Wie Rheinland-Pfalz den Coronavirus eindämmen will
Das Coronavirus breitet sich auch in Rheinland-Pfalz weiter aus. Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler und Virologe Dr. Bodo Plachter äußern sich zu der aktuellen Lage.
Von Thomas Ehlke
Reporter Politikredaktion
Neben Personen mit Vorerkrankungen und Menschen mit einem unterdrücktem Immunsystem gelten ältere Menschen als Risikogruppe.
(Foto: dpa)
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MAINZ - Das Coronavirus breitet sich auch in Rheinland-Pfalz weiter aus. Am Donnerstagvormittag hat das Gesundheitsministerium 52 bestätigte Fälle bekanntgegeben. Darin nicht erhalten: Der mit dem Virus bei einem Südtirol-Urlaub infizierte Bürgermeister der Verbandsgemeinde Wörrstadt Markus Conrad (CDU). Bislang wurden 14 Schulen und sieben Kindertagesstätten im Land geschlossen. Allerdings haben Zahlen im Zusammenhang mit der Pandemie nur eine sehr begrenzte Halbwertzeit. So ordnete die Stadt Worms am Donnerstag nach dem positiven Test eines Schülers am Schulzentrum die Schließung aller Schulen an. Landesweit soll das nach Aussage der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) jedoch nicht geschehen.
Wegen der Corona-Krise wird der rheinland-pfälzische Landtag kommende Woche statt an drei Tagen nur für gut zwei Stunden am Mittwoch zusammenkommen. Das will Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) vorschlagen, eine Mehrheit dafür scheint sicher. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) wird in der Sitzung eine Regierungserklärung zu Corona abgeben.
„Wir befinden uns in einem sehr dynamischen Prozess“, sagte Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) am Donnerstag in Mainz. Stündlich gebe es neue Entwicklungen, bestätigte Dr. Bodo Plachter, stellvertretender Direktor des Institutes für Virologie der Universitätsmedizin Mainz. Ziel sei es, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. „Wir haben die Chance, die Kurve abzuflachen und können derzeit die Infektionsrate noch gut kontrollieren; anders als dies in Italien der Fall war, wo sich das Virus vier bis sechs Wochen unkontrolliert ausbreiten konnte“, stellte der Virologe fest. Allerdings werde man hierzulande Ansteckungen und auch Todesfälle nicht vermeiden können. Das liege auch daran, dass die Menschen „immunologisch naiv“ seien, sprich deren Immunsystem auf das SARS-CoV2-Virus noch nicht eingestellt sei.
Drei Risikogruppen von Virus besonders betroffen
Im Fokus der Präventionsbemühugen stehen drei Risikogruppen: Ältere Menschen, Personen mit Vorerkrankungen und Menschen mit einem unterdrücktem Immunsystem. Das Risiko für einen schweren Verlauf der Krankheit steige ab einem Lebensalter von 50 bis 60 Jahren zunehmend an. „Wenn ein 82-Jähriger mit COPD fragt, ob er gegenwärtig zuhause bleiben soll, dann gibt es nur eine Antwort: ja“, verdeutlichte Bätzing-Lichtenthäler. Es gehe nicht darum, besonders gefährdete Personen komplett zu isolieren, wohl aber deren Kontakte zu reduzieren.
Neben den allgemeinen Hygienehinweisen wie häufiges Händewaschen oder in die Ellenbeuge zu husten, empfiehlt das Ministerium den Risiskogruppen, wann immer es möglich ist zuhause zu bleiben, Einkäufe nur zu publikumsschwachen Zeiten zu erledigen, gemeinschaftliche Aktivitäten abzusagen und private Kontakte auf das Notwendigste zu reduzieren. Alten- und Behindertenheimen sollten bei jeder Neuaufnahme den Gesundheitsstatus erheben, um infizierte Personen direkt isolieren zu können. Besuche in Heimen und Krankenhäusern sollten auf ein Minimum beschränkt werden. Menschen, die mit Infizierten Kontakt hatten oder aus Risikogebieten zurückgekehrt sind, sollten Bewohner von Heimen und Patienten in Kliniken gar nicht besuchen. Erkrankten Mitarbeitern oder jenen, bei denen ein Verdacht der Infizierung besteht, wird empfohlen, die Telfonnummer 116117 zu wählen oder sich an einen Hausarzt zu wenden. Bei bestätigten Infektionen legt das zuständige Gesundheitsamt das konkrete Vorgehen fest. Die gute Nachricht: Kinder, Jugendliche und Schwangere zählen nicht zu den gefährdeten Gruppen.
