Blut und Gold der Provence: Unterwegs in Frankreichs Ockerland
Von Claudia Diemar
Die Fassaden von Roussillon leuchten in kräftigen Naturfarben aus den Ockergebieten in Südfrankreich. Foto: Claudia Diemar
( Foto: Claudia Diemar)
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Die Jacken hängen noch an der Wand – über und über bepudert mit Staub in Chromgelb, Dunkelorange, Ziegelrot. In allen Tönen changierend, die man der Natur entriss. Ockergetränkte Taschentücher, versteift mit Wachs, bedecken eine ganze Wand. Auf dem Boden stehen dicht an dicht die Säcke mit den Pigmenten. Die Installation der Künstlerin Helga Brenner ehrt die Männer, die hier einst schufteten. Es war eine harte und gefährliche Arbeit, die sie verrichteten. Etliche „Ocriers“ starben an der Staublunge – besonders in den Fabriken, wo das Pulver zu immer feinerem Staub gemahlen und abgefüllt wurde. „Man nannte die Ockerarbeiter auch „Indianer“, denn ihre Haut war von den Pigmenten durchdrungen. Wenn sie am Wochenende zum Tanzvergnügen gingen, schwitzten sie nach kurzer Zeit die Hemden gelb“, erklärt Dominique Peressinotti von „Okhra“, einer Gesellschaft, die sich die Vermittlung der Ockertradition in der Provence zum Ziel gesetzt hat.
Ihr Hauptsitz in der „Usine Mathieu“ bei Roussillon ist Industriemuseum, Galerie und Werkstatt in einem. Wer will, kann hier Kurse buchen, um das Gestalten mit Farben zu lernen. Kinder rühren Tinte aus Pflanzensud an. Erwachsene lernen, Wände mit den Naturpigmenten zu wischen und zu stempeln. Im Garten der Fabrik nahe Roussillon lassen sich noch die Becken ausmachen, in denen sich der Ocker einst absetzte. Aber die Brennöfen und die Maschinen stehen längst still. Kein Staub fliegt mehr durch die Luft.
Export nach Buenos Aires, Kairo und Tanger
Ocker ist eine Mischung aus Ton und eisenoxidhaltigem Sand, gebildet aus den Sedimenten eines urzeitlichen Meeres. Normalerweise liegt sein Anteil dort, wo er vorkommt, bei rund 10 Prozent. Im Vaucluse jedoch, einem kleinen Gebiet nördlich der Stadt Apt, ist das natürliche Vorkommen des Pigments sieben Mal so hoch: bis zu 70 Prozent. Seit der französischen Revolution baute man den Farbstoff im Gestein ab. In der Blütezeit im 19. Jahrhundert lebte jede zweite Familie in der Region vom Ocker. Als Apt 1877 an die Bahnlinie angeschlossen wurde, wurde das „rote Gold“ bis Buenos Aires, Kairo und Tanger exportiert. Um 1930 setzte dann der Niedergang ein. Die Erfindung der Chemiefarben machte die Naturpigmente überflüssig.
Die Fassaden von Roussillon leuchten in kräftigen Naturfarben aus den Ockergebieten in Südfrankreich. Foto: Claudia Diemar Foto: Claudia Diemar
Das „Colorado“ der Provence (unten) entstand durch den Abbau der Pigmente. Die Fassaden von Roussillon (oben) leuchten in kräftigen Naturfarben aus den Ockergebieten in Südfrankreich. Fotos: Diemar Foto:
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Bereits 1937 wurde daher die Arbeit in der Mine von Bruoux bei Gargas eingestellt. Doch seit einigen Jahren ist sie wieder für Besucher zugänglich. Von insgesamt rund 40 Kilometern unterirdischer Galerien können zwar nur 650 Meter besichtigt werden, eindrucksvoll ist der Besuch der kühl-feuchten Kathedrale des Ockers mit den hohen Gewölben dennoch.
Als man das Personal für die Führungen schulte, besann man sich auf Mohammed Elagoune, der mehr als 40 Jahre in den Ockerbrüchen arbeitete. Als Elagoune, der aus einer algerischen Einwandererfamilie stammt, 1957 mit 14 Jahren im Ocker anfing, war die Ausbeutung des Farbstoffes bereits fast zum Erliegen gekommen. Er entschied sich dennoch für den Beruf. „Harte Arbeit, aber man war an der frischen Luft und mit dem Material verbunden“, sagt er. Seine Gesundheit hat keinen Schaden erlitten: „Ich war zum Glück nur im Abbau und nicht in der Fabrik“. Elagoune lebt noch immer in Gargas, hat 14 Enkel und verbringt die Zeit heute am liebsten mit dem Sammeln von Heilkräutern.
