Start ins Schülerleben: Bei der Eingangsuntersuchung geht es nicht nur um das Wohl des Kindes
Zigtausende Kinder freuen sich in diesen Tagen auf ihren ersten Schultag. Erfolgreich hinter sich gebracht haben sie dann schon die Schuleingangsuntersuchung, den Pflichttest für alle Schulanfänger. Die Tests, die von Ärzten der jeweils zuständigen Gesundheitsämter durchgeführt werden, finden ab Oktober im Jahr vor der Einschulung statt. Von einem durchweg positiven Erlebnis berichten die wenigsten Eltern.
Von Laura Schöffel
Stv. Redaktionsleiterin Lokalredaktion Bad Kreuznach
Grafik: vrm
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REGION - Zigtausende Kinder freuen sich in diesen Tagen auf ihren ersten Schultag. Erfolgreich hinter sich gebracht haben sie dann schon die Schuleingangsuntersuchung, den Pflichttest für alle Schulanfänger. Die Tests, die von Ärzten der jeweils zuständigen Gesundheitsämter durchgeführt werden, finden ab Oktober im Jahr vor der Einschulung statt.
Von einem durchweg positiven Erlebnis berichten die wenigsten Eltern. Sie fühle sich kritisch gemustert, empfinde es gar als Schikane, klagt eine Mutter. Anderen graut es schon vor der Untersuchung. „Das Kind kann ja mal einen schlechten Tag haben – die Ärzte der Gesundheitsämter kennen die Kinder doch gar nicht“, meint Karina Czymmek.
Familie auf dem Prüfstand
Sie brachte mit ihren Söhnen Julian und Bastian bereits zweimal diese Prozedur hinter sich. In nur einer halben Stunde würden die Kinder beurteilt, die Aufgaben nur knapp erläutert, sie fühlte sich und ihre Jungs auf eine unangenehmen Weise auf den Prüfstand gestellt, schildert die vierfache Mutter ihre Erfahrungen. „Wenn ein Kind so gravierend in der Entwicklung hinterherhinkt, dass es nicht eingeschult werden kann, wäre das doch schon früher im Zuge der Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt aufgefallen“, ist sich Czymmek sicher.
PFLICHT
Während die Schuleingangsuntersuchung verpflichtend ist, sind die Früherkennungsuntersuchungen in der Kinderarztpraxis (die sogenannten U-Untersuchungen) freiwillig.
Allerdings besteht für Eltern ein gewisser Druck, die U-Untersuchungen auch tatsächlich wahrzunehmen. In Rheinland-Pfalz etwa wird durch ein Meldeverfahren registriert, ob Eltern die U-Untersuchungen durchführen lassen. Wer nach mehrmaliger Aufforderung den Termin beim Arzt nicht wahrnimmt, erhält Besuch vom Jugendamt.
Warum also, stellt sich die Frage, ist eine Schuleingangsuntersuchung überhaupt notwendig, angesichts der regelmäßigen ärztlichen Kontrollen, unter Eltern besser bekannt als U1 bis U11?
Dass ein Kind vor Schulantritt geprüft wird, ob es körperlich und geistig den Anforderungen des Schulalltags gewachsen ist, scheint einleuchtend. Die „Erfassung von Entwicklungsauffälligkeiten, Entwicklungsstörungen, chronischen Erkrankungen und Behinderungen“ sei das Ziel der Untersuchung, heißt es in einem Schreiben aus dem rheinland-pfälzischen Sozialministerium.