Ministerin Bätzing-Lichtenthäler berichtete von Engpässen bei der Versorgung der Arztpraxen mit Schutzausrüstung. Über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) seien den Hausarztpraxen im Land daher 120.000 Atemschutzmasken zur Verfügung gestellt worden. Zur Entlastung der Arztpraxen wurden Fieberambulanzen im Land eingerichtet. Die KV hat einen hausärztlichen Besuchsdienst organisiert, der vor allem ältere und in der Mobilität eingeschränkte Menschen betreut. Die 24 Gesundheitsämter im Land haben wegen des Coronavirus einen zusätzlichen Personalbedarf von 50 bis 60 Kräften gemeldet. Hier soll eine vom Ministerium aufgestellte Task Force helfen, die Belastungen zu schultern. Dazu will man laut Bätzing-Lichtenthäler Medzinstudenten ab dem fünften Semester einsetzen. Zudem hat das Ministerium Ärzte im Ruhestand angeschrieben. 1.300 Briefe gingen an Mediziner bis zu einem Alter von 75 Jahren. Auch sie sollen die Task Force unterstützen.
„Die Ausbreitung des Virus kann sich über Jahre hinziehen“
Virologe Plachter hält die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch genannte Infektionsrate von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung für realistisch. „Die Ausbreitung des Virus kann sich über Jahre hinziehen“, sagte Plachter. Dann könne auch diese Quote erreicht werden. Für den Augenblick sei es jedoch entscheidend, die Infektionskette zu unterbrechen, um die Ausbreitung zu verlangsamen. Der Mainzer Wissenschaftler und Mediziner rät Menschen, die mit infizierten Personen in Kontakt gekommen sind, sich nicht gleich am ersten Tag testen zu lassen, sondern den Test erst nach fünf bis sechs Tagen zu machen. Erst dann sei nachweisbar, ob man sich mit dem Coronavirus infiziert habe. Die Tests sind aufwändig, wobei nach Aussage des Gesundheitsministeriums derzeit noch genügend Kapazitäten in den staatlichen und privaten Labors vorhanden seien. Die Pharmaindustrie arbeitet derzeit an automatisierten Testverfahren.
Nachdem die französische Partnerregion Grand Est vom Robert-Koch-Institut (RKI) zum Corona-Risikogebiet erklärt wurde, hat die rheinland-pfälzische Landesregierung für die 4.300 Einpendler aus Elsass, Lothringen und der Champagne die „dringende Empfehlung“ ausgesprochen, bis auf weiteres zuhause zu bleiben und nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen. Die meisten Einpendler arbeiten in den Kreisen Südwestpfalz, Südliche Weinstraße und Germersheim sowie in den Städten Zweibrücken, Landau und Pirmasens. Umgekehrt sei die Zahl der Auspendler aus der Pfalz in die französische Risikoregion sehr gering. „Die Kommunen gehen besonnen mir der Situation um“, betonte ADD-Präsident Thomas Linnertz. Lehrer, Erzieher sowie Kinder und Jugendliche, die sich in einem Risikogebiet aufgehalten haben, dürfen ebenfalls bis auf Weiteres nicht in Kindertagesstätten gehen oder eine Schule besuchen. Klassenfahrten in diese Gebiete sind mit sofortiger Wirkung untersagt. „Allerdings sehen wir derzeit keine Veranlassung, Schulen flächendeckend zu schließen“, stellte Linnertz. Darüber entscheiden die Gesundheitsämter mit den Schulträgern vor Ort. Gleiches gilt nach Aussage des Präsidenten des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung, Detlef Placzek, auch für die Kitas.
Praxen rüsten sich für den Ernstfall
Mit Sorge betrachtet der CDU-Landtagsabgeordnete Christoph Gensch aus Zweibrücken die Situation in seiner pfälzischen Heimatregion. Grand Est liege in unmittelbarer Nachbarschaft zur Pfalz. „Es ist am Wahrscheinlichsten, dass das Virus aus dieser Richtung zu uns kommt. Unser Problem sind in Prinzip alle Personen, die in den letzten 14 Tagen in Frankreich waren und jetzt in unsere Praxen kommen“, sagte der niedergelassene Internist im Gesundheitsausschuss des Landtags. Alle diese Personen müssten getestet werden und es sei davon auszugehen, dass ein Großteil auch in der Folge isoliert werden müsste. Gensch machte sich dafür stark, an einem Krankenhaus in Zweibrücken eine Fieberambulanz einzurichten. Das dortige Klinikpersonal sei mit dieser Herausforderung allein überfordert, die Ambulanz könnte deshalb mit örtlichen Hausärzten besetzt werden.
Bürger können sich über eine kostenlose Hotline unter 0800 – 5758100 montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr und samstags und sonntags von 10 bis 15 Uhr informieren.