Die Weinszene hat einen neuen Star. Gemeinsam mit seiner Frau Carolin Spanier-Gillot ist Hans Oliver Spanier (46) Winzer des Jahres. Außerdem rückte der Rheinhesse in die...
BODENHEIM / HOHEN-SÜLZEN. Die Weinszene hat einen neuen Star. Gemeinsam mit seiner Frau Carolin Spanier-Gillot ist Hans Oliver Spanier (46) Winzer des Jahres. Außerdem rückte der Rheinhesse in die illustre „Académie Internationale du Vin“ auf. Ein Gespräch über Sturheit, himmlische Lagen und die richtige Strategie, einen Tsunami zu überleben.
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Herr Spanier, womit haben Sie auf Ihren doppelten Erfolg angestoßen? Mit Champagner. Das soll nicht angeberisch klingen, aber wir lieben Champagner. Und wir haben viele Freunde in der Champagne, die uns welchen schicken.
Sie sind einer der wenigen Deutschen in der Académie Internationale du Vin, einer handverlesenen Schar von Weinexperten aus aller Welt. Wie wichtig ist internationaler Austausch? Brutal wichtig. Wein war noch nie so gut wie heute, aber er stand auch nie im Fokus wie jetzt. International gesehen sind wir Deutsche ganz klein. Wir müssen unsere Nische finden.
Wie meinen Sie das? Es ist ungleich einfacher, in südlichen Hemisphären Wein zu produzieren. Und es ist günstiger. In den Lebensmitteleinzelhandel werden noch viel mehr südländische Weine einziehen. Der deutsche Weinbau steht an einer Weggabelung: Manche denken, wir müssten noch günstiger werden. Ich finde das falsch: Was uns überleben lassen wird, sind Herkunft und Topsegment.
„No sweet wines, no wine sale, no bullshit“ steht in Hohen-Sülzen am Eingang. Sind Sie immer so eindeutig? Wer nicht eindeutig ist, veratmet seine Marke. Vor zehn Jahren konntest du als Winzer ziemlich alles machen, meinetwegen auch süßen Bacchus am Hoftor verkaufen. Jetzt musst du dich entscheiden: Entweder du wirst im Topsegment wahrgenommen oder nicht. Da ist der Markt gnadenlos. Da draußen formiert sich ein Tsunami. Noch stehen alle am Strand und lachen. Und ein paar Jungs denken tatsächlich: Hey, der Strand wird breiter, die Party größer. Tatsächlich zieht sich das Wasser zurück und am Firmament ist schon die Welle erkennbar, die viele wegspülen wird.
Ist guter Wein immer teuer? Anders gefragt: Muss Wein einen gewissen Preis haben, um von einer gewissen Klientel wahrgenommen zu werden? Ja, und ich halte das weder für gut noch für schlecht. Nehmen wir Champagner: In dem Moment, wo die Flasche 16,99 Euro im Discounter kostet, wird er anders wahrgenommen, als wenn er 120 Euro kostet. Deutscher Wein ist international lächerlich billig. In Kalifornien kostet eine Tonne Trauben 25.000 bis 30.000 Dollar für Einstiegsweine, in Deutschland sind es 700 bis 900 Euro.
Dass ein guter Bordeaux 40 Euro kostet, wundert hierzulande niemand, dass eine rheinhessische Große Lage ähnlich teuer ist, schon. Sitzen die Abnehmer höherklassiger Weine vor allem im Ausland? Wir exportieren die Hälfte unserer Produktion. Große Weine haben außerhalb von Deutschland einen anderen Stellenwert. Es gibt weltweit keinen Spitzenbetrieb, der für unter 20 Euro eine Flasche Wein anbietet. Und es ist keine Seltenheit, dass die Weine 300 bis 500 Euro pro Flasche kosten. Dazu im Vergleich sind deutsche Große Lagen wahnsinnig günstig. Das ist das größte Problem, das wir in Deutschland haben. Es wird immer etwas nachgeschoben, damit es mehr Masse gibt und höhere Umsätze generiert werden. Ich halte nichts davon. Das Wertvollste, was wir haben, sind unsere Namen und damit unsere Marke.
Warum lieben Chinesen Ihren Wein? Das Land ist auf europäische Marken ausgerichtet: Es gibt eine richtig innovative und auch teure Restaurantszene. Viele Chefköche aus Frankreich gehen nach Schanghai und Peking. Und sie brauchen großartige Weine.
Wie viele Flugmeilen absolvieren Sie pro Jahr? Zu viele. Wenn ich etwas hasse, sind es lange Reisen und dieses: „Guten Tag. Ich bin H.O. Spanier aus Rheinhessen. Ich liebe Riesling.“ Das versuche ich zu vermeiden wie der Teufel das Weihwasser. Meine Frau lacht sich kaputt, weil ich Reisen mittlerweile so organisiere, dass ich morgens lande und abends wieder weg bin. Ich halte mich am besten nicht länger als 18 Stunden an einem Ort auf dem Planeten abseits meiner Heimat auf. Ein Grund für unseren Erfolg ist, dass ich lieber den ganzen Tag im Wingert bin.
