Welche Lockerungen die Politik will – und wovor Ärzte warnen

aus Coronavirus-Pandemie

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Die 2G-Regelungen könnten bald der Vergangenheit angehören. Foto: dpa/Frank Rumpenhorst
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Bund und Länder werden am Mittwoch einen Öffnungsplan entwerfen, so viel ist sicher. Die Frage ist nur, mit wie viel Corona-Vorsicht sie das tun. Und was passiert an den Schulen?

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BERLIN. Wenige Tage vor der nächsten Bund-Länder-Beratung zur Corona-Pandemie plädieren Politiker parteiübergreifend dafür, Öffnungsschritte zu definieren. Wirtschaftsminister Robert Habeck legte ein Stufenkonzept vor, betonte aber die Notwendigkeit, im Notfall auch weiterhin neue Einschränkungen beschließen zu können. Denn nach dem Willen des Koalitionspartners FDP soll die bis 19. März befristete gesetzliche Grundlage für die Schutzmaßnahmen danach komplett entfallen. Medizinische Experten hingegen halten es zwar für vertretbar, bei den Beratungen am Mittwoch einen Öffnungsplan zu entwickeln, mahnen angesichts der Infektionslage aber zur Vorsicht.

Wie ist die Lage? Die Zahl der Corona-Neuinfektionen lag nach Mitteilung des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Samstag bei knapp 210.000 - und damit niedriger als in der Vorwoche (217.815). Das deutet darauf hin, dass sich die Kurve einem Plateau nähert. Allerdings ist das Melde- und Testsystem überlastet, manche Menschen lassen ihren positiven Schnelltest nicht mehr per PCR bestätigen, so dass die tatsächliche Zahl höher liegen dürfte. Zudem nehmen die Krankenhaus-Einweisungen und die Todesfälle weiter zu.

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Was will Habeck? Habeck wies im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur darauf hin, dass Experten den Scheitelpunkt der Infektionswelle Mitte Februar erwarteten. "Daher ist die nächste Ministerpräsidentenkonferenz am 16.2. der richtige Zeitpunkt, um sich eng über erste Öffnungsschritte abzustimmen." Wichtig sei ein einheitliches Vorgehen. Lockerungen sollten nach den Vorstellungen seines Hauses stufenweise und regional differenziert erfolgen - und ausgerichtet an Schwellenwerten, die eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems anzeigen und vom RKI und dem Expertenrat der Regierung noch festgelegt werden sollen.

Zuerst sollten jene Maßnahmen gelockert werden, die mit hohen wirtschaftlichen Kosten verbunden seien, hieß es aus Habecks Ministerium. So könne an die Stelle von 2G und 2G plus eine Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken in Innenräumen treten. Auch Besucherzahlen bei Freiluftveranstaltungen könnten in einer ersten Stufe angehoben werden. In Innenräumen wie Clubs, wo viele ohne Abstand und Masken zusammenkämen, blieben Test- und Impfnachweise nötig. In einem zweiten Schritt sollte aus Sicht des Ministeriums über die Homeoffice-Pflicht, die Testpflicht für Arbeitgeber und 3G-Pflichten am Arbeitsplatz gesprochen werden. Bei engen Kontakten könne hier eine FFP2-Maskenpflicht erhalten bleiben.

Was will die SPD? Bei den SPD-Ländern zeichnet sich ein gestuftes Vorgehen ab nächsten Monat als Position vor dem Treffen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) ab. "Ab Anfang März sollten wir stufenweise Corona-Beschränkungen reduzieren" - angefangen bei den Kontaktbeschränkungen für Geimpfte und einem Ende von 2G plus in der Gastronomie, sagte die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer der "Rheinischen Post" ("RP"/Samstag). "Unsere Prognosen deuten darauf hin, dass wir Mitte Februar den Höhepunkt der Omikron-Welle erreichen werden. Die Situation in den Krankenhäusern wird noch etwas länger angespannt bleiben. Deswegen ist Corona nicht beendet und Vorsicht ist weiterhin geboten, um keine Rückschläge zu erleben", sagte Dreyer. "Aber die Menschen erwarten zurecht, dass wir dann auch lockern. Deswegen werde ich mich bei der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch (16.2.) dafür einsetzen, dass wir Regelungen für Großveranstaltungen und Einzelhandel bundesweit angleichen", sagte Dreyer.

Vielerorts sei 2G im Handel bereits gestrichen worden. "Ab Anfang März sollten wir stufenweise Corona-Beschränkungen reduzieren" - angefangen bei den Kontaktbeschränkungen für Geimpfte und einem Ende von 2G-Plus in der Gastronomie. "Wichtig ist, dass die Länder die Möglichkeit behalten, bei örtlichen Ausbrüchen schnell und beherzt reagieren zu können", sagte Dreyer der Zeitung.

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Ihr Bremer Kollege Andreas Bovenschulte nannte in der "Welt am Sonntag" ("WamS") den Quasi-Endpunkt: "Wir sollten die pandemiebedingten Beschränkungen des gesellschaftlichen Lebens bis zum 19. März weitgehend beenden." Und, wie Dreyer weiter sagte: "Wichtig ist, dass die Länder die Möglichkeit behalten, bei örtlichen Ausbrüchen schnell und beherzt reagieren zu können." Das wäre nur - wie auch von Habeck favorisiert - mit einem vorsorglichen Beibehalten der gesetzliche Grundlage über den 19. März hinaus möglich.

