger von New York gestiegen. Dass er mit Jetlag zu kämpfen hat, verraten seine müden Augen nur, wenn er seine Brille absetzt. Der müde Mann lacht viel, obwohl er mit seinen 40 Jahren geradewegs auf den Tiefpunkt zusteuert: Mitte 40 sind die Menschen unglücklicher als davor und danach.
INFORMATIONEN
Unterkunft: Ferienhausurlaub ist etwas Urdänisches. Die Ferienhäuser liegen immer in Strandnähe, dänisches Design inklusive. Eine große Auswahl gibt es unter www.visitdenmark.de und www.novasol.de.
Kopenhagen: Infos zu Sehenswürdigkeiten und Übernachtungsmöglichkeiten unter www.visitcopenhagen.com.
Kopenhagen: Infos zu Sehenswürdigkeiten und Übernachtungsmöglichkeiten unter www.visitcopenhagen.com.
„Was muss ich als erstes kaufen, um hygge zu sein?“, hat ihn ein US-Journalist mal gefragt. Genauso funktioniere hygge eben nicht, erklärt er. „Es ist nicht wichtig, das Haus, das Auto oder den Titel zu bekommen. Hygge ist, die kleinen Dinge im Alltag zu feiern. Und wenn du mehr von diesen kleinen Momenten hast, führt das eventuell zu einer größeren Lebenszufriedenheit“, so Wiking. „Ich glaube nicht, dass der Weg der anderen Länder der ist, dänische Kerzen oder Kekse zu kaufen.“ Doch genau diese glücksversprechenden Heilsbringer sind in vielen Museen und Shops in Dänemark zu finden.
Koch Jacob Haugaard versucht, eine schöne Atmosphäre für seine Gäste zu kreieren – meistens in seinem eigenen Restaurant Under Kronen in Fredensborg, aber ab und zu auch außer Haus. In einem Ferienhaus in Dronningmølle in Nordseeland zieht er seine Kochschürze an und schmeißt frische Langusten und Jakobsmuscheln auf den Grill. Auch die Küche nimmt er mit seinem Kollegen und Freund Jacob Brick in Beschlag, um den selbstgeräucherten Lachs von den Faröer Inseln vorzubereiten. Natürlich seien die Lachse glücklich gewesen und frei von Antibiotika, betont Haugaard. Mit ernsthafter Hingabe und humorvollen Anekdoten bereitet er vier Gänge für die Ferienhausurlauber vor. Sogar Königin Margrethe II. und Prinz Henrik sollen seinen Fisch schon gegessen und genossen haben, erzählt er. Obwohl der Prinz eigentlich gar keinen Lachs mag.
Die Dänen besitzen weltweit die meisten Ferienhäuser pro Einwohner, 93 Prozent liegen entlang der Küste. Laut Novasol, dem größten Ferienhausvermittler Dänemarks, gibt es 180 000 Ferienhäuser in Dänemark, die Mehrzahl wird privat genutzt. 35 000 Ferienhäuser werden vermietet. Auch die Deutschen wissen diese Urlaubsform zu schätzen. 80 Prozent der insgesamt 15,1 Millionen Übernachtungen in Dänemark im Jahr 2017 gingen ins Ferienhaus. An der Küste Nordseelands, der sogenannten dänischen Riviera, reihen sich ehemalige Fischerdörfer aneinander, die ihren ursprünglichen Charme bewahrt haben. Eines davon ist Gilleleje, wo Vicky Nielsen einen Fahrradverleih betreibt. Eine ihrer Lieblingsstrecken führt zum nördlichsten Punkt von Nordseeland, Gilbjerg Hoved, ganz in der Nähe. Die 33 Meter hohe Klippe bietet eine Aussicht über das Wasser bis nach Kullen drüben in Schweden. „Ich liebe die Natur hier, das Wasser“, sagt die Mittvierzigerin, die am Fischereihafen von Gilleleje sitzt, an dem Kutter und Jachten anlegen. Für sie ist hygge, im Winter Kerzen anzuzünden, am Strand sein oder am Hafen zu sitzen. „Alles kann hygge sein, es ist für die Dänen wie das Atmen“, sagt Nielsen. Aber: „Du kannst nur hyggelig sein, wenn du mit dir im Reinen bist.“ Nielsen lebt vom Tourismus, denn neun von zehn Dänen besitzen selbst ein Fahrrad. 17 Prozent aller Fahrten in Dänemark werden laut der dänischen Radfahrer-Botschaft mit dem Fahrrad unternommen. 63 Prozent der dänischen Parlamentsabgeordneten fahren jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit. In Kopenhagen gibt es fünfmal so viele Fahrräder wie Autos. Die Dänen geben sich in ihrer Hauptstadt aber auch große Mühe, Radfahrer glücklich zu machen: Es gibt geneigte Mülleimer, in denen sie Kaffeebecher während der Fahrt hineinwerfen können, an den Ampeln gibt es Fußstützen und bei Schnee wird der Radweg noch vor den Straßen geräumt.