Wind und Wellen setzen dem Wrack der Antilla zu. 1953 zerbrach es in einem Sturm. Foto: Marc Vorsatz
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Es ist Ebbe und rostiger Kruppstahl durchbricht bedrohlich die türkisfarbene See. Da liegt sie also, die sagenumwobene deutsche Antilla, grade 700 Meter vor der Küste Arubas. Die Insulaner nennen es nur das Geisterschiff. In ihm wohne das Böse, meinen sie. Selbst die Fischer machen lieber einen großen Bogen um die schlafende Fremde. Wir aber werfen unseren Anker direkt an ihrem Bug, denn unter Tauchern und Schnorchlern zählt sie zu den schönsten Wracks der gesamten Karibik.
Einst war die Antilla der ganze Stolz der Hamburg-Amerika-Linie. Eines der modernsten Frachtschiffe seiner Zeit, ausgestattet mit einem turboelektrischen Antrieb, der Dampf in Strom wandelte. Von der eignen Mannschaft versenkt auf der Jungfernfahrt in einem sinnlosen Krieg, der bis in die Karibik reichte.
Wir rollen rücklings über die Bordwand, tauchen direkt in eine Wolke von friedlichen Gelbstreifen-Grunzern. Spielerisch nimmt uns dieser Schwarm auf. Er umschließt uns förmlich, um uns nur einen Augenblick später wieder zu entlassen. Eine Echte Karettschildkröte schwebt gemächlich vorbei, scheint jedoch keinerlei Notiz von uns zu nehmen. Wir lassen uns auf 16 Meter Tiefe durchsacken. Die leichte Unterwasserströmung treibt uns unserem Ziel entgegen. Schon werden gewaltige Konturen sichtbar, einer überdimensionalen Wand gleich. Dieser Koloss aus Stahl ragt vom Meeresgrund in 18 Metern Tiefe bis zur Wasseroberfläche. Schnell erkennen wir Details. Die Reling, Seilwinden, Traversen, Rohre und Luken, die in geheimnisvolle Räume führen. Das alles in erstaunlich gutem Zustand.
INFORMATIONEN
Anreise: KLM bedient die Strecke fünfmal die Woche via Amsterdam. Zubringer ab diversen deutschen Städten. Preis circa 700 Euro hin und zurück, www.klm.de. Alternativ mit Arkefly ab Amsterdam, Preis circa 630 Euro zzgl. Zubringer, www.arkefly.com oder über die USA mit verschiedenen Anbietern.
Übernachtung: Das Riu Palace Aruba am Palm Beach bietet 24-Stunden-All-Inclusive-Service auf 5-Sterne-Niveau. Eine Woche All-Inclusive ab 989 Euro. Am Traumstrand Eagle Beach liegt das Amsterdam Manor Beach Resort, 4 Sterne, eine Woche Ü / F im Standard Studio ab 462 Euro. Beide Angebote bei TUI, www.tui.com.
Tauchen: Da die Antilla in nur 18 Meter Tiefe im Wasser liegt und bis zur Oberfläche ragt, ist es eines der wenigen Wracks weltweit, das sich bestens für Schnorchler eignet. Ideal auch für Tauchanfänger. Wer jedoch in die Innenräume vordringen will, sollte unbedingt Wracktaucherfahrung mitbringen. Tauchgänge werden von jeder Tauchbasis der Insel angeboten.
Auskunft: Kostenloses Infomaterial und Auskünfte erteilt das Aruba Tourismusbüro, 06257-5 07 69 50, www.aruba.de.
Doch mittschiffs nimmt dann die Zerstörung deutlich zu. Überall deformierter und geborstener Stahl, dann gähnende Leere. Die Antilla ist 1953 in einem Hurrikan einmal komplett auseinandergebrochen. Ein fast unwirklicher Anblick. Was müssen hier für gewaltige Kräfte am Werk gewesen sein? Es ranken sich unzählige Gerüchte und Legenden um das Geisterschiff, seinen Untergang, das Auseinanderbrechen, seine angeblich geheime Ladung, Menschen, die dort auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Doch was geschah wirklich?
Am 21. März 1939 läuft die 121 Meter lange E.S. Antilla in Hamburg Finkenwerder vom Stapel und sticht am 15. Juli zu ihrer Jungfernfahrt in See. Nach beschaulichen Stationen in Curaçao, Kolumbien, Panama, Costa Rica, Guatemala, den USA und abermals Kolumbien überschlagen sich dann die Ereignisse.
