Jeder Deutsche produziert im Schnitt mehr als 600 Kilo Abfallpro Jahr
Von Christina Oxfort
Foto: AdobeStock – Charlotte
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Die Spitzenreiterposition kann schön sein, ist es jedoch nicht immer. Bei der Müllproduktion nehmen die Deutschen im Vergleich zu den anderen Ländern der Europäischen Union einen unrühmlichen ersten Platz ein. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) produziert jeder Deutsche im Durchschnitt knapp 1,7 Kilogramm Müll am Tag, also 617 Kilogramm Müll pro Jahr – und liegt damit deutlich über dem Durchschnitt von rund 481 Millionen produzierten Mülls pro Einwohner in den Ländern der EU. Ob die immense Müllproduktion auf mangelndes Umweltbewusstsein der Verbraucher, auf deren Bequemlichkeit beim Einkauf oder auf den Verpackungswahnsinn der Industrie zurückzuführen ist?
Die Gründe sind zweifellos vielschichtig. Dass ein Leben (nahezu) ohne Müll zu produzieren möglich ist, beweist die in Amerika lebende Französin Bea Johnson und beschreibt es in ihrem Buch „Zero Waste Home – Glücklich leben ohne Müll“. Allerdings räumt auch sie ein: „Angesichts der gegenwärtigen Produktionsmethoden ist ein absolutes Zero Waste heute nicht machbar.“
Eben diese Produktionsmethoden sind auch der Umweltwissenschaftlerin Jutta Kerpen ein Dorn im Auge. Die Professorin im Studiengang Umwelttechnik der Hochschule Rhein-Main (Standort Rüsselsheim) würdigt zwar die Bemühungen der Bundesregierung, die gemäß der EU-Vorgaben Richtlinien zur Müllvermeidung erlassen hat, hält jedoch von der Selbstverpflichtung der Industrie nicht viel. „Umweltschutz geht nur mit Gesetzen und Verordnungen“, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. Auch Appelle an den Verbraucher „nutzen nichts“, schon gar nicht, „weil viele Menschen bereits die Mülltrennung überfordert.“
Nicht alle Verbraucher setzen auf Bequemlichkeit vor Umweltschutz
Der Einkauf im Supermarkt, in dem Wurst, Käse, Fleisch und oft genug auch Gemüse und Obst in Plastik verpackt bereitliegen, scheint komfortabler als der Gang auf den Wochenmarkt, auf dem die regionalen Produkte lose und unverpackt im mitgebrachten Einkaufsnetz landen. Doch nicht alle Verbraucher setzen auf Bequemlichkeit vor Umweltschutz. Dafür stehen „Unverpackt“-Läden, wie es sie unter anderem auch in Mainz, Darmstadt und Wiesbaden gibt. Hier lassen sich nicht allein Müsli, Nüsse oder etwa Hülsenfrüchte ins mitgebrachte Gefäß abfüllen, sondern je nach Umfang des Sortiments unter anderem auch Haarpflege- und Reinigungsprodukte. Wer´s ernst meint mit der Müllvermeidung setzt in puncto Reinigung übrigens allein auf ein Produkt: Essigessenz, die mit Wasser verdünnt, alle Ansprüche an einen gelungenen Hausputz erfüllt.
Unverpackt einzukaufen ist nach Ansicht von Professor Jutta Kerpen ein lobenswerter Ansatz, der Politiker jedoch nicht ihrer Verantwortung enthebe: „Die Politik muss dafür sorgen, dass Verbraucher gar nicht mehr so viel Müll produzieren können“, fordert sie, wohl wissend, dass das Thema Müllvermeidung nicht zuletzt aufgrund des Lobbyismus einer starken Industrie „nicht sonderlich populär ist“.
Das wären sicherlich auch höhere Preise für Kleidung nicht. Doch fürs Outfit müsste mehr bezahlt werden, wenn mit Rücksicht auf die Umwelt auf den Einsatz von Kunststoff verzichtet würde und allein Materialien wie Baumwolle oder Wolle verarbeitet würden. „Teenies kaufen sich gerne häufig billige T-Shirts, die dann nach einem halben Jahr in den Müll fliegen“, sagt Kerpen. Auch diese bei der Bekleidungsherstellung verwendeten Kunststoffe sind „tickende Zeitbomben“, warnt die Wissenschaftlerin: Zehn Prozent der produzierten Kunststoffe landeten im Meer, es dauere hunderte von Jahren, bis sie abgebaut seien.
Aus diesem Grund kann die 59-Jährige auch mit dem vielgescholtenen Einweg-Pappbecher für den Coffee-to-go noch einigermaßen leben – „immer noch besser als ein Plastikbecher“, sagt sie. Dass der geliebte Muntermacher immer und überall mitgeschleppt wird, hat üble Konsequenzen für die Müllbilanz: Nach Berechnungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) landen in Deutschland pro Stunde 320 000 Wegwerf-Kaffeebecher und aufs ganze Jahr gesehen fast drei Milliarden Einwegbecher im Müll, deren Entsorgung nicht unproblematisch ist. Durch die Polyethylen-Beschichtungen der Becherinnenseiten lassen sie sich nicht komplett recyceln, sondern müssen mit dem Restmüll verbrannt werden. Projekte wie das unter anderem auch in Mainz und Wiesbaden gestartete Becher-Pfand-System „ConCup“ oder die Initiative „BecherBonus“ sind nach Ansicht der Professorin gute Alternativen zum Wegwerfbecher. Das Abfüllen des Kaffees in den mitgebrachten Becher sei ebenfalls eine Möglichkeit, meint Kerpen, die die Bedenken von Hygienefachleuten nicht nachzuvollziehen vermag.
Würden die von Zero Waste-Vorreiterin Bea Johnson proklamierten fünf „R“ – refuse (ablehnen), reduce (reduzieren), reuse (wiederverwenden und reparieren), recycle (zur Wertstoffsammlung geben) und rot (kompostieren) – eingehalten, könnte jeder Einzelne seine persönliche Müllmenge reduzieren. „Auch kleine Dinge bewirken etwas“, meint Kerpen, die Mitglied im „Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik“ ist. Würden Verbraucher beispielsweise mehr recyceltes Toilettenpapier kaufen, würde der umweltfreundliche Hygieneartikel auch häufiger als momentan zum Verkauf angeboten. Zur Eindämmung der Flut von Elektromüll hat die Umweltwissenschaftlerin indes ganz klare Vorstellungen: „Es muss“, sagt sie, „Vorgaben für die Industrie zur Haltbarkeit von elektronischen Geräten geben.“