Warten auf das Wunschkind

Wenn aus einem Paar plötzlich eine Familie wird. Grafik: Valenty - stock.adobe
„Hurra! Wir sind komplett!“, prangt quer über dem Foto, auf dem ein Baby zwischen seinen strahlenden Eltern zu sehen ist. Das hat sich die frischgebackene Mutter partout nicht nehmen lassen wollen: Über eine liebevoll gestaltete Karte sollen alle Bekannten, Verwandten und Freunde vom neuen Familienglück erfahren und sich mitfreuen. Genau das ist Beate nie ganz leichtgefallen. „Jahrelang war es jedes Mal wie ein Stich ins Herz“, erinnert sich Beate, „wenn ich diese Karten von anderen bekommen habe.“ Mit dem Hoffen und Sehnen nach einem Kind ist es bei den Schmidts jetzt vorbei: Ab heute sind sie, dank Tim, zu dritt.
Hinter dem Paar liegt eine Schwangerschaft ganz eigener Art: Nicht durch eine Entbindung, sondern durch eine Entscheidung sind sie Eltern geworden. Und das begann genau genommen schon vor Jahren. Als feststand, dass die beiden keine eigenen Kinder bekommen können, reifte in vielen Gesprächen die Idee heran, ein Kind zu adoptieren. Beate las Bücher, in denen Adoptiveltern über ihre Erfahrungen berichten. Matthias war skeptisch, dann begann er doch im Internet zu stöbern, fand Ansprechpartner und Selbsthilfegruppen, chattete in Foren. Als sie zufällig Maja und Bernd im Urlaub auf dem Campingplatz kennenlernten, die den vierjährigen Rubens aus Brasilien adoptiert haben und schon seit zwei Jahren als funktionierende Adoptivfamilie zusammenleben, bekamen Beate und Matthias die meisten Antworten.
Prozess kann Jahre andauern
Dann wurde ihr Wunsch eines Tages ernst. Allerdings ist die Chance, eines Tages wirklich einen wenige Wochen alten Winzling in den Armen halten zu können, nicht groß.
Die Wünsche der werdenden Eltern nach Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft oder Alter werden von Amts wegen nicht berücksichtigt. Man sucht schließlich nicht ein passendes Kind für die Eltern, sondern das Gegenteil – passende Eltern für ein Kind. Keine Vermittlungsstelle geht bei der Adoptionsvermittlung streng nach Warteliste vor. Wenn ein Paar besonders geeignet scheint, weil es bereit ist, ein behindertes Baby oder ein älteres Kind aufzunehmen, kann sich das Jugendamt schon nach wenigen Monaten melden. Wenn es schlecht läuft, beispielsweise weil sich die Bewerber die Aufnahme eines bestimmten Kindes nicht zutrauen und es ablehnen, kann es aber auch mehrere Jahre dauern.
KONTAKTE UND BEWERBERZAHLEN IN DEUTSCHLAND
Adoptionen in Deutschland sind nur über die anerkannten Adoptionsvermittlungsstellen der Jugendämter oder freier Träger wie dem Caritasverband oder dem Diakonischen Werk möglich. Die Zahl der Adoptionen ist seit vielen Jahren rückläufig. In den 1990er Jahren wurden noch mehr als 20 000, im Jahr 2006 noch 9154 adoptionswillige Paare registriert, bei 4748 Kindern und Jugendlichen, die zur Adoption standen. Trotz des rückläufigen Trends übertrifft die Zahl der Bewerbungen noch immer die Zahl der Kinder, die zur Adoption stehen. So waren 826 Kinder und Jugendliche im Jahr 2016 vorgemerkt, das sind bei 5266 Adoptionsbewerbern durchschnittlich sechs Bewerberpaare auf jedes Kind. Adoption führt in der Wissenschaft ein Schattendaseins, stellt auch das „Expertise- und Forschungszentrum Adoption“ am Deutschen Jugendinstitut fest. Die Fortschritte der Kinderwunschmedizin von der hormonellen Fruchtbarkeitsbehandlung bis zur künstlichen Befruchtung haben dazu beigetragen, dass viele Paare doch noch zum leiblichen Kind kommen.
