Gastkommentar von Friedrich Küppersbusch: Polittheater fürs...

Verrückte Quereinsteiger gibt es nicht nur in den USA. Sie bringen mit, was sich Berufspolitiker erst erarbeiten müssen.

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. Klar, der Ministerpräsident Sloweniens, ein Ex-Bürgermeister von Reykjavik oder der Präsident der Philippinen sind medial nicht so präsent wie Donald Trump, Wolodymyr Selenskyj und Silvio Berlusconi. "Medial präsent" ist dabei übrigens entscheidend. Denn alle sechs verbindet: Medienkompetenz.

Mit dem B-Movie-Darsteller Ronald Reagan und Haudrauf Arnold Schwarzenegger hatte man sich an verrückte Quereinsteiger aus dem Showbiz gewöhnt. Anfangs bestaunt - diese Amis können Realität und Rolle nicht mehr auseinanderhalten! Doch in den modernen "Telekratien", im "Leitmedium" Fernsehen durfte es kaum überraschen, dass Kameraprofis sich zu "Politikdarstellern" wandeln. Und wer heute nicht in Talks überzeugt, schnell twittert und sich selbst als plausible Geschichte verkauft, hat keine Chance.

Sloweniens Regierungschef Marjan Saric studierte Film und Fernsehen, tourte als Comedian und Kabarettist und schwang sich über eine lokale Bürgermeisterwahl zum Berufspolitiker auf. Bunter der Weg des Isländers Jón Gnarr: Punk-Bassist, Fernseh-Comedian, Spaß-Parteichef, Bürgermeister. Ex-Präsident Joseph Estrada war dem philippinischen TV-Publikum aus über 100 Filmen vertraut, meist im Rollenklischee "Rächer der Unterdrückten".

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"Verrückte Quereinsteiger"? Boris Johnson flog als Journalist bei der "Times" raus, weil er Zitate frei erfunden hatte. In Italien regierte mit den "5 Sternen" eine "Spaßpartei". Wegen einer Vorstrafe durfte Gründer und Fernsehstar Beppe Grillo selbst kein Regierungsamt übernehmen. Haben wir es bei den Medienprofis im politischen Amt inzwischen mit einem weltumspannenden Trend zu tun?

Nein, immerhin Deutschland hängt zurück. Es hatte etwa Franz Schönhuber vom Bayerischen Rundfunk zu bieten. Tatort-Kommissar Peter Sodann und TV-Richter Alexander Hold errangen bei Bundespräsidentenwahlen, höflich formuliert, Achtungserfolge. Der ehemalige MDR-Chefreporter Armin-Paul Hampel sitzt nun für die AfD im Bundestag, deren Landesvorstandssprecher in Mecklenburg ist der Radio-Moderator Leif-Erik Holm. Günther Jauch würde vermutlich Bundespräsident, doch er tritt nicht an.

Neutral betrachtet bringen die Medienprofis eine handwerklich solide Ausbildung mit, die sich Politiker mühsam am windgezausten Wahlkampfstand erarbeiten müssen. Als Typ rüberkommen, verständlich und kurz formulieren, eine mitreißende Figur abgeben. Der herkömmlich angebaute Berufspolitiker aus konventioneller Bodenhaltung muss da aufholen: Kanzlerkandidat Edmund Stoiber wurde von Ex-"Bild am Sonntag"-Chef Michael Spreng trainiert. Die Merkel-Herausforderer Steinmeier und Schulz übten mit dem Produzenten und Journalisten Markus Peichl. Zwiespältig: Erfahrene Maschinisten der Macht zu strahlenden Schlagerstars zu dopen, scheint mindestens so riskant, wie Kamerakönnern das politische Handwerk einzuflüstern. Noch zumal in einer Epoche, in der Politik für viele aus Politikverachtung besteht. Donald Trump setzt gegen die vielfältige Kritik, die "checks und balances" ein schlichtes "Wir sind das Volk". Das "wir" darin ist der gute alte pluralis majestatis; ein Machtdarsteller setzt auf Volkstheater. Wo gestern mündige Staatsbürger wählten, applaudiert heute ein Showpublikum.

Können Spitzenpolitiker einen guten Eindruck machen und für den Rest auf die Ausschüsse verweisen? Für ihre Mitarbeiter spielen Einschaltquoten, Klickzahlen, Reichweiten eine zentrale Rolle. Glücklich, wer gute Verkäufer zu bieten hat; richtige Politik hat die beste Performance verdient. Falsche Politik funktioniert mit guter Performance aber auch. Naturtalent Gregor Gysi spricht vom "übersetzen können" - also hochkomplizierte politische Verästelungen in klare kurze Sätze. Da ist es viel leichter, direkt die Drei-Wort-Sätze rauszuhauen, befreit vom politischen Inhalt. Gibt es Alarmsignale, wenn die Schauspielkunst den Inhalt überwiegt? Ihn ganz ersetzt? Das ist das neue Schulfach für mündige Staatsbürger.

Von Friedrich Küppersbusch