Gastautor Friedrich Küppersbusch findet: Es ist an der Zeit, unser Land selbstbewusst gegen die Spätfolgen der Wiedervereinigung zu verteidigen.
. Man musste sich im neuen Land erst zurechtfinden, gerade Ältere haben es oft nicht geschafft - immerhin ist ihr Herkunftsland untergegangen. Und nahm seine Errungenschaften mit, in die verklärte Erinnerung. Dann folgen, gerade im 30. Jahr des Mauerfalls, die Stichworte "Treuhandanstalt", "D-Mark-Einführung", "Anschluss". Von dort führt dann ein Flausch Politrhetorik zu Unzufriedenheit, Radikalisierung, Demokratiemangel und AfD.
Es ist Zeit, eine andere Geschichte zu erzählen: Man muss sich im neuen Land erst zurechtfinden, gerade Ältere haben es oft nicht geschafft - immerhin ist das Herkunftsland untergegangen. Die gute alte Bundesrepublik. Das Dreiviertel-Land mit einem promovierten Witz als Hauptstadt. Dem "rheinischen Kapitalismus" als Wohlstandsgrundlage, dem eher dezenten internationalen Auftreten eines freigelassenen Bewährungssträflings. Gut, heute muss der notorische Pickelhauber dringend in den Weltsicherheitsrat, mischt an 13 Kriegsschauplätzen weltweit mit. Die gemütliche Umverteilungsrepublik bebt immer noch im Schock der "Agenda"-Politik nach, die auch Christdemokraten hie und da zu neoliberal erscheint. Wo Kohl sich noch in Europa einkaufte, lesen heute deutsche Finanzbeamte griechische Haushaltszahlen wie Mathelehrer die Klassenarbeit von Dyskalkulie-Schülern. Doch es gab diese kleine, verpeilte Bescheidenheitsrepublik, und ich bin in ihr geboren. Sie war meine Heimat.
Ist nicht so, dass nur Ossis verklären können. Der ekle Sud aus "bei Honecker gab's keine Ausländer" und "der Westen hat unsere Wirtschaft ausverkauft" mieft als Jammerfolklore herüber. AfD-Wahlkampfhelfer tragen Blousons mit der Aufschrift "Wendehelfer" und skandieren "Vollende die Wende". Jetzt ist also offenbar Merkel gleich Honecker und wieder '89. Wenn wir sonst nichts können, hauen wir halt die Regierung weg. Wer 40 Jahre weniger Zeit zum Einüben von Demokratie hatte, muss nachholen dürfen.
Doch natürlich kann man auch den Westen verklären. Darin hatten gerade DDR-Bürger eine besondere Stärke: Konsum, Reisen, VW, Malle, Aldi. Und tatsächlich gab es eine zynische Logik im bescheidenen Wohlfahrtsstaat Westdeutschland: Längs der Melodie "Wenn's Dir hier nicht passt, geh doch nach drüben" musste der Westkapitalismus liefern, damit die Leute blieben. Uns ging's gut, weil's denen drüben schlechter ging.
Das ist hin. Wir älteren Westdeutschen sind, man muss es aussprechen - Heimatvertriebene. Das Land, in das wir geboren wurden, gibt es nicht mehr. Es war langsam, wehrte sich gegen Reformen wie den Atomausstieg, die Friedenspolitik, den Umweltschutz, es diskutierte jahrelang über kommode Haarlängen und erließ gegen Meinungsfreiheit Notstandsgesetze. Es ging von einer gewissen Demut gegenüber der Welt aus und begnügte sich in der Staatengemeinschaft olympisch: Dabeisein ist alles. Und es hatte einen großen Schatz: Hoffnung. Wir sind unterwegs, was aus der Teilung wird, weiß man nicht; vielleicht bringen am Ende beide Seiten ihre stärksten Errungenschaften ein. Die Westrepublik war ein Zukunftsprojekt. Das neue Gesamtdeutschland gibt sich eher als Managementproblem.
Die dümmste Reaktion auf Unzufriedenheit Ost wäre, sich nun auch noch tüchtig Unzufriedenheit West auszudenken. Das Lob des kleinen Landes BRD ist von "früher war alles besser" kaum zu unterscheiden. Dazu zwei Bier und ein Teller Sauerkraut, wer's mag. Doch es ist an der Zeit, selbstbewusst unser Projekt gegen die Spätfolgen der Wiedervereinigung zu verteidigen. Wir sind nicht ältere Geschwister, die den zurückgebliebenen Jüngeren bei den Hausaufgaben helfen. Wir sind Staatsbürger mit einem gesunden und lange gewachsenen Interesse an Freiheit, Vielfalt, Meinungsfreiheit, Anstand und Toleranz. Das waren erklärte Ziele der verlorenen Heimat, und es schadet nicht, aus einer Westbiographie einen Auftrag zu lesen: Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe der Fackel.
Von Friedrich Küppersbusch