INFORMATIONEN
Anreise: Mit dem Auto auf der Autobahn „Route au Soleil“ über Lyon, Valence bis Avignon-Sud und weiter über die N 100.
Unterkunft: „Chambre de séjour avec vue“, Saignon, Künstler-Atelierhaus mit drei Gästezimmern und Garten, DZ mit üppigem Frühstück, 90 Euro, www.chambreavecvue.com; „La Forge“, Rustrel, stimmungsvolle Zimmer in alter Eisenwarenfabrik, schöner Garten und Pool, DZ ab 135 Euro, www.chambre-dhote-luberon.fr; „Mas des Grès“, Lagnes, schönes Landhotel mit Pool und guter Küche, DZ ab 130 Euro, www.masdesgres.com.
Ockerland erleben: Ockermine „Mine d’Ocre de Broux“ in Gargas; Colorado provençal mit Wanderpfaden in Rustrel; „Sentier des Ocres“, Ockerlehrpfad am Ortsrand und „Ancienne Usine Mathieu“ in Roussillon, www.okhra.com.
Ockerland-Radeln: Infos zu Strecken, Verleih-Stationen und weiteren Unterkünften von Camping über Gästezimmer und Ferienwohnungen bis zu Hotels unter www.ocresenvelo.com/de.
Auskunft: www.france.fr.
Erst in letzter Zeit besinnt man sich – nicht nur in der Provence – wieder stärker auf die unnachahmliche Patina und Transparenz der natürlichen Pigmente. Wer etwas auf sich hält, bringt wieder echten Ocker auf die Wände. Das Material dazu gibt es bei Karine und Céline Chauvin in Apt. Ihr Großvater starb einst beim Ockerabbau in der Nähe von Rustrel. Seit damals wird die Firma nur von Frauen geführt. Das von den Damen Chauvin entwickelte „Gel Chiffoné“ gilt bei örtlichen Handwerkern als Geheimwaffe, um die Farben zum Leuchten zu bringen.
Ein Ort wie eine grellbunte Burganlage
„Rotes Delphi“ hatte Jean Vilar, der Begründer des Theaterfestivals von Avignon, das Dorf Roussillon einst genannt. Der Ort trägt die Farbe Rot bereits im Namen. Wie eine grellbunte Burganlage drängen sich die Häuser auf einer Klippe zusammen. Die Fassaden leuchten. Zitronengelb steht in Kontrast zu tiefem Rosa, Karminrot oder Himmelblau. Pittoresker kann ein Ort selbst in der an Idyllen reichen Provence nicht sein. Vom kleinen Marktplatz schaut man direkt auf die orange geflammte Wand des benachbarten Ockerfelsens. Gegen Eintritt kann man auf dem „Sentier des Ocres“ zwischen den „Falaises“ genannten Steilwänden wandern.
Viel weiträumiger ist das bei Rustrel gelegene Ockergebiet im „Colorado provençal“. Eine ganze Landschaft scheint hier von den farbigen Formationen geprägt. An manchen Stellen wähnt man sich in Afrika oder Australien, so exotisch erscheint die bunte Wüste mit ihren bizarren Schründen. Bereits seit 1930 steht der Colorado unter Naturschutz. Doch um eine natürliche Landschaft handelt es sich hier nicht. Die Ockerformationen sind die Hinterlassenschaft intensiver Ausbeutung und klassisches Beispiel für eine durch menschliches Wirken gestaltete Kulturlandschaft.
Die Legende freilich erzählt eine ganz andere Version von der Entstehung der Ockerschründe. Sermonde, die Gattin des für seine Grausamkeit weithin bekannten Lehnsherren Raimond de Roussillon, soll einst einem jungen Troubadour verfallen sein. Als der Gatte dahinter kam, tötete er den Galan und ließ seiner Frau das Herz der Geliebten servieren. Die Dame goutierte nichtsahnend das köstlich zubereitete Gericht. Erst nach dessen Genuss klärte sie Raimond darüber auf, was sie gerade verspeist hatte. In verzweifeltem Entsetzen stürzte sich Sermonde daraufhin die Felsen hinunter und färbte sie mit ihrem Blut für alle Zeiten tiefrot.