Das bedeutet, dass mit standardisierten, wissenschaftlich geprüften Verfahren die Grobmotorik, die Feinmotorik, die Malentwicklung, Konzentration und Ausdauer und das Verhalten getestet werden. Weiter wird die Sprachentwicklung unter die Lupe genommen: Dabei stehen Lautbildung, Grammatik, Deutschkenntnisse und der Wortschatz im Mittelpunkt. Denn ein „normal entwickeltes Kind sollte zur Einschulung grammatikalisch korrekt sprechen und die Lautbildung beherrschen“, erwarten die Experten vom Gesundheitsamt Alzey-Worms. Außerdem achten sie auf etwaige Auffälligkeiten im Sozialverhalten. Als eine „orientierende körperliche Untersuchung“ umschreibt das Gesundheitsamt Mainz-Bingen den Vorgang, der auch Hör- und Sehtests umfasst. Ob das Kind eingeschult wird oder nicht, entscheidet dann aber gar nicht der Arzt, sondern die Schule. „Die Schulärzte haben im Rahmen der Einschulungsuntersuchung ausschließlich beratende Funktion“, betont Dr. Renate Struck, Leiterin des Jugend- und Schulärztlichen Dienstes der Kreisverwaltung Bad Kreuznach.
Wenn es darum geht, den Schuleingangstest von den U-Früherkennungsuntersuchungen bei den Kinderärzten abzugrenzen, wird es schwierig. Dazu heißt es vonseiten des Ministeriums: Die U-Untersuchung diene dem Zweck der Früherkennung von Krankheiten und Entwicklungsauffälligkeiten. Dem gegenüber überprüfe die Schuleingangsuntersuchung, ob das Kind – gegebenenfalls aufgrund solcher Krankheiten oder Entwicklungsauffälligkeiten – den Anforderungen des Schulalltags körperlich und seelisch gewachsen sei. Außerdem seien die U-Untersuchungen wenig standardisiert – anders als bei der Schuleingangsuntersuchung. So könne der Arzt weitgehend unabhängig von der Vorgeschichte des Kindes dessen Entwicklungsstand beurteilen.
Morgens wird gemalt, mittags wird gemalt
Warum jene Unabhängigkeit so wichtig ist, und weshalb nicht gerade das Gegenteil – die langfristige Beobachtung eines Kindes durch einen Kinderarzt – maßgeblich bei der Beurteilung der Schultauglichkeit sein soll, beantwortet keine der Behörden.
Hinzu kommt: Mitunter finden beide Untersuchungen – die Schuleingangsuntersuchung und die sogenannte U9 – am selben Tag statt. Morgens wird gemalt, mittags wird gemalt. Auch Sprachentwicklung und Feinmotorik stehen bei beiden Untersuchungen im Fokus. Doch das Ministerium braucht offenbar eine genauere Expertise – und die sieht es nun mal beim Kinder- und Jugendärztlichen Dienst der Gesundheitsämter. Dessen Befund werde noch gestützt durch die Vernetzung von Schulen, Kinder- und Jugendhilfe, niedergelassenen Ärzten, Frühförderstellen und pädagogischen Förderangeboten.
Niedergelassene Kinderärzte geben zu diesem Thema ungern Auskunft. Eine Praxis will „aus Zeitgründen“ nicht antworten, eine andere Ärztin ist mit der Amtsärztin befreundet, andere Ärzte reagieren erst gar nicht. Und ein Kinderarzt, der die Schuleingangsuntersuchung als „überholte Tradition“ bezeichnet, will nicht namentlich genannt werden.
Doch falls es sich bei den Untersuchungen um eine überholte Tradition handeln sollte, warum halten die Behörden dennoch an ihnen fest? Ein Hinweis kommt aus dem Gesundheitsamt Wiesbaden: „Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die für den Einschulungsjahrgang flächendeckende Datenerhebung.“ Es würden Daten zur Kindergesundheit erhoben und anonymisiert an das Land weiter gemeldet, zumal ja auch die Durchsicht der Vorsorgehefte und Impfbücher zur Schuleingangsuntersuchung gehören. Auch das Gesundheitsamt Mainz-Bingen betont: „Dies ist die einzige Untersuchung, bei der ein gesamter Jahrgang erfasst wird und daher ein wertvolles Instrument, um gesundheitliche Tendenzen erkennen und bewerten zu können.“