Sie zerreißen das Grau der Stadt: Paste-Ups, Murals, Graffitis. In der Szene der urbanen Kunst ist Köln spätestens seit der Gründung des Cityleaks Urban Art-Festivals bekannt.
. Katzen gehen immer. Deshalb sind sie auch das Markenzeichen von Meow. Der junge Mann mit dem sprechenden Namen lebt in Köln und in seiner Freizeit macht er Paste-Ups. Das heißt, er bemalt oder bedruckt Papier, das dann an den Wänden von Köln landet.
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Wären da nicht eine der besagten Katzen und viele weitere bunte Paste-Ups, Schriftzüge und kleine Bilder, wäre die Gegend um den Bahnhof Ehrenfeld farblos. An der Unterführung in der Venloer Straße gibt es einen Billigbäcker, einen Paketshop, eine Spielhalle. Dazu viel Beton.
Hier arbeitet Eva Himmighofen. Die angehende Berufsschullehrerin hat sich neben ihrem Studium als Stadtführerin selbstständig gemacht. Schwerpunkt: Street Art. Am Bahnhof Ehrenfeld kennt sie sich bestens aus.
Neben Meows Katze zeigt eine bemalte Kachel einen weiblichen Che Guevara mit Maske, daneben haben mehrere Künstler einen alten Kaugummiautomaten mit Aufklebern verziert. Zahllose winzige Kunstschnipsel fügen sich wie selbstverständlich in ihre Umgebung ein. Die meisten sind erst nach langem Hinsehen zu entdecken.
Ganz normal sei das, sagt Eva Himmighofen. Selbst Ehrenfelder seien auf ihren Touren manchmal völlig überrascht, wie viel sie zum ersten Mal sehen, obwohl sie jeden Tag daran vorbei laufen.
Das liegt auch daran, dass die Street Art sehr schnelllebig ist. Manche Dinge tauchten von einem Moment auf den anderen auf oder seien plötzlich wieder verschwunden; überklebt, überstrichen, entfernt, geklaut. „Street Art ist wie das Leben. Du weißt nie, wie lange du es hast“, sagt Himmighofen.
Hinter der Polizeiwache in der Venloer Straße erinnern einige große Murals entlang der Bahnanlage an das Cityleaks-Festival von 2013. Alle zwei Jahre treffen sich auf dem Festival lokale und internationale Künstler, um zuvor freigegebene öffentliche Wände zu bemalen. Anders als die kurzlebigen Paste-Ups oder Graffiti bleiben diese Kunstwerke meist über lange Zeit unbeschädigt.
Nur auf einem der Murals ist ein Kommentar zu finden: Die Kölner Künstlerin Joiny hat einen kleinen rosafarbenen Hippie-Bus auf das Bild „Surveillance of the fittest“ (übersetzt „Überwachung des Angepasstesten“) ihrer Kollegen vom Kollektiv Captain Borderline geklebt.
Das Mural entstand kurz nach der Enthüllung des NSA-Datenskandals durch Edward Snowden. Der Titel ist eine Anspielung auf Darwins „Survival of the fittest“ – das Überleben des Angepasstesten. Ein amerikanischer Weißkopfadler überwacht darauf eine Herde von Schafen mit Sicherheitskameras.
Joinys Hippie-Bus ist eine Antwort auf die dystopisch düstere Stimmung des Murals: „Ein bisschen Farbe kann die Welt total verändern“, sagt Eva Himmighofen. Doch Joinys Kommentar ist auch eine politische Botschaft: „Du musst dich dem System nicht unterwerfen, du kannst laut und kunterbunt bleiben. Und zur Not kannst du wegfahren.“
Die Street Art – legal und illegal gleichermaßen – fasziniert Himmighofen vor allem aus soziologischer Perspektive: „Der Mensch holt sich den Raum zurück, den er in der Stadt nicht bekommt. Wie das passiert, ist unfassbar spannend,“ sagt die Stadtführerin.
Was für den einen Kunst ist, kann für den anderen störend sein. Eines sei allerdings nicht zu leugnen: In einigen Werken stecke große künstlerische Begabung. „Aber für manche ist das illegale Sprayen einfach nur ein Hobby“, sagt Eva Himmighofen. Ein Hobby mit Risiko. Denn wer erwischt wird, muss Strafen zahlen.
Wer nicht nur auf Nacht- und Nebel-Aktionen verzichten, sondern mit seiner Kunst auch Geld verdienen will, muss also einen Weg finden, auf legale Weise seine Kunst an die Wände zu bringen.
Eine durchaus erstrebenswerte Sache, wenn es nach Tim Ossege geht. „Früher bin ich nachts aufgestanden, um zu sprayen, das ist mir heute zu anstrengend“, sagt der Künstler. Besser bekannt ist er unter seinem Pseudonym „sei Leise“.
Einen Namen machte er sich mit Paste-Ups und mit Reverse Graffiti – also Graffiti, die sichtbar werden, weil die Künstler zum Beispiel mit Schablonen Dreck von der Straße entfernen. Eine rechtliche Grauzone. „Man müsste ja erstmal klären, wem der Dreck auf der Straße gehört, bevor man einen Künstler verurteilen könnte“, sagt Ossege.
Sein letzter Großauftrag führte den Kölner von der Straße weg nach drinnen. Im Auftrag der Lindner Hotels gestaltete er das Kölner Hotel City Plaza um. Dort sind nun auf den Fluren aller sechs Stockwerke seine Werke zu sehen.
Sie drehen sich um die großen Kölner Themen: den Dom, den Karneval, das Schokoladenmuseum, den Zoo oder den typisch kölnischen Duft von 4711. Hinter QR-Codes sind Geschichten und Erklärungen zu den einzelnen Bildern zu finden. So wird dort etwa erläutert, warum der FC-Fan im Dom zum bayerischen Wappen betet.
Doch nur wenige Street-Art-Künstler schaffen es wie Tim Ossege, mit ihrer Kunst Geld zu verdienen. Noch weniger können von ihrer Arbeit leben. Einer von ihnen ist Thomas Baumgärtel, der ebenfalls in Köln lebt.
Besser bekannt ist er vielen als der Bananensprayer. Er hinterlässt überall dort eine kleine gesprayte Banane, wo er auf Galerien und Museen hinweisen will. Die Banane ist mittlerweile zum Gütesiegel geworden – und wird oft kopiert. Für Thomas Baumgärtel ein Glücksfall. Er ist einer der gefragtesten deutschen Street-Art-Künstler.
Wie es der Zufall will, ist auch in der Nähe des Bahnhofs Ehrenfeld eine Banane zu finden. Sie prangt auf Schienbeinhöhe an einer Hauswand. Und am Ende der Tour winkt Eva einem jungen Mann, der in die andere Richtung unterwegs ist. Er bleibt kurz stehen, um Hallo zu sagen. Es ist Meow.