Nach der US-Wahl: „ Sehr viel unberechenbarere Lage“

David Sirakov, geboren 1975, ist seit 2015 Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz. Archivfoto: Atl. Akademie
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Experte David Sirakov über die Situation in Amerika, die Folgen für den Rest der Welt – und warum Donald Trump mehr Stimmen geholt hat als erwartet

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KAISERSLAUTERN. Vor vier Jahren herrschte nach der Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten noch eine gewisse Schockstarre in Deutschland. Nun durfte man zumindest nicht überrascht sein, dass es ein enges Rennen wird bei der Wahl. Ein Gespräch über die Gründe – und wie es nun weitergehen könnte.

David Sirakov, geboren 1975, ist seit 2015 Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz. Archivfoto: Atl. Akademie

Herr Dr. Sirakov, Amerika hat gewählt. Nur wen, das ist die Frage. Was erwarten Sie in den nächsten Tagen?

Zunächst einmal weitere Auszählungen. Dann gibt es hoffentlich ein relativ eindeutiges Ergebnis, sodass es wenige Möglichkeiten gibt, dies vor Gericht anzufechten.

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Am Ende geht es aber vielleicht doch bis vor den Obersten Gerichtshof. Dort haben die Republikaner eine Mehrheit. Geschickt eingefädelt von Trump.

Nicht eingefädelt, er ist gewissermaßen vom Schicksal beschenkt worden. In seiner Amtszeit konnte er zwei neue Richter und eine neue Richterin ins Amt bringen, aufgrund des Todes von früheren Amtsinhabern. Die Frage wird sein, ob am Ende das Kalkül aufgeht: Dass die konservativen Richter, die mit sechs zu drei Stimmen führen, tatsächlich die Loyalität zum Präsidenten als Grundlage ihrer Entscheidung sehen. Oder doch aufgrund der Verfassung entscheiden. Da traue ich mir keine Prognose zu.

Schon jetzt ist klar: Trump hat besser abgeschnitten als erwartet. Warum?

Sehr schwierig zu sagen. Wir müssen sicherlich berücksichtigen, dass die Wahlen unter den extremen Bedingungen der Corona-Pandemie stattgefunden haben, mit einer deutlich höheren Zahl von Briefwählern. Das hat extreme Verzögerungen zur Folge, sodass es früh den Anschein haben konnte, dass Trump auf der Siegesstraße ist.

In den Umfragen lag Biden weit vorne. Ist die Demoskopie in den USA am Ende?

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Ich halte dieses Urteil für verfrüht. Wir müssen wirklich abwarten, bis alle Stimmen ausgezählt sind und wir ein Endergebnis haben. Es ist offensichtlich extrem schwierig für Demoskopen, die Trump-Wählerschaft in bestimmten Staaten richtig abzubilden. Landesweit stimmten die Prognosen bereits 2016 ja schon. Aber klar, man kann da skeptisch sein, deshalb war ich auch sehr zurückhaltend mit einer Prognose.

Warum wählen viele Amerikaner Trump überhaupt noch?

Sicherlich ist die Wirtschaft ein Grund. Wenn es Corona nicht gegeben hätte, würden wir heute wohl nur über die Höhe des Trump-Sieges reden. Erst mit der Pandemie kamen der Absturz und die immense Arbeitslosigkeit. Seine Wähler setzen jetzt auf das Prinzip Hoffnung.

Ein Präsident, der sich zum Sieger ausruft, während die Auszählung noch läuft – ist das besonders skrupellos oder besonders clever?

Es war erwartbar. Ich bin nicht überrascht, weil es strategisch die einzige Chance ist, das Wahlergebnis anzufechten. Das hat Trump ja über Wochen vorbereitet. Viele seiner Wähler sehen das Thema Corona als nicht so zentral für die Wahlentscheidung an, deshalb gehen sie persönlich hin. Die Demokraten hingegen haben überwiegend Briefwahl gemacht. Und in vielen Staaten werden diese Stimmen zuletzt gezählt. Das nutzt Trump, um jetzt die Rechtmäßigkeit anzuzweifeln.

Eine Hängepartie ist absehbar. Was heißt das für den Rest der Welt?

Anhand dieses Nicht-Ergebnisses sehen wir sehr schön, dass wir uns auf eine sehr viel unberechenbarere Lage einstellen müssen. Das hat man ja schon beim Wechsel von Obama zu Trump gesehen. In manchen Bereichen müssen wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Dabei darf man nicht zu sehr darauf schauen, wie die nächste Wahl ausgeht, und mit welchem US-Präsidenten man zusammenarbeiten muss.

In den vergangenen Tagen wurde die Wahl oft mit der von 1860 verglichen, danach kam es zum Bürgerkrieg. Das erscheint einerseits übertrieben – andererseits?

Ich glaube, das ist übertrieben. Die ökonomischen und viele andere Aspekte sind überhaupt nicht vergleichbar. Beim Bürgerkrieg ging es zuvorderst um die Sklaverei. Natürlich gibt es jetzt die Gefahr von Zwischenfällen und Unruhen. Die Polarisierung ist extrem hoch, es gibt tiefe Gräben in den USA. Wir sollten das aber nicht mit einem Bürgerkrieg vergleichen.

Was gibt Ihnen Hoffnung, dass sich die tiefe Spaltung in den USA auflöst?

Da kann ich leider mit wenig Zuversicht dienen. Egal, wer diese Wahl verliert, wird das Gefühl haben, dass er betrogen wurde. Das wird die Polarisierung im Zweifel sogar noch anheizen. Ich sehe kaum realistische Auswege aus dieser Situation.

Das Interview führte Christian Matz.