Andorra: Shopping- und Wanderparadies in den Pyrenäen
Von Helge Sobik
Andorra ist der größte der sechs europäischen Zwergstaaten. Seit 1278 ist das Land, das an Spanien und Frankreich grenzt, unabhängig. Foto: Helge Sobik
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Von irgendwoher läuten Kirchturmglocken, deren Klang im Tal von den Bergen hin und her geworfen wird. Aus einem geöffneten Fenster klingt Gitarrenmusik. Vor einer Tapas-Bar plaudern Menschen, als jemand mit zwei Pyrenäen-Hütehunden an der Leine vorbeiläuft. Nur wenige Momente später sind die Klänge weg und es ist wieder der Wind zu hören – und zu spüren. Der Trubel in den Straßen hat sich gelegt. Der Alltag ist zurückgekehrt an einem Samstagabend in Andorra La Vella, der Hauptstadt von Andorra.
Gleich nach Geschäftsschluss ist das Fürstentum wieder ein stilles Land in den Pyrenäen geworden, gerade 468 Quadratkilometer groß. Dann sieht es auch in den eben noch verstopften Straßen der Hauptstadt wieder so aus wie in den Orten Encamp oder Canillo, wie in La Massana und Ordino weiter oben.
Ralph Lauren ist im Tal geblieben, ebenso Calvin Klein, Giorgio Armani, Tommy Hilfiger und Co. Sie bleiben seit jeher dort, wo sich vor allem an Freitagen und Sonnabenden die Menschen drängen. Dort, wo Andorra dicht bebaut ist und die Parkplätze schnell knapp werden. Wo die Nadelwälder und Wiesen, die klaren Bäche und die grünen Hochtäler gefühlt in großer Ferne sind. Die Edel-Marken türmen sich in den Auslagen der Geschäfte unten in der Hauptstadt, in den Regalen und Vitrinen der Boutiquen. 22 000 Einwohner hat die Kapitale des Pyrenäen-Fürstentums, des größten der sechs souveränen Zwergstaaten Europas. Und an manchen Tagen fühlt es sich an, als wäre es in Wirklichkeit ein Vielfaches dieser Zahl – so viele Menschen tummeln sich hier auf wenig Raum und gehen mit Freude zwischen Exklusivem und Schnäppchenware einkaufen.
INFORMATIONEN
Anreise: per Flugzeug nach Toulouse auf französischer oder Barcelona auf spanischer Seite – zum Beispiel mit Germanwings, Lufthansa oder Air France. Tickets ab rund 140 Euro.
Mietwagen: Leihwagen zum Beispiel bei Sunnycars (www.sunnycars.de) ab 108 Euro / Woche. Wichtig: Im Mietvertrag sollte festgehalten sein, dass der Wagen grenzüberschreitend genutzt werden darf.
Geld: Zahlungsmittel in Andorra ist der Euro.
Unterkunft: Es gibt zahlreiche Hotels wie zum Beispiel das Hotel „Babot“ in Ordino, Doppelzimmer ab 98 Euro inklusive Halbpension, www.hotelbabotandorra.com oder das Hotel „Palomé“ in La Massana, Doppelzimmer mit Frühstück ab 105 Euro, www.palomehotel.com.
Andorra gilt als Shopping-Paradies – wegen der niedrigen Zölle und der niedrigen Mehrwertsteuer. Luxusmarken sind spürbar günstiger als nebenan in Spanien oder Frankreich. Die Nachbarn kommen vor allem Ende der Woche in langen Autokolonnen, um Beute zu machen.
Dabei verläuft sich aller Andrang schnell, sobald man die Hauptstadt wieder verlassen hat und das Land plötzlich an Weite zu gewinnen scheint. So wie nach Ladenschluss, wenn die Stadt mit all den Geschäften und den sechs Stockwerke hohen Wohntürmchen wieder zu dem wird, was sie eigentlich ist: ein Bergdorf. Eins, das vielleicht ein bisschen aus der Form geraten und eilig in die Höhe gewachsen ist. Es ist nicht der schönste Flecken in diesem Land.
Wo Andorra noch wie damals ist, bevor es Einfuhrzölle, Mehrwertsteuer und Schlussverkäufe gab? Weiter oben in den Bergen. Und abseits der Straßen. Dorthin gelangt man erst mit dem Auto, dann weiter zu Fuß. Und vielleicht ein Stück weit mit der Seilbahn. Hotels gibt es selbst hoch oben, dazu stille Seen und viele ausgeschilderte Wanderwege.
Andorra, das kleiner ist als die Insel Ibiza, hat 65 Gipfel über der 2 000-Meter-Grenze. Hoch oben in den Pyrenäen schneit es auch im Frühjahr und Sommer hin und wieder über Nacht. Doch die Sonne sorgt am nächsten Tag meist schnell dafür, dass die schneegeweißten Gipfel wieder grün werden.
Die Luft ist besonders klar an solchen Tagen, und manchmal dauert es bis zum Mittag, bis die Moose neben den Wanderpfaden wieder so weit aufgewärmt sind, dass sie als Picknick-Plätzchen taugen.
Aus kleinen Quellen gurgelt es, die Sonne scheint, die Temperaturen steigen – und prompt klappen die Blumen ihre Kelche auf. Bald sind die Vögel da – erst die Singvögel, manchmal auch die Adler auf Patrouillenflug, die von noch weiter oben zuschauen. Und ehe das alles zu romantisch wird, bellt von irgendwoher ein Schäferhund mit tiefer Stimme dazwischen.
Den relativen Reichtum sieht man dem Land an. Baufällig ist hier fast nichts, und wirklich alt sind nur die Kirchen. Andorra ist blitzsauber und wirkt einmal runderneuert.
Viele besser betuchte Menschen investieren in dem Land. Die niedrige Einkommenssteuer macht die Staatsbürgerschaft für viele erstrebenswert. Sie haben sich Villen gebaut, alte Gehöfte in Luxusdomizile verwandelt – oder wenigstens in ultramoderne Zweitwohnungen mit Panoramablick in Richtung irgendeines Bilderbuch-Tales investiert. Was von den Millionen-Investitionen in den Staatskassen hängen blieb, wurde in Infrastruktur und Antlitz investiert.
Dabei geht es hier kaum einem ums Sehen und Gesehen werden, eher um das Gegenteil. Andorra ist weniger klatschverliebt als Monaco. Selten taucht das Fürstenhaus in den Illustrierten auf – obwohl es zwei gleichberechtigte Prinzen gibt, die das kleine Land regieren.
Aus derselben Familie sind sie nie – ein einmaliges Konstrukt: Der eine ist als Rechtsnachfolger des französischen Königs stets der gerade amtierende Präsident von Frankreich. Der andere ist der Bischof von Urgell auf spanischer Seite der Grenze. Sie beide führen den Titel „Ko-Prinzen von Andorra“.
Die Aufteilung hat sich seit 1278 bewährt. Doch die beiden Prinzen sind selten da, noch seltener gemeinsam. Und zum Wandern in den Bergen haben sie sich angeblich noch nie verabredet. Ganz sicher ein Fehler.