Helmut Kohl und die jungen Wilden in Rheinland-Pfalz - Mainzer Jahre als Ministerpräsident mit Geißler, Weizsäcker und Herzog
Der Aufstieg des jungen Helmut Kohl in Rheinland-Pfalz zeigt Wesenszüge, die typisch sind für den späteren Staatsmann. Hier erlernt er die Mechanismen der Macht, perfektioniert die Tugenden, die ihn später befähigen, zum Kanzler der Einheit zu werden.
Von Reinhard Breidenbach
Leitung Politikredaktion, Chefreporter
Als Hoffnungsträger: 1969 wird Helmut Kohl (r) Nachfolger Peter Altmeiers (li) rheinlandpfälzischer Ministerpräsident. Archivfoto: dpa
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MAINZ - Der Aufstieg des jungen Helmut Kohl in Rheinland-Pfalz zeigt Wesenszüge, die typisch sind für den späteren Staatsmann. Hier erlernt er die Mechanismen der Macht, perfektioniert die Tugenden, die ihn später befähigen, zum Kanzler der Einheit zu werden.
Kohl in Rheinland-Pfalz, das ist auch die Geschichte eines Generationenkonflikts. Er und die Seinen, das sind junge Wilde in jener Zeit. Als der Ludwigshafener 1963 zum Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Landtag avanciert, ist dies für den Ministerpräsidenten Peter Altmeier eine Niederlage. „Erneuerung“, „modernes Management“ – diese Attribute stehen für die Ära Kohl in Rheinland-Pfalz.
Als Altmeier nach der Landtagswahl 1967 erklärt, er wolle eine weitere volle Legislaturperiode Regierungschef bleiben, übt Kohl Druck aus und zieht 1969 in die Staatskanzlei ein. Ironie der Geschichte: Mehr als zwei Jahrzehnte später wird es zu einem Hauptwesenszug des Bundeskanzlers Kohl, sich schwer zu tun mit dem Gedanken an Nachfolger. Die Regierungszeit des Ministerpräsidenten Kohl ist durch Aufbruchsstimmung geprägt. Vor allem in der Bildungspolitik erwirbt sich das Land bundesweit Anerkennung. In Kohls Amtszeit fallen die Gründung der Universitäten Trier und Kaiserslautern. Ein weiterer Markstein ist die kommunale Gebietsreform – ein Thema, dessen Kompliziertheit gerade in der allerjüngsten Zeit deutlich zutage getreten ist.
"Wilde verbale Schlachten"
- Bezeichnend für die Aktivitäten Kohls in den 60er Jahren ist die Art und Weise, wie er in Rheinland-Pfalz das Projekt „Verwaltungsreformen“ anging. Die Beschreibung, die er dazu in seiner Autobiografie „Erinnerungen“ liefert, könnte manchen daran erinnern, wie in der Gegenwart solche Prozesse ablaufen: nicht ganz unähnlich.
. Kohl schreibt: „Es gab Beschimpfungen bei der Anhörung der Parteibasis und in Bürgerversammlungen. Die Notwendigkeit zur Veränderung wurde prinzipiell von vielen eingesehen, aber wenn es dann an die praktische Arbeit ging, war viel Feigheit zu beobachten.“
- Weiter: „Zu meiner Verwunderung bekam ich nicht nur kräftigen Gegenwind von der Opposition, sondern auch in den eigenen Reihen, von offener Verweigerung bis zu Illoyalität.“
- „Ich bin in dieser Zeit wie ein Wanderprediger durchs Land gezogen und habe mich vielen Diskussionen gestellt, die oft zu wilden verbalen Schlachten ausarteten. Die Emotionen schossen hoch und führten mancherorts zu Verwerfungen unter den Parteifreunden, die nie mehr rückgängig gemacht werden konnten.“
Während seiner Mainzer Amtszeit, wir schreiben das Jahr 1971, kandidiert Kohl erstmals zum CDU-Bundesvorsitzenden. Allerdings unterliegt er gegen Rainer Barzel, der jedoch ein Jahr später nach einem misslungenen konstruktiven Misstrauensvotum gegen den Kanzler Willy Brandt eine Niederlage erleidet, von der er sich nicht mehr erholt. 1973 kandidiert Kohl erneut für den Chefsessel der Bundes-CDU, und diesmal ist ihm der Sieg nicht zu nehmen.
