Mertin: „Lockerungen verfassungsrechtlich zwingend geboten“

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Lockerungen seien laut dem rheinland-pfälzischen Justizminister Herbert Mertin (FDP)„verfassungsrechtlich zwingend geboten.“ Archivfoto: dpa
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Nachdem in Rheinland-Pfalz der Inzidenzwert seit Tagen unter 50 liegt, mahnt Justizminister Mertin baldige Lockerungen an. Und erhält Zuspruch von einem Verfassungsrechtler.

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MAINZ. Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) mahnt die baldige Rücknahme der derzeitigen Grundrechtseingriffe durch die Corona-Bekämpfungsverordnung des Landes an. Mertin begründet seinen Vorstoß damit, dass die landesweite Inzidenz der nachgewiesenen Corona-Neuinfektionen in Rheinland-Pfalz seit mehreren Tagen in Folge unter dem Wert von 50 liege. Daher seien Lockerungen „verfassungsrechtlich zwingend geboten“.

Schwellenwert stehe nicht im Belieben der Bundesregierung

„Das Infektionsschutzgesetz des Bundes ist im vergangenen Jahr eigens angepasst worden und sieht inzwischen ausdrücklich eine Inzidenz von 50 vor, damit ‚umfassende Schutzmaßnahmen‘ zur Eindämmung der Pandemie ergriffen werden dürfen“, sagt der Minister. Bei einer Inzidenz zwischen 35 und 50 erlaube das Gesetz dagegen nur noch „breit angelegte Schutzmaßnahmen“, unterhalb der Inzidenz von 35 sogar nur noch „unterstützende Schutzmaßnahmen“.

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Es sei daher verfassungsrechtlich zwingend, dass bereits bei einem stabilen Unterschreiten der Schwelle von 50 substanzielle Öffnungsschritte eingeleitet werden müssen. „Dieser Schwellenwert steht auch nicht im Belieben der Bundesregierung und der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten“, betont Mertin. Wenn aufgrund der Mutationen des Virus und einer damit verbundenen erhöhten Gefährlichkeit die Inzidenzwerte angepasst werden müssten, dann müsse hierzu das Infektionsschutzgesetz des Bundes erneut geändert werden. „Der Bundestag hat im vergangenen Jahr mehrfach demonstriert, dass das notfalls auch in wenigen Tagen möglich ist“, verdeutlicht der FDP-Politiker.

Verfassungsrechtler sieht Handlungsbedarf

Die Politik erwarte von den Bürgern, dass diese die gesetzlichen Bestimmungen einhalten – und setze dies auch notfalls mit hohen Bußgeldern durch. Dann dürften die Bürger umgekehrt aber auch erwarten, dass die gesetzlichen Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes von der Politik eingehalten würden, stellt der rheinland-pfälzische Justizminister fest.

Für den Mainzer Verfassungsrechtler Friedhelm Hufen besteht Handlungsbedarf. „Herr Minister Mertin hat recht“, sagt der Professor für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität. Der harte Lockdown sei in Rheinland-Pfalz angesichts der gegenwärtigen Inzidenzzahlen gesetzlich nicht mehr gedeckt. Wenn nun Mutationen als Begründung ins Feld geführt würden, könnten die bestehenden Einschränkungen allenfalls vorübergehend fortbestehen zur Bekämpfung einer unmittelbaren Not. „Aber dann müsste der Gesetzgeber den Paragrafen 28a des Bundesinfektionsschutzgesetzes eben ändern“, bekräftigt Hufen Mertins Standpunkt.

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Führt der Weg über die Ministerpräsidentenkonferenz?

Um sich bundesweit nicht zu isolieren, sollten die Rheinland-Pfälzer aber abgestimmt vorgehen. Die Entscheidung über mögliche Lockerungen sei Ländersache, da die auch die Corona-Bekämpfungsverordnungen erließen. Deshalb sei es am vernünftigsten, das Thema in die Ministerpräsidentenkonferenz einzubringen und dort auf Erleichterungen zu drängen, die weit über das Öffnen der Friseurläden hinausgingen.

Schon im Gesetz sind die härtesten Beschränkungen der Grundrechte Eingriffe in die Versammlungsfreiheit, Ausgangsbeschränkungen und Besuchsverbote. „Bei diesen drei Punkten muss sich in Rheinland-Pfalz zuerst etwas tun“, sagt Hufen. Auf der Liste der fragwürdigen Einschränkungen sieht das ehemalige Mitglied des rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshofs Sport im Freien, Kulturveranstaltungen, Gastronomie und Einzelhandel. Hier seien Lockerungen bei einer Inzidenz von unter 50 durchaus möglich und gegebenenfalls auch erforderlich.

Der Staatsrechtler lenkt bei der stufenweisen Abkehr von Einschränkungen seinen Blick auch auf den Fortschritt der Impfkampagne. „Je höher der Impfgrad, desto höher die Freiheit“, bringt der Staatsrechtler die Handlungsmaxime auf den Punkt. Es werde in absehbarer Zeit dazu kommen, dass Geimpfte sich mit anderen Geimpften treffen dürften. „Wenn ein Kinobetreiber sein Kino für geimpfte Senioren öffnet, dann kann man ihm das nicht verwehren“, nennt Friedhelm Hufen ein konkretes Beispiel.

Von Thomas Ehlke