DILLENBURG - Rondo und Pascal drehen ihre Runden auf dem großen Paradeplatz. Das Gespann zieht eine kleine Personenkutsche. Daneben arbeiten drei Reiterinnen ihre Pferde locker im Trab und im Galopp. In der Reithalle laufen Dressurstunden, im Stall unterrichtet eine Kursleiterin eine Gruppe Mädchen an Sattel und Zaumzeug in der Theorie. Im Hof stehen die Pferde friedlich auf dem Paddock, kraulen sich gegenseitig die Hälse und genießen die Sonne.
Auf den ersten Blick geht im Landgestüt Dillenburg alles seinen gewohnten Gang. Nichts deutet auf die geplante Schließung der 400 Jahre alten Traditionsanlage hin, die vom Hessischen Umweltministerium vor gut einer Woche bekannt gegeben wurde – wie es heißt aus Tierschutzgründen. Doch über dem Bemühen, die Normalität zu wahren, sind Anspannung und Unsicherheit der Mitarbeiter des Gestüts deutlich zu spüren. Diese müssen beim Pressetermin zwar für Fotos und Videoaufnahmen zur Verfügung stehen, sind aber von der Landesregierung angehalten, nicht mit den Medienvertretern zu sprechen.
Kritik im Netz und auf der Straße
An der Pinnwand im Stall hängt allerdings gut sichtbar der Ausdruck des offenen Briefs eines Reitlehrers, der in Dillenburg seine Trainerausbildung absolviert hat. In seinem Schreiben weist Kersten Wendler die Begründung des Umweltministeriums, dass das Gestüt im Sinne eines effektiven Tierschutzes nicht mehr tragbar sei, energisch zurück: „Die Pferde bekommen in Dillenburg einen bunten Mix aus Arbeit und freier Bewegung“, beurteilt Wendler die Situation. Von seiner Ausbildung auf dem Gestüt weiß er, dass sich die Pferde vor dem Schulbetrieb in Gruppen in der großen Halle frei bewegen dürfen. Außerdem kommen sie jeden Tag aufs Paddock – eine kleine, abgegrenzte Freifläche – und in die Führanlage. „Das ist natürlich verbesserungsfähig. Aber das Landgestüt versucht mit äußerster Anstrengung, seinen Pferden ein optimales Leben zu ermöglichen.“
Gerade dies werde in Dillenburg aber nie umsetzbar sein, erklärt das Umweltministerium auf Anfrage. Denn durch die Lage in der Innenstadt stoße das Gestüt an Grenzen. „Das Land Hessen hat beim Tierschutz eine Vorbildrolle“, heißt es im Antwortschreiben. Damit bezieht sich das Ministerium auf die „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“. Die Leitlinie sieht die Notwendigkeit freier täglicher Bewegung für jedes Pferd vor – in Dillenburg für 40 Tiere.
Laut Ministerium stehe das Gestüt schon seit den 80er Jahren in der Diskussion. Es habe immer wieder Verbesserungsversuche gegeben. „Aber weder ein Paddock noch eine Führmaschine sind freier Auslauf“, heißt es in der Erklärung weiter. Weidflächen für die tägliche Bewegung stehen nicht zur Verfügung. Die Aussage, dass freie Bewegung nur auf der Weide gewährleistet werden könne, bezeichnet die Deutsche Reiterliche Vereinigung hingegen als unzutreffend. Die Pferdehaltung im Landgestüt sei kein Grund für die Schließung, heißt es in der gemeinsamen Erklärung mit anderen deutschen Pferdesportverbänden.
Immer lauter wird die Kritik an der Entscheidung der Landesregierung indes auch in der Bevölkerung. „Als nächstes nehmen sie uns auch noch den Wilhelmsturm weg“, äußert sich ein Mann im Gasthaus zur Krone empört. Die Kneipe ist nur wenige Minuten vom Gestüt entfernt. Die Gäste dort sind sich einig: Mit dem Gestüt gehe ein Jahrhunderte altes Kulturgut verloren. Ein Leben ohne die Pferde kann sich hier keiner vorstellen. Deshalb haben sie alle die Petition zum Erhalt des Gestüts unterschrieben. Der leidenschaftliche Aufruf von Anne Jost wurde über Nacht zum Selbstläufer. In einer Woche kamen 15 000 Unterschriften zusammen. Die Züchterin aus dem Taunus ist selbst schon mit ihrem Hengst bei der Dillenburger Hengstparade geritten. „Ich kenne wenige Hengste, die so gut gehalten werden“, sagt Jost. Ihrer Meinung nach sei die Landesregierung nicht am Wohle der Tiere interessiert, da es keine konkreten Versuche zur Verbesserung der Situation gegeben habe.
Protest läuft offenbar ins Leere
Ob der wachsende Protest Früchte tragen wird, ist allerdings fraglich. Laut Umweltministerium erarbeitet der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen schon ein Konzept für personelle und betriebliche Übergänge der 24 Mitarbeiter des Gestüts. Der weitere Zeitplan hänge von den Entscheidungen zur weiteren Nutzung des Areals ab. Die Pferde sollen verkauft werden. Für gute Reit- und Zuchtpferde gebe es immer interessierte Abnehmer.
Zuchthengst d‘Artagnan zeigt sich von der Aufregung nicht beeindruckt. Der 22-jährige Oldenburger hält ein Schläfchen in seiner Box, während Fotografen und Kameraleute durch die Ställe eilen und Drohnen über das Gelände surren. Nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was dem Senior des Hessischen Landgestüts auf seine alten Tage noch bevor steht. Schließlich dürfte der 24. September der bestbesuchteste „Tag des Pferdes“ in der Geschichte des Landgestüts werden.