Oberster Richter rügt rheinland-pfälzische Integrationsministerin Anne Spiegel

In der Dauerkritik der Opposition: Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne). Foto: Harald Kaster Foto:
MAINZ - Der Druck auf Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) wächst. Doch dieses Mal ist es nicht die Opposition im Landtag, die sich fast schon turnusgemäß an der grünen Asylpolitik abarbeitet. Der oberste Richter des Landes persönlich, Lars Brocker, ein SPD-Mann, hat der Ministerin die Leviten gelesen.
Eigentlich hatte Brocker für Montag zu seiner Jahrespressekonferenz als Präsident des Oberverwaltungsgerichts (OVG) eingeladen. Doch die Veranstaltung erwies sich rasch als Abrechnung mit der Politik in Mainz. Brocker kritisierte die zögerliche Haltung der Behörden bei Abschiebungen im allgemeinen und zwei Fälle aus Rheinland-Pfalz im Besonderen. „Ein Ministerium kann alles sagen, nur nicht, eine Maßnahme sei unverhältnismäßig, wenn ein Gericht zuvor die Verhältnismäßigkeit festgestellt hat“, wird Brocker in der „Rheinpfalz“ zitiert. Er spielt damit auf den Fall einer libanesischen Familie in Bitburg an, die in Italien einen anerkannten Flüchtlingsstatus hat und dorthin abgeschoben werden sollte, weil sie nicht selbst für den Lebensunterhalt aufkommen konnte. Während das Verwaltungsgericht die Entscheidung als verhältnismäßig bezeichnete, sah das Ministerium dies anders und ordnete an, die Abschiebung auszusetzen. Argument: Es habe sich nur um einen Fehlbetrag von monatlich 19,33 Euro gehandelt. Die Abschiebung sei „unverhältnismäßig“ gewesen.
Brocker muss sich am Montag regelrecht in Rage geredet haben. „Das Ministerium kann eine politische Entscheidung treffen und zum Beispiel eine Abschiebung zurücknehmen, aber es darf nicht unsere Entscheidung uminterpretieren“, so ein weiteres Zitat Brockers, der auch Präsident des Verfassungsgerichthofs ist.
GRÜNE WEHREN SICH
Grünen-Landtagsfraktionschef Bernhard Braun sagte: „Die CDU-Kritik läuft ins Leere. Die Ministerin hat sich immer an Gesetze gehalten und ihre Fachaufsicht korrekt ausgeführt.“ Selbstverständlich bewege sich Spiegel auf dem Boden der Verfassung. „Das Ministerium hat die Fachaufsicht. Das ist rechtlich explizit so vorgesehen.“ Die CDU betreibe ein durchsichtiges Manöver.
Brocker: Hier wurden Grenzen überschritten
Auch im Fall einer Armenierin aus Bad Kreuznach – diese Zeitung hatte den Fall im vergangenen Jahr publik gemacht – kritisierte Brocker die Ministerin. Die Armenierin, die eine kleine Tochter hat, war abgeschoben worden, obwohl sie eine Lehrstelle hatte. Das OVG hatte die Abschiebung als rechtmäßig eingestuft – die Frau hatte die zuständige Ausländerbehörde nicht über den Wechsel der Ausbildungsstelle informiert, was sie aber muss. Integrationsministerin Spiegel hatte dennoch dafür plädiert, die 30-monatige Wiedereinreisesperre zu verkürzen, konnte den Landkreis Bad Kreuznach aber nicht mit ihrer „Rechtsmeinung“ überzeugen. Brocker wird von der Nachrichtenagentur dpa zitiert mit den Worten: „Das ist eine politische Entscheidung, die geeignet ist, andere Institutionen zu beschädigen, in diesem Fall auch die Autorität des Gerichts.“ Wie Brocker weiter sagte, würden Grenzen in der Gewaltenteilung überschritten.
Starker Tobak, findet die Opposition im Landtag. Die CDU forderte einen „grundsätzlichen Kurswechsel in der Integrations- und Asylpolitik“, wie Fraktionsvize Adolf Weiland in einer Pressekonferenz sagte. Er bezeichnete die Schelte des obersten Richters als „einmaligen Vorgang, der beispiellos ist in der Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz“. Fraktionskollege Christian Baldauf sagte: „Wir können das Frau Spiegel nicht mehr durchgehen lassen“. Er forderte die Ministerin indirekt zum Rücktritt auf. „Sie muss sich selbst fragen, ob sie nicht persönliche Konsequenzen zieht.“
Zweiter Fall eines geflohenen Abzuschiebenden
Spiegel steht aber nicht nur wegen der klaren Worte von Brocker erneut in der Kritik. So hatte der SWR am Montag von einem zweiten Fall berichtet, in dem ein ausreisepflichtiger Asylbewerber aus der Rheinhessen-Fachklinik in Alzey geflüchtet war. Das war im September 2017 gewesen. Obwohl im Oktober die Flucht eines marokkanischen Abschiebehäftlings aus derselben Klinik hochkochte, wurde der ältere Fall nicht veröffentlicht.
Wie eine parlamentarische Anfrage der AfD-Landtagsfraktion ergab, wurden überdies in den Jahren 2016 und 2017 in acht Fällen Asylsuchende nach einem Aufenthalt in der Rheinhessen-Fachklinik oder einer anderen psychiatrischen Einrichtung nicht mehr von der zuständigen örtlichen Ausländerbehörde registriert. AfD-Chef Uwe Junge forderte den Rücktritt Spiegels.