Das derzeitige Thema Nummer eins - das Klima - hat die Migration in den Hintergrund gedrängt. Dabei hängt beides zusammen, sagt Necla Kelek.
. Jahrelang war für die meisten Menschen in Deutschland die Integration, die Flüchtlingskrise und deren Folgen das politische Thema Nummer eins. Für die meisten Politiker war dies unbehaglich, weil sich die öffentlichen Reden und Maßnahmen der medialen "Willkommenskultur" oft mit der von den Menschen erlebten Realität vor Ort nicht trafen. Eine nachhaltige Lösung der Probleme scheint auch heute nicht wirklich in Sicht, weil man feststellen muss, dass die Exekutive keine nachhaltigen Integrationskonzepte hat, und auch Gesetze und Beschlüsse nur zögerlich umsetzt.
Um dem zu entkommen, haben CDU und SPD in den vergangenen Wahlkämpfen versucht, die Debatte um das Thema Migration tunlichst zu verdrängen. Das hat auch geklappt, aber nicht so wie geplant. Weder Mietpreise noch Grundrente, weder Kitaplätze noch Dieselgate wurden zum Wahlkampfhotspot, sondern der Klimawandel. Die weltweite Veränderung des Klimas wurde zum Menetekel, zur ausschließlichen Zukunftsfrage mit fast religiösen Zügen. Der Streit wütet nun angeblich zwischen Jungen und Alten, zwischen "Klimarettern" und "Klimaleugnern" wie zwischen Gläubigen und Ungläubigen über die Ursachen der Veränderung der Welttemperatur. Die einen sagen, das Weltklima verändere sich in großen Zyklen - siehe Eiszeiten - und sei nur bedingt zu beeinflussen, die anderen halten den Klimawandel für menschengemacht und somit revidierbar.
Wenn man der Annahme folgt, dass der Klimawandel vor allem durch die Produktion von CO2 menschengemacht ist, dann sollten wir aber auch unser Augenmerk bei der Lösung des Problems auf den Menschen und sein Verhalten richten, und zwar weltweit. Es geht dann darum, wie wir mit den Ressourcen umgehen, ob wir es schaffen, so innovativ zu sein, dass wir "klimaneutral" leben können. Das Umweltbundesamt beschreibt das Ziel so: den Ausstoß von CO2 von neun bis zwölf Tonnen in Deutschland auf unter eine Tonne CO2 pro Person und Jahr zu reduzieren. Deutschland ist aktuell mit 2,4 Prozent an der globalen CO2-Produktion beteiligt. Aber wir haben bei allem gewollten Klima-Wohlverhalten auch das Problem der großen Zahl, die Gesamtzahl der Menschen. Dadurch wird persönliches Verhalten zumindest relativiert.
Auf der Erde leben heute viereinhalb Mal so viele Menschen wie noch im Jahr 1900 (von 1,65 auf 7,6 Milliarden heute). Jährlich kommen 80 Millionen Menschen, also einmal die Bevölkerung Deutschlands, hinzu. Alle Menschen wollen essen, brauchen ein Dach über dem Kopf, wollen lernen, arbeiten, sich bewegen, reisen, kommunizieren. Im Ergebnis produzieren sie CO2, verbrauchen Land, Rohstoffe usw. und tragen wie alle zur Erderwärmung bei, weil auf mehr Menschen mehr Verkehr, mehr industrielle Produktion oder Verelendung folgen.
Bevölkerungswachstum ist menschengemacht. Aber nicht unbedingt gewollt. Jedes Jahr werden 89 Millionen Frauen, viele bereits im Kindesalter, in den Entwicklungsländern ungewollt schwanger. In den Staaten mit hohen Geburtenraten gibt es meist keine Familienplanung, keine Verhütungsmittel und es lastet durch Männer und patriarchale Verhältnisse ein enormer Druck auf den Frauen, Kinder zu bekommen.
Wenn wir etwas tun wollen gegen die Klimaerwärmung, müssten wir neben klimafreundlichem Verhalten etwas für die Mädchen und Frauen in diesen Ländern tun und mit ihnen dafür kämpfen, dass sie nur die Kinder bekommen, die sie auch wollen und für die die Familie die Verantwortung übernehmen kann. Aufklärung, Verhütungsmittel, Bildung ist in diesem Sinne Zukunftssicherung wie Klimaschutz. Das wäre auch ein adäquates Mittel, um Fluchtursachen zu bekämpfen, denn diese Länder bieten - mit oder ohne Erderwärmung - den Menschen aktuell keine Zukunft.
Womit wir wieder am Anfang, bei Migration oder der Flüchtlingskrise wären. Dem Thema Nummer eins.
Von Necla Kelek