Und Söder? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will im Handel Ungeimpften wieder Zutritt gewähren und in der Gastronomie für Geimpfte und Genesene die zusätzliche Testpflicht (2G plus) aufheben. Für Großveranstaltungen empfahl er in der "RP": "Mein Vorschlag sind 50 Prozent Auslastung mit einer Höchstbegrenzung in den Fußballstadien und 75 Prozent für die Kultur." Und: "Generell sollte die Maske als Letztes aufgehoben werden - sie ist und bleibt der beste Schutz."

Bald Testmöglichkeit statt Testpflicht an Schulen?

Wie geht es in den Schulen weiter? Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien, denkt für die Schulen schon weiter. "Wir müssen raus aus einer Kultur der Angst an den Schulen", sagte die schleswig-holsteinische CDU-Bildungsministerin der "Bild"-Zeitung (Samstag). Wenn ab Mitte Februar, Anfang März geöffnet werde, müsse auch an Schulen gelockert werden. "Sport und Musikunterricht muss wieder in vollem Umfang stattfinden. Das Testen muss schrittweise enden. Spätestens Ende März reichen wahrscheinlich auch zwei Tests pro Woche." Schrittweise müsse die Testpflicht zur "Testmöglichkeit" werden. Auch die Maskenpflicht müsse nach und nach fallen, zuerst im Klassenraum am Platz, dann im Gebäude.

Ihre Begründung: Der Höhepunkt der Omikron-Welle sei in ersten Bundesländern wie Schleswig-Holstein, Berlin, Bremen und Hamburg bereits überschritten, so Prien. "Das zeigt sich erfreulicherweise auch in den rückläufigen Infektionszahlen bei den 5- bis 18-Jährigen."

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, hatte der Deutschen Presse-Agentur hingegen gesagt, die Omikronwelle habe den Schulbetrieb nach wie vor fest im Griff. Die Infektionszahlen dürften nicht durch zu frühe Lockerungen nochmals hochgetrieben und dadurch der flächendeckende Präsenzunterricht erneut gefährdet werden.

Zahlen der Kultusministerkonferenz zufolge waren in der vergangenen Woche in Deutschland etwa sechs Prozent der Schülerinnen und Schüler und rund drei Prozent der Lehrkräfte entweder infiziert oder in Quarantäne. Auch einige Schülervertreter hatten mit einem offenen Beschwerdebrief und einer Internetaktion unter dem Motto #WirWerdenLaut der Politik einen "Durchseuchungsplan" vorgeworfen. Sie sprechen sich gegen die Präsenzpflicht aus und fordern kleinere Lerngruppen, PCR-Pooltests und Luftfilter in allen Schulen. Prien hatte sich danach mit Schülervertretern ausgetauscht.

Auf Twitter sorgte derweil eine weitere Äußerung der KMK-Präsidentin im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie für Wirbel. Auf den Tweet einer Nutzerin "Wir haben in den letzten 4 Wochen 17 tote Kinder gehabt. 17 - in VIER Wochen. Und es geht immer schneller. Bis Oktober 21 hatten wir 27 tote Kinder, seit Oktober 38. Also in 4,5 Monaten mehr als in 18 Monaten. Insgesamt sind 65 Kinder verstorben. FÜNFUNDSECHZIG" erwiderte Prien am Freitagabend bei dem Kurznachrichtendienst: "Bitte differenzieren: Kinder sterben. Das ist extrem tragisch. Aber sie sterben mit COVID_19 und nur extrem selten wegen COVID_19." Diese Antwort zog zahlreiche - teils auch beleidigende - Reaktionen nach sich. Viele warfen der Politikerin Empathielosigkeit vor und verlangten eine Entschuldigung. Der Hashtag #Prienruecktritt trendete.

Was sagen die Ärzte? Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt hält Öffnungsüberlegungen für richtig. "Wegen der wesentlich leichteren Krankheitsverläufe der aktuellen Omikron-Variante ist es sicher angemessen, mögliche Rücknahmen einschränkender Corona-Maßnahmen vorzubereiten", sagte er der "RP".

Andere Mediziner warnen die Politik vor einem abermals zu riskanten Kurs mit bösen Folgen. "Ob die Maßnahmen verlängert werden sollten, beziehungsweise in welchem Umfang sie fortgesetzt werden, muss anhand der pandemischen Lage in den ersten Märzwochen entschieden werden", sagte die Vize-Verbandschefin der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst, Elke Bruns-Philipps, der Funke-Mediengruppe.

Ärzte warnen vor voreiligen Lockerungen

Das Expertenrat-Mitglied Christian Karagiannidis, der das Divi-Intensivregister leitet, mahnte beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): "Ob es zu einer starken Belastung im Gesundheitswesen kommt oder nicht, lässt sich noch nicht sicher abschätzen." Der Epidemiologe Timo Ulrichs von der Berliner Akkon Hochschule für Humanwissenschaften sagte der dpa: "Generell wäre eine jetzige Lockerung der 2G-Regeln riskant, weil wir immer noch nicht abschätzen können, wie sich das auf die Omikron-Verbreitung und damit zeitversetzt auf die Einweisung ungeimpfter Infizierter und Erkrankter in die Krankenhäuser auswirken würde."

Auch die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, sieht das so: "Erst wenn die Omikron-Welle eindeutig abfällt, sollten wir über konkrete Schritte zur Aufhebung von Maßnahmen nachdenken", sagte sie dem RND. Hajo Zeeb vom Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie sagte der dpa, wenn nach und nach überall 2G falle, halte er es für sinnvoll, "über Begrenzung der Anzahl von Personen in Innenräumen nachzudenken" - in Geschäften wie auch Restaurants.

Von dpa