Hass, Pöbeleien und Übergriffe: Seit dem Kandel-Mord nehmen Drohungen gegen Politiker zu
Nach dem Mord von Kandel ist laut dem rheinland-pfälzischen Ministerium die Gefährdungslage für Politiker eine andere geworden. Die Zahl der Hassmails und übers Internet ausgesprochenen, massiven Drohungen habe zugenommen. Auch Integrationsministerin Anne Spiegel lässt sich mittlerweile von Personenschützern begleiten.
Von Mario Thurnes
Anne Spiegel. Archivfoto: Harald Kaster
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RHEINLAND-PFALZ - Zwischen Eisbergsalat und Gurken eine Beleidigung. Zwischen Frühstücksflocken und Filterkaffee eine Todesdrohung. Für die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) war das Szenario traurige Realität geworden. Die Übergriffe hat die Mutter von drei Kindern ernst genommen, musste sie ernst nehmen: Nun wird sie von Personenschützern begleitet, das Ministerium und ihre privaten Räumlichkeiten werden besonders geschützt.
Das Ministerium ist auf Nachfrage bereit, über die Vorfälle zu sprechen. Mit Details halten sie sich zurück. Die Vermutung liegt nah, dass sie den Anschein vermeiden wollen, Spiegel versuche sich in einer Opferrolle zu inszenieren. Aber die Beobachter wissen: Die Angriffe gehen weiter, als das, was das Ministerium schildert. Die Angriffe waren auch körperlich – auch Angespuckt werden gehörte schon dazu.
"Abgrundtiefer Hass"
„Es ist schockierend mit welchem abgrundtiefen Hass anonyme Briefe und Drohungen verfasst werden“, sagt Spiegel. Dass sie nun unter anderem Personenschutz benötige sei eine negative Entwicklung im Umgang mit Personen, die in der Öffentlichkeit stehen: „Dies ist meines Erachtens auch der von einigen bewusst herbeigeführten Verrohung der politischen Debatte geschuldet.“
Nach dem Mord von Kandel sei die Gefährdungslage eine andere geworden. Die Zahl der Hassmails und übers Internet ausgesprochenen, massiven Drohungen habe zugenommen. Das schildern auch Mitarbeiter aus den Fraktionen des rheinland-pfälzischen Landtags. Häufig würden Drohungen mit der Flüchtlingsfrage verknüpft. Im Stile von: Wenn Ihr nicht endlich härter durchgreift, dann...
Wobei es, wenn es um die Ursachen geht, eine Frontstellung gibt: SPD, CDU, FDP und Grüne auf der einen Seite – die AfD auf der anderen. In einem Tweet des AfD-Fraktionsvorsitzenden Uwe Junge sieht der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Weber, den Grund, warum sich die Atmosphäre aufgeheizt habe. Junge hatte nach Kandel geschrieben, die „Anhänger der Willkommenskultur zur Rechenschaft“ ziehen zu wollen. Das habe, sagt Weber, die AfD-Anhänger ermutigt, härtere Drohungen gegen die Vertreter der anderen Parteien auszusprechen.
Auch Übergriffe gegen AfD-Politiker
Junge seinerseits hält dagegen: SPD-Politiker hätten mit Bemerkungen wie, man müsse die AfD ächten, ebenfalls ein Klima geschaffen, in dem sich Gewaltbereite ermutigt sähen, gegen AfD-Politiker vorzugehen: Junge selber wurde in Mainz angegriffen und geschlagen, das Auto seiner Frau abgebrannt. Der Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier sei auf dem Weg zum Parteitag in Hannover attackiert worden. Von Landtags-Abgeordneten seien private Häuser sowie Wahlkreisbüros beschmiert worden.
Auch die SPD-Fraktion berichtet von Übergriffen: So wurde das Auto der Landtags-Abgeordneten Nina Klinkel in Brand gesteckt. Im Wahlkreisbüro der Abgeordneten Anna Köbberling wurde die Scheibe eingeschlagen. Die SPD-Abgeordnete Giorgina Kazungu-Haß erlebt insbesondere im Netz Pöbeleien und Drohungen: „Wenn Nutzerinnen und Nutzer auf meiner Facebook-Seite ausfällig werden, sperre ich konsequent.“ Drohungen verfolge sie mit Anzeigen. „Beängstigend ist, wenn ich von Menschen auf offener Straße attackiert werde“, berichtet sie. Am Rande einer AfD-Demonstration sei ihr offen Prügel angedroht worden. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Alexander Schweitzer berichtet von Gewaltandrohungen.
Erhöhte Aufmerksamkeit durch die Polizei wird in der rheinland-pfälzischen Politik üblicher: Schweitzer berichtet, im ständigen Kontakt mit Polizei und Landeskriminalamt zu stehen. Junge erzählt, er habe sich zuhause regelrecht einmauern müssen. Zudem fahre die Polizei in dichtem Takt Streife. Und Spiegel – zum vierten Mal schwanger – hatte sich eigentlich schon an Hass gewöhnt. Aber nach Kandel sei die Lage schlimmer geworden.