Wichtige Webseiten: Bundesverband der Pflege- und Adoptiveltern (PFAD), www.pfad-bv.de. Infos zur Adoption: www.familienwegweiser.de. Bestandsaufnahme des Expertise- und Forschungszentrums Adoption am Deutschen Jugendinstitut : www.dji.de
Wichtige Webseiten: Bundesverband der Pflege- und Adoptiveltern (PFAD), www.pfad-bv.de. Infos zur Adoption: www.familienwegweiser.de. Bestandsaufnahme des Expertise- und Forschungszentrums Adoption am Deutschen Jugendinstitut : www.dji.de
Die Adoptionsvermittler verschaffen sich einen ersten Eindruck im Gespräch, dann fordern sie die notwendigen Unterlagen ein. „Bank- und Steuerbescheinigungen, polizeiliches Führungszeugnis, ärztliche Atteste, Heiratsurkunde“, zählt Beate auf. Ihr Mann nickt. „Alles mussten wir offenlegen. Manche Auskünfte wurden sogar mehrmals eingeholt.“
Für Adoptionen gelten feste Regeln: Ein chronisches Leiden, Vorstrafen oder die Arbeitslosigkeit (meist des Mannes) sind Gründe, aus denen heraus das Amt die Adoption ablehnen kann. In der Regel müssen Ehepaare schon seit drei Jahren zusammenleben, wenigstens einer soll mindestens 25 Jahre alt sein, der Altersunterschied zwischen dem Wunschkind und dem älteren Ehepartner soll nicht mehr als 40 Jahre betragen. Ein Grund mehr für Beate und Matthias Schmidt, auf die Tube zu drücken. Denn im nächsten Jahr wird Matthias 40.
Die Hürden sind hoch: Erfüllt ein Paar die allgemeinen Voraussetzungen für eine Adoption, wird zunächst seine Eignung festgestellt. Es folgen Gespräche, einzeln oder in Gruppen. Auch Hausbesuche gehören dazu. Zwischen dem ersten Besuch bei der Vermittlungsstelle und der Adoption vergehen etwa anderthalb bis zwei Jahre.
„Die Wartezeit war schlimm für uns“, sagt Beate, „aber es hatte auch etwas Gutes, denn wir konnten immer wieder gründlich überlegen, was da auf uns zukommt.“ Beispielsweise hatten sich Beate und Matthias auch mit der Frage auseinanderzusetzen, wie sie Tims leiblicher Mutter begegnen, wie viel Kontakt sie zulassen wollen. Besonders Beate hatte schon bei dem Gedanken, Tim mit seiner leiblichen Mutter teilen zu müssen, mit starken Verlustängsten zu kämpfen. Inkognito-Adoptionen, bei denen weder Herkunfts- noch Adoptiveltern voneinander wissen, gibt es bei uns kaum noch. Die meisten Adoptionen in Deutschland sind „halb offen“. Das heißt, ein direkter Kontakt zwischen leiblichen und Adoptiveltern findet nicht statt, dafür aber ein indirekter über das Jugendamt. Die leibliche Mutter kann dort nachfragen, wie es ihrem Kind geht und darf Fotos dort lassen oder Geschenke zum Geburtstag abgeben. Ab 16 Jahren dürfen die adoptierten Kinder beim Jugendamt ihre Abstammungsurkunde einsehen.
Kontakt zu den biologischen Eltern
Die Vermittlungsstelle ist dann dabei behilflich, die Eltern zu finden und einen Kontakt herzustellen. Dass die Herkunft des Kindes in der Adoptivfamilie nicht verleugnet wird, ist inzwischen ein sehr großes Anliegen der Vermittlungsstellen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sehr viele Adoptivkinder in eine tiefe Identitätskrise geraten, wenn sie erst als Jugendliche oder gar als Erwachsene erfahren, dass die Eltern nicht die leiblichen sind. Bei den Schmidts ging dann plötzlich alles ganz schnell. In einem Brief fragte die Adoptionsvermittlungsstelle, ob sie einen drei Wochen alten Säugling adoptieren wollen, dessen Mutter nicht für ihn sorgen kann.
Als Beate das Baby dann zum ersten Mal im Arm hielt, spürte sie sofort eine Verbindung, erzählt sie mit strahlenden Augen. Auch für Matthias war klar: „Das ist er. Unser Kind.“ Am liebsten hätten sie den Kleinen sofort mitgenommen, doch ein paar Tage mussten sie sich noch gedulden. Dann erteilte das Amt die Pflegeerlaubnis und Tim zog zu den Schmidts, die der Welt dann voller Freude mitteilten: „Hurra, wir sind komplett!“