Zu viel Multikulti? Eine Spurensuche in der AfD-"Hochburg"...

Fast ein Viertel des Germersheimer wählten die AfD. Foto: Salecker/Jung

22,1 Prozent der Wähler haben in Germersheim bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag für die AfD gestimmt, mehr als sonst wo in Rheinland-Pfalz. In der Kernstadt, den...

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GERMERSHEIM. Ein kleiner, viereckiger Bau aus weißem Backstein. Lautenmusik. „Freude schöner Götterfunken“. Eine syrische Band gibt ihr Können zum Besten. Syrischer Abend im Haus Interkultur in Germersheim. Etwa 60 Leute – darunter die Hälfte Syrer und Syrerinnen – stimmen mit ein, klatschen, singen, erfreuen sich der Musik, Gebäck und frisch zubereiteter Falafel-Teigtaschen.

Germersheim. 22,1 Prozent der Wähler haben hier bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag für die AfD gestimmt, mehr als sonst wo in Rheinland-Pfalz. In der Kernstadt, den Stadtteil Sondernheim ausgenommen, wählten gar 27 Prozent die AfD.

22.000 Einwohnern wohnen in der Stadt am Südzipfel der Pfalz an der Grenze zu Baden-Württemberg. Drumherum: Land, viele Äcker. Germersheim selbst ist Pluralismus in Reinform. Stadt der Vielfalt, Stadt der Sprachen, sind Slogans, mit denen Germersheim selbst wirbt. Die Stadt am Rhein ist in vielerlei Hinsicht bunt. Das Stadtbild: geprägt von sehr viel Grün, zahlreiche, zum Teil alte knochige, Bäume. In der zierlichen Innenstadt stehen kleine Häuser dicht an dicht. Hie und da blitzen Fensterläden à la Pipi Langstrumpf aus den Gassen hervor.

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Den Rhein stromabwärts liegt die Insel Grün, eine Landfläche im Rhein. Hier arbeiten 2900 Menschen im weltweit größten Ersatzteillager von Daimler. Wirtschaftlich geht es Germersheim insgesamt recht gut.

Hoher Migrantenanteil, viele Studenten

Der Migrantenanteil liegt bei etwa 22 Prozent. Menschen aus über 100 Nationen leben hier aktuell. So viele wie kaum irgendwo sonst auf so kleiner Fläche. Über 2000 Studenten belegen an der Hochschule, einer Abteilung der Uni Mainz, sprach- und kulturwissenschaftliche Studiengänge. Die Dolmetscherausbildung besitzt großes Renommee.

Einigen Germersheimern wird es aber offenbar zu bunt. Ausländer. Wie aus der Pistole geschossen, kommt die Antwort, wenn man in der Stadt nach den Gründen für das gute AfD-Ergebnis fragt. „Fahren Sie mal samstags vor den Real-Markt hier. Da sind von zehn Leuten, die zur Tür rauskommen, acht Ausländer“, sagt ein älterer Herr, selbst CDU-Wähler. „Mit den Asylanten sind es hier noch mehr geworden“, berichtet ein Deutschpole, Ende 20, CDU-Wähler. Gab es Probleme? „Ich kenne niemanden, der welche hatte.“

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Germersheim West, auf dem Parkplatz eines Supermarktes. Ringsherum mehrgeschossige Mietshäuser, einige sind Plattenbauten. Viele grau oder beige verputzt. Einige mit grünem, blauem oder orangenem Anstrich. Schöner macht das die Wohnbauten nicht. Marius (Namen der AfD-Wähler geändert) kommt vom schlesischen Wurststand. Der 27-jährige Fachlagerist hat die AfD gewählt. Die Alt-Parteien nennt er „unerträglich“. Oft seien die Migranten-Gruppen unter sich, sprächen dann kein Deutsch. „Ich weiß nicht, ob es Türken oder Leute aus Syrien sind, das sieht man ja nicht.“ Er selbst verdiene lediglich 1100 Euro netto pro Monat. „Wer soll die ganze Zuwanderung bezahlen?“ Walter sieht es ähnlich: „Ich bin Ur-Germersheimer. Mit den Asylanten werden es hier jetzt zu viele Ausländer.“ Der ehemalige Hausmeister sagt: „Ich bekomme kaum Rente und die bekommen alles bezahlt.“ Ob die Situation unter der AfD besser wird? „Natürlich nicht, aber man muss den anderen zeigen, dass es so nicht geht.“

Die Deutschrussin Tatjana nennt einen anderen Grund: „Ich hoffe, dass Deutschland wieder näher an Russland kommt.“ Neben Deutschtürken sind Deutschrussen die zweite große Minderheit, die in Germersheim wohnt. Die 41-jährige Bürokauffrau hatte bislang die SPD gewählt. „Aber auch mit der gab es mehr Sanktionen gegen Russland.“ Mit Ausländern in der Stadt habe sie dagegen kein Problem.

Ein-Thema-Wahlkampf im Landkreis

Wie in ganz Deutschland setzte die AfD auch im Landkreis Germersheim zum Großteil nur auf ein Thema: Flüchtlings- und Integrationspolitik. Überdurchschnittlich viele ausländische Kinder in Kindergärten und Schulen. Kopftücher bei Kindern. Angst, abends durch Teile der Stadt zu gehen. Der AfD-Kreisvorsitzende Matthias Joa malt die Szenarien zwar nicht so hetzerisch, wie es andere in seiner Partei tun. Dennoch malt er sie. Größere Konflikte gab es bislang zwar in der Stadt keine. Und auch Joa sagt: „Man braucht hier keine Angst zu haben, ein Messer zwischen die Rippen zu bekommen, das wäre übertrieben.“ Die Sorge, man könnte künftig Schaden nehmen, forciert die AfD aber auch hier. Vor allem der Islam kommt beim Landtagsabgeordneten nicht gut weg. „Die Leute haben Angst, dass Germersheim kippt“, erklärt Joa das Ergebnis aus seiner Sicht.

Dass die meisten AfD-Wähler die Vielfalt ablehnen, hält hingegen der Germersheimer Bürgermeister Marcus Schaile (CDU) nicht für den Hauptgrund des Wahlergebnisses. Protesthaltung und Uninformiertheit seien vielmehr ausschlaggebend gewesen. „Wir werden uns jetzt im Stadtrat zusammensetzen und danach auf die Leute zugehen.“ Auch der Interkultur-Verein will sich hinterfragen: „Wir haben jahrelang das freiheitliche Leben und auch das Interkulturelle genossen, haben aber vergessen, dass es gleichzeitig Leute gibt, die da nicht teilhatten“, meint der Vorsitzende Klaus Jung.

Von Nils Salecker