Montag,
26.10.2015 - 01:02
4 min
In Nagasaki und Hiroshima pulsiert 70 Jahre nach dem Atombombenabwurf wieder das Leben
Von Marc Vorsatz

Ground Zero in Nagasaki ( Foto: )
Kannst du dich der alten Legende entsinnen?“, fragte Chizuko ihre Freundin. „Der Kranich ist doch ein heiliger Vogel, der schon seit tausend Jahren lebt. Und wenn ein kranker Mensch 1 000 Kraniche aus Papier faltet, wird Gott sein Gebet erhören und ihn heilen.“
So fing die kleine Sadako Sasaki an, Papierkraniche zu falten. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, wann immer es ihre schwindenden Kräfte erlaubten. Als sie schließlich 1 000 Kraniche gefaltet hatte und noch immer sterbenskrank war, beschloss das tapfere Mädchen weiterzumachen. 1 600 filigrane Papiervögel sollte sie am Ende erschaffen haben, manche nicht größer als ein Reiskorn. Den Kampf gegen die gefürchtete Atombombenkrankheit – so nannte man Leukämie im Nachkriegsjapan – konnte das Mädchen trotzdem nicht gewinnen. Am 25. Oktober 1955 schloss die zwölfjährige Sadako in Hiroshima für immer die Augen – und sollte unsterblich werden.
Bis heute, 60 Jahre nach ihrem Tod und 70 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Nagasaki und Hiroshima pilgern täglich Hunderte Schüler aus ganz Japan und aller Welt zum Children’s Peace Monument in den Friedenspark von Hiroshima. Auf einem Sockel thront das bronzene Mädchen und mit erhobenen Armen trägt Sadako einen gefalteten Kranich in den Händen. Der Kranich symbolisiert Treue, Weisheit und ein langes Leben im Land der aufgehenden Sonne.
Die Überlebenden von damals haben ihr Hiroshima längst wieder aufgebaut. Heute zählt die pulsierende Millionenmetropole auf der Hauptinsel Honshu zu den attraktivsten Großstädten Japans. Sie ist eines der bedeutendsten spirituellen, kulturellen und wirtschaftlichen Zentren des Landes, die Heimat von Mazda und vor allem weltweites Symbol für das Grauen eines Nuklearkrieges.
Behutsam wurde die Universitätsstadt mit viel Grün und harmonisch aufeinander abgestimmter Architektur neu erschaffen, alle Sehenswürdigkeiten sind bequem per Straßenbahn zu erreichen. Historische Bauwerke sucht man jedoch vergebens im Stadtgebiet der einst mächtigen Burgstadt mit kaiserlichem Hauptquartier. Am 6. August 1945 um 8.16 Uhr machte die erste Atombombe, die je gegen Menschen eingesetzt wurde, Hiroshima mit einem Schlag dem Erdboden gleich.
INFORMATIONEN
Allgemeine Auskünfte: Kostenloses Infomaterial und Auskünfte erteilt die Japanische Fremdenverkehrszentrale JNTO in Frankfurt, 0 69 - 2 03 53, www.jnto.de
Veranstalter: Die Studienreise „Prachtvolle Tempel – himmlische Gärten“ führt auch nach Nagasaki und Hiroshima. 20 Tage, inkl. Flügen, Shinkansen, Transfers, Programm, Übernachtung, deutschsprachige Reiseleitung ab 6 185 Euro bei Gebeco, 04 31 - 5 44 60, www.gebeco.de. Nächste Termine: 22.3. und 29.03.2016.
Übernachtung: Bei der oben genannten Studienreise schläft man in guten 4- bis 5-Sterne-Hotels sowie in einem Ryokan, einem traditionellen japanischen „Reisegasthaus“, welches mit weichen Strohmatten, den Tatami, ausgelegt ist, inkl. kostenfreiem Onsen (Thermalbad) sowie in einer buddhistischen Tempelherberge. In letzterer nächtigt man typisch japanisch in Gemeinschaftszimmern auf einer Futon-Matte, www.ryokan.or.jp.
Veranstalter: Die Studienreise „Prachtvolle Tempel – himmlische Gärten“ führt auch nach Nagasaki und Hiroshima. 20 Tage, inkl. Flügen, Shinkansen, Transfers, Programm, Übernachtung, deutschsprachige Reiseleitung ab 6 185 Euro bei Gebeco, 04 31 - 5 44 60, www.gebeco.de. Nächste Termine: 22.3. und 29.03.2016.
Übernachtung: Bei der oben genannten Studienreise schläft man in guten 4- bis 5-Sterne-Hotels sowie in einem Ryokan, einem traditionellen japanischen „Reisegasthaus“, welches mit weichen Strohmatten, den Tatami, ausgelegt ist, inkl. kostenfreiem Onsen (Thermalbad) sowie in einer buddhistischen Tempelherberge. In letzterer nächtigt man typisch japanisch in Gemeinschaftszimmern auf einer Futon-Matte, www.ryokan.or.jp.