Am Freitag, den 25. August 1939, erhält Kapitän Ferdinand Schmidt einen Funkspruch mit dem Codewort „Essberger“, der geheimen Aufforderung, einen versiegelten Brief aus dem Schiffstresor zu öffnen. In diesem befiehlt Berlin, sofort die Hauptschifffahrtsroute zu verlassen. Mittels eines weiteren chiffrierten Funkspruchs kommt die Order, die deutsche Herkunft des Schiffes zu verschleiern. Am Montag, den 28. August, geht der Geheimbefehl an alle Handelsschiffe, neutrale Häfen anzulaufen, wenn sie nicht innerhalb von vier Tagen Deutschland erreichen könnten. Am Freitag landet die Antilla in der neutralen holländischen Kolonie Aruba. Die deutschen Frachter Consul Horn, Heidelberg und Troja liegen bereits vor Anker. Ein Schicksalstag. Es ist der 1. September 1939. Im fernen Europa marschiert seit den frühen Morgenstunden die Deutsche Wehrmacht in Polen ein. Der Zweite Weltkrieg hat begonnen. Briten und Franzosen errichten sofort eine Seeblockade in der Karibik, die vier Frachter sitzen in der Falle, wie viele andere deutsche Handelsschiffe auch weltweit. Der M.S. Consul Horn gelingt am 9. Januar 1940 eine abenteuerliche Flucht nach Deutschland, getarnt als ein russischer Frachter namens Molodjets.
Die S.S. Troja und die M.S. Heidelberg haben weniger Glück bei ihren Durchbruchsversuchen ein paar Wochen später. Sie werden von britischen Zerstörern aufgetrieben und versenken sich am 1. beziehungsweise am 2. März selbst.
Da der hochmoderne turboelektrische Antrieb des Schnelldampfers Antilla noch Probleme bereitet, erscheint ein Fluchtversuch aussichtslos. Mit dem Überfall von Hitlerdeutschland auf Holland am 10. Mai 1940 ankert das verbliebene Schiff über Nacht in Feindesland. Kapitän Schmidt lässt an mehreren Stellen Feuer legen, den Maschinenraum verbarrikadieren und fluten. Als die Antilla um 5 Uhr von der holländischen Marine geentert wird, brennt sie bereits lichterloh. Ihr Schicksal ist längst besiegelt. Ein langsames Sterben hat begonnen. Von Stunde zu Stunde bekommt die elegante Dame nun mehr Schlagseite. Es ist 11.30 Uhr, als die Antilla für immer in den Fluten versinkt.
Ein dreiviertel Jahrhundert später tauchen wir an genau dieser Stelle in den Bauch der Geschundenen. Hinein in einen stockfinster werdenden Gang, über verwinkelte Treppen immer tiefer in diese Katakomben aus Stahl. Die seitliche Lage der Havarierten ist irritierend. Unsere Lampen tasten die engen Wände nach möglichen Gefahren ab. Am tückischsten sind die Kabel, die überall kreuz und quer herumhängen. Wir finden unser Ziel, die Schiffkombüse. Dort herrscht absolutes Chaos. Ein großer Herd ist aus seiner Verankerung gerissen, überall veralgte Überreste der Einrichtung. Unter schlammigem Sediment verbergen sich Teller und Töpfe, ja sogar noch ein paar Weinflaschen. Erstaunlich. Offenbar scheinen sich nur wenige Taucher bis tief in den Bauch der Antilla zu wagen. Theresa, unsere arubanische Tauchlehrerin mit holländischem Pass, mahnt uns nun zu größter Umsicht. Das Aufwirbeln von Schlamm könnte katastrophale Folgen für uns haben, da die Sicht mit einem Schlag gegen Null fallen würde. Und wir hatten nicht vor, den Einheimischen neuen Stoff für ihre Legende vom Geisterschiff zu liefern. In einem Regal haust eine beindicke Grüne Muräne. Mit deutlicher Drohgebärde demonstriert sie ihre territorialen Ansprüche. Wir räumen das Feld, unsere Luftvorräte gehen ohnehin langsam zur Neige.
Draußen im Freiwasser werfen wir einen letzten Blick auf die Antilla und nehmen Abschied. Trotz bester Sichtverhältnisse verliert sich ihr Bug im diffusen Blau der Karibischen See. So gewaltig groß ist diese gebrochene, aber immer noch elegante Hanseatin. Ein Grund mehr wiederzukommen.
Das war ihrer Besatzung nicht vergönnt. Die Seeleute landeten als Kriegsgefangene im holländischen Internierungslager Bonaire, welches später das erste Hotel der gleichnamigen Insel werden sollte. Kapitän Ferdinand Schmidt und seine Mannschaft wurden im Juli 1940 nach British Jamaica deportiert. Ihr Martyrium währte sechseinhalb Jahre und nicht jeder sollte es überleben. Erst am 8. Dezember 1946 betraten die Seeleute als freie Männer in Cuxhaven wieder deutschen Boden.
Vor Aruba ließen sie das vielleicht schönste Wrack der gesamten Karibik zurück. Die Antilla, gebaut in Hamburg Finkenwerder.