Wie beschreiben Sie Ihren Charakter? Meine allerwichtigste Eigenschaft ist Sturheit: Man darf nicht zu viel glauben, was man erzählt bekommt, man muss an sich selbst glauben. Die zweite Eigenschaft ist Dranbleiben. Im Weinanbau ist es wie im Sport: Man bekommt jedes Jahr eine neue Chance – aber der Erfolg von gestern zählt nicht mehr viel. Die dritte Eigenschaft ist Weltoffenheit, und zwar nicht nur, was Wein angeht.
Welche dieser Eigenschaften spiegelt Ihr Wein? Was ich als stur beschrieben habe. Ich glaube, man kommt im Leben nicht weit, wenn man glaubt, man müsse es jedem recht machen. Unsere Weine sind sehr pur.
Glauben Sie an Kellergeister? Nein, im Keller ist nichts zu retten. Wir fühlen uns dem romanischen Gedanken der Weinerzeugung verpflichtet: Im Moment, wo die Traube abgeschnitten ist, beginnt der amorphe Prozess der Zersetzung.
Wo im Wein liegt die Wahrheit? Nur in der Herkunft. Terroir ist das weltweite Thema. Jede Große Lage hat ihren unnachahmlichen Geschmack.
Ist Bodenqualität alles? Der Boden ist ja nur ein kleiner Bestandteil des Terroirs. Es geht um Hanglage oder nicht, Windrichtung und den Winkel zur Sonne. Man kann nie sagen, dass eine Lage per se ein Großes Terroir ist. Du hast einen Weinberg, der schmeckt großartig, und der Weinberg nur 50 Meter nebenan schafft es nie, in diese Grandezza vorzustoßen. Leider ist dieses Wissen oft verloren gegangen. Das Mittelalter hat die Kenntnis über römische Errungenschaften wie Aquädukte verdunkelt. Ähnlich verhängnisvoll für den deutschen Weinbau war das Weingesetz von 1971 mit seinen Großlagen.
Sie drehen ein großes Rad, zwei Weingüter, eine moderne Vinothek, wird Ihnen manchmal schwindelig? Schon, wenn ich an früher denke. Als ich im Alter von 20 Jahren anfing, hatte ich vier Hektar Wingert. Mein Ziel waren zehn Hektar und eine Jahresproduktion von 50 000 Flaschen Wein.
Und heute? Nun haben sich beide Faktoren verfünffacht. Aber es ist klar, dass wir das Tempo, das wir die letzten Jahre gegangen sind, nicht weitere zehn Jahre gehen wollen und können. Wir werden entschleunigen, auch dem Wein mehr Zeit geben.
Hätten Sie eigentlich auch eine Versicherungskauffrau oder Lehrerin geheiratet? Klar. Dass Carolin vom Fach ist, war eine dieser glücklichen Fügungen, die mein Leben begleiten. Klar ist aber auch, dass unser Erfolg nur zustande gekommen ist, weil wir Gleichgesinnte sind.
Sie haben Ihre Frau bei „Message in a Bottle“, einer Vereinigung von Jungwinzern, kennengelernt. Wann haben Sie gegoogelt, wie groß das Weingut Kühling-Gillot ist? Das war nicht nötig. Wir hatten eine Message-Sitzung in Bodenheim. Die ging ziemlich lustig zu Ende. Als mein späterer Schwiegervater und ich in der Schatzkammer standen und zusammen alte Weine getrunken haben, lagen alle Karten offen auf dem Tisch.
Ihre Weingüter heißen Battenfeld-Spanier und Kühling-Gillot. Wie viele Nachnamen haben Ihre Kinder? Sie heißen nur Spanier. Der Name Battenfeld kommt von meinem ehemaligen Nachbarn, mit dem ich mich anfangs für den Weinbau zusammengeschlossen hatte.
Wer hoch fliegt, fällt tief. Ängstigt Sie der Gedanke, bald runtergeschrieben zu werden? Es ist die Frage, wie man Erfolg definiert. Für mich ist Winzer der faszinierendste Beruf der Welt. Wir gestalten die spannendste Phase des Weltweinanbaues mit. Für mich ist immer noch unfassbar, dass wir darin ein bedeutendes Segment sind. Natürlich muss man mit schlechten Kritiken umgehen. Ich glaube sogar, dass es notwendig ist, schlechte Kritiken zu bekommen, um Entwicklung zu erzeugen.
Das heißt, Sie bleiben stur? Mitte der Nuller Jahre war unsere Stilistik brandneu. Unsere Weine waren schon damals sehr pur und sehr gerade. Aber sie waren von der Kritik nicht gewollt, auch nicht ansatzweise. Kein Kritiker hat uns verstanden. Wir haben lange Feuer gekriegt, aber wir sind dabei geblieben. Aus diesem Grund sind wir ziemlich gewitterfest.