Eines der wichtigsten religiösen Bauwerke von ganz Japan, der Itsukushima-Schrein aus dem 6. Jahrhundert, entging der Zerstörung nur durch seine geografische Lage auf der vorgelagerten Insel Miyajima. Weltbekannt ist sein 16 Meter hohes zinnoberrotes Torii, das bei Flut im Wasser steht. So bezeichnet man ein symbolisches oder reales Tor zu einem Schrein, welches den Eingang von der profanen zur sakralen Welt darstellt.
Nur drei Tage nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima fiel die kleinere Hafenstadt Nagasaki im Süden des Landes. Nagasaki war damals und ist heute wieder eine der schönsten und interessantesten Städte Nippons. Und für japanische Verhältnisse geht es sogar recht weltoffen und exotisch zu: Christliche Kirchen, chinesische Tempel und westliche Gartenbauarchitektur prägen nunmehr das Stadtbild neben schintoistischer, buddhistischer und moderner Architektur.
Der vielbeschriebene Mix aus uralter Tradition und Hypermoderne spiegelt sich vor allem im bunten Straßenbild sowohl von Nagasaki als auch von Hiroshima wider: kleine Kinder mit schrillen Pop-Art-Brillen, Teenager in Manga-Outfits, Erwachsene im Businessdress und alte Menschen in folkloristisch anmutender Tracht. So unterschiedlich die Generationen auch sein mögen, sie gehen höflich und respektvoll miteinander um und das gemeinsame Erbe des nuklearen Infernos eint die Bewohner der beiden Städte in ganz besonderem Maße.
Ein Muss ist der Besuch von Ground Zero in Nagasaki, einem kleinen Gedenkplatz. Eine steinerne schwarze Stele markiert genau den Punkt, über dem am 9. August 1945 die sogenannte „Fat Man“ um 11.02 Uhr in 470 Meter Höhe explodierte und augenblicklich die halbe Stadt in Trümmer legte. Ein schlichter Gedenkstein beziffert die Zahl der Atombombenopfer, auf insgesamt 162 083, Stand 9. August 2013. Ein paar dürften in den vergangenen zwei Jahren dazugekommen sein. Nur ein paar Meter weiter, im Friedenspark, ragt als einziger deutscher Beitrag das Denkmal der Völkerfreundschaft von Bildhauer Gerhard Rommel in den Himmel. SED-Chef Erich Honecker hat das Geschenk der DDR 1981 persönlich eingeweiht.
Im gleichen Jahr rief Papst Johannes Paul II. in einer viel beachteten Rede vor dem Friedensmuseum in Hiroshima zur Abschaffung aller Kernwaffen auf. Sein Appell verhallte. So wird wohl auch die Ewige Flamme im Friedenspark von Hiroshima noch ewig brennen. 1964 entzündet, soll sie erst erlöschen, wenn die letzte Atombombe verschrottet ist. Ob dann der Atombomben-Dom noch stehen wird, ist fraglich. Gemeint ist die Ruine des „Hauses zur Förderung der Industrie der Präfektur Hiroshima“, die der tschechische Architekt Jan Letzel einst schuf. Ein wahrer Prunkbau seiner Zeit, der die einfachen Wohnhäuser der Umgebung aus Holz um ein Vielfaches überragte. Nur der Stahlbetonkonstruktion und der fast genau senkrecht von oben heranrasenden Druckwelle wegen sind überhaupt ein paar Wände und das Stahlgerippe des Doms stehengeblieben. Seit 1996 zählt die Ruine zu den Stätten des Weltkulturerbes der Menschheit.
Der emotionale Höhepunkt einer Reise nach Hiroshima, ja nach ganz Japan, ist für viele der Besuch des Friedensmuseums, besser als Atombomben-Museum bekannt. Große Modelle zeigen die Stadt vor und nach der Bombe, Exponate beschreiben das Leben davor und das Überleben danach. Doch am erschütterndsten sind die persönlichen Gegenstände von Opfern und die fotografischen Zeitdokumente. Geschmolzene Glasflaschen, die völlig deformierte Brotbüchse eines Schuljungen, zerbrochene Brillen von Namenlosen, verbrannte Kleidung, eine Uhr, die um 8.16 Uhr für immer stehen blieb. Momentaufnahmen von völlig apathischen Menschen, denen großflächig verbrannte Hautpartien vom Körper hängen, die noch immer nicht begreifen können, was ihnen soeben geschehen ist. Schweigen erfüllt den Raum, hier und da nur ein leises Schluchzen. So mancher Besucher muss abbrechen.
Ein unscheinbares vergilbtes Foto zeigt das Kranichmädchen Sadako Sasaki. In einem Meer aus Blumen ruht sie in ihrem Sarg und selbst im Tod strahlt ihr Antlitz noch immer Schönheit und Würde aus.