In Berlin hat es nach Informationen dieser Zeitung Probeabstimmungen gegeben, in denen die Fraktionschefin keine Mehrheit mehr hat.
BERLIN / MAINZ. Die Frage, ob Andrea Nahles Fraktions- und Parteichefin bleiben soll, stürzt die SPD zunehmend in eine Zerreißprobe. Einerseits gibt es gewichtige Stimmen, die fordern, die Partei solle sich auf inhaltliche statt auf personelle Frage konzentrieren. So mahnte Ex-Parteichef Matthias Platzeck zur Besonnenheit. Juso-Chef Kevin Kühnert warnte vor „schnell dahin gehauchten Personalwechseln“.
Andererseits muss Nahles bei der auf kommende Woche vorgezogenen Fraktionsvorsitzendenwahl um eine Mehrheit bangen. Nach Informationen dieser Zeitung gab es am Mittwoch getrennte Probeabstimmungen in den drei Parteigruppen, dem konservativen Seeheimer Kreis, den Netzwerkern und den Parteilinken. In allen drei Gruppen habe es keine Mehrheit für Nahles gegeben.
Bislang hat sich kein Gegenkandidat für die Fraktionsvorsitzendenwahl gemeldet. Ex-Parteichef Martin Schulz, dem Ambitionen nachgesagt worden waren, will nächste Woche definitiv nicht gegen Nahles antreten. In der Fraktion wird allerdings erwartet, dass Nahles noch Konkurrenz bekommt. Der bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post forderte Nahles offen zum Rücktritt auf. Namensvetter Achim Post aus NRW wird am häufigsten als möglicher Gegenkandidat für Nahles genannt. Sollte Nahles bei der Fraktionswahl durchfallen, würde sie laut Äußerungen aus ihrem Umfeld auch als Parteichefin zurücktreten. Dem Vernehmen nach gibt es in der SPD Überlegungen, den im Dezember geplanten Bundesparteitag vorzuziehen und ihn noch vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg (1. September) und in Thüringen (27. Oktober) abzuhalten. Beim Bundesparteitag soll sowohl über den Parteivorsitz entschieden werden als auch über den Verbleib in der Groko.
Zurückgewiesen hat Nahles unterdessen den Bericht in der Online-Ausgabe dieser Zeitung (Mittwoch), sie wolle mit einer Rückkehr in die Berliner Ministerriege einer Abwahl als Fraktionschefin zuvorkommen. Berliner Kreise hatten erklärt, Nahles wolle sich „ins Kabinett retten“. Diese Variante sei „absoluter Unsinn“, sagte eine Sprecherin von Nahles der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Informationen dieser Zeitung besagen dagegen, Nahles habe sowohl mit Außenminister Heiko Maas als auch mit Arbeitsminister Hubertus Heil darüber gesprochen, ob einer von beiden sein Amt zu Nahles Gunsten freigeben würde. Dem Vernehmen nach hatte Martin Schulz Nahles vor Tagen die Variante vorgeschlagen, sie könne das Fraktionsvorsitzendenamt aufgeben, um ins Arbeitsministerium zu wechseln, das sie schon 2013 bis 2017 leitete.