Bernhard Vogel und Heiner Geißler
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident holt junge dynamische Kräfte in sein Landeskabinett, so den Kultusminister Bernhard Vogel, 1976 sein Nachfolger im Ministerpräsidentenamt, und Heiner Geißler als Sozialminister. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass Kohl schon damals, wie bisweilen auch später, mit seinen personellen Vorstellungen scheitert. So war Bernhard Vogel keineswegs Kohls Wunschkandidat in den rheinland-pfälzischen Spitzenämtern. Das spätere Zerwürfnis zwischen dem Kanzler Kohl und seinem Generalsekretär Heiner Geißler, der misslungene Putschversuch gegen Kohl auf dem Bremer Parteitag 1989 und die Entmachtung Geißlers sind markante Stationen in der Geschichte der Union.
Auch zwei spätere Bundespräsidenten, Roman Herzog und Richard von Weizsäcker, beginnen ihre politische Karriere in Rheinland-Pfalz.
Weizsäcker zieht 1969 über die Landesliste in den Bundestag ein, kandidiert zweimal im Wahlkreis Worms. Auch hier ist eine für Kohl typische Ambivalenz zu erkennen. Er fördert Weizsäcker; in späteren Jahren wird es Kohl jedoch, gelinde gesagt, ein Dorn im Auge sein, dass Weizsäcker als Intellektuellem und „Menschenfischer“ die Herzen zufliegen. Als Weizsäcker 1984 als Bundespräsident kandidieren will und nach dem Willen vieler in der CDU auch soll, gibt sich Kohl bockig. Weizsäcker setzt sich durch, und seine Amtszeit bis 1994 gilt als eine der ruhmreichsten in der Geschichte aller Bundespräsidenten.
Roman Herzog wird 1973 Bevollmächtigter des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund. Sein weiterer Karriereweg: Minister in Baden-Württemberg und Präsident des Bundesverfassungsgerichts.
Kohls Kandidat für die Bundespräsidentenwahl 1994 ist zunächst der sächsische Justizminister Steffen Heitmann, der sich jedoch mit ungeschickten und ultrakonservativen Äußerungen selbst aus dem Rennen nimmt. Roman Herzog springt in die Bresche und wird im dritten Wahlgang gegen Johannes Rau und Hildegard Hamm-Brücher zum Bundespräsidenten gewählt.
Helmut Kohl selbst hat in seiner Autobiografie ein sehr zufriedenes Fazit seiner Mainzer Jahre gezogen. Sein politisches Engagement habe nicht zuletzt intensiv darauf abgezielt, Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Kohl hebt zudem „die Einrichtung von Kindergärten“ hervor, und insbesondere „das erste Kindergartengesetz in der Bundesrepublik Deutschland von 1970.“
Mit Strauß im Nacken zu einem großen Sieg
„Die Entscheidungsschlacht“ – so nennt Kohl das Jahr 1976. Es sind Bundestagswahlen, Wahlbeteiligung: 90,7 Prozent – ein unfassbarer Wert im Vergleich zu heute. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kohl ist Spitzenkandidat der Union, hat Franz Josef Strauß im Nacken, erringt mit 48,6 Prozent einen großen Sieg, kann aber nicht Bundeskanzler werden, weil die SPD mit Helmut Schmidt und die FDP mit Hans-Dietrich Genscher noch einmal eine Regierungskoalition bilden können.
Kohl hatte sich entschlossen, den komfortablen Sessel des Mainzer Regierungschefs aufzugeben und als Oppositionsführer nach Bonn zu gehen. Am 19. November 1976 erreicht ihn in Mainz die Nachricht, dass die CSU die Fraktionsgemeinschaft aufkündigen will. Strauß hält wüste Reden, in denen er Kohl für „unfähig“ erklärt. Aber der Trennungsbeschluss wird schließlich zurückgenommen.
Im Herbst 1982 kommt es zum Bruch zwischen SPD und FDP, nach einem wirtschafts- und steuerpolitischen Papier von Otto Graf Lambsdorff. Mit einem konstruktiven Misstrauensvotum gegen Schmidt wird Helmut Kohl Bundeskanzler, stellt dann selbst eine „unechte“ Vertrauensfrage im Bundestag, um vorgezogene Neuwahlen im März 1983 zu erreichen. Bei denen bekommt er ein klares Wählervotum für eine Regierung aus Union und FDP. Der Rheinland-Pfälzer Kohl, der Mann aus der Pfalz, der „Oggersheimer“, wie ihn politische Gegner nennen, hat seinen politischen Traum